Der Bergackerbau im Wallis

Der Bergackerbau im Wallis

Der Ackerumbruch für den Roggenanbau im Goms erfolgte traditionellerweise mit der Breithaue. Diese Technik hatte zur Folge, dass die kleinen Ackerparzellen in steiler Hanglage immer geneigt, also nie horizontal zum Hang lagen und daher nur gering gestufte Grenzfurchen aufwiesen. Die Felder präsentierten sich wie um die Dörfer ausgelegte «Taschentücher», wie dies Stehler 1914 formulierte.19 Die so entstandene leichte Terrassierung wies meist unregelmässige und kleine Böschungen auf. Die ältesten Spuren im Wallis von Stützmauern und gepflügten Äckern stammen aus der Eisenzeit.
In Visperterminen und zwischen Leuk und dem Unterwallis wurde weitgehend der Pflug verwendet, was deutlichere Terrassenstufen hinterliess und Trockenmauern oft nötig machte. Dort musste dann auch die abrutschende Erde wieder hinaufgetragen werden. Viele frühere Ackerbauparzellen an Hanglagen wurden bereits ab Ende des 14. und während des 15. Jahrhunderts in Wies- und Weideland, vor allem für den Rebbau umgenutzt, da die intensivierte Viehzucht mehr Raufutter benötigte.20 Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verlor der Berggetreidebau immer mehr an Bedeutung. Gründe waren die Verlagerung der Anbauflächen in die entwässerten Talgebiete, die zunehmenden Getreide­importe und Weinexporte sowie später der Bau wintersicherer Strassen zu den Bergdörfern. Der schweizerische Alpkataster von 1972 erwähnte die fortschreitende Aufgabe des Getreideanbaus («Gar mancher Hang, der vor wenigen Jahrzehnten zur Sommerszeit in seiner goldgelben Pracht dastand, ist heute verödet»), aber auch, dass «mit zwei Ausnahmen in sämtlichen Oberwalliser Gemeinden bis nach dem Zweiten Weltkrieg Roggen oder Gerste gepflanzt» wurde.21 Der Nutzungsrückgang wurde beschleunigt, weil «der Ackerbau an den steilen, terrassierten Hängen wenig modernisierbar» war und einen hohen Aufwand erforderte. Der Volkskundler Richard Weiss schrieb 1959: «Die Ackerbaumethoden sind und bleiben auf den steilen und zerstückelten Äckern notwendigerweise altertümlich und rückständig. Im Blick auf die gewaltigen technischen Fortschritte der grossen Weizenbaugebiete der Welt erscheint der inner­alpine Ackerbau als hoffnungslos überlebt, als ein Arbeitsaufwand, der nur mit ethischen Gründen, nicht mit solchen wirtschaftlicher Zweckmässigkeit noch weiterhin gerechtfertigt werden kann.»22 Diese Lehrmeinung war vielleicht einer der Gründe, weswegen selbst ausführlichste ethnologische Beschreibungen, wie diejenige von Friedrich Gottlieb Stebler 1914 über die «Sonnigen Halden am Lötschberg», sich den – ökonomisch für uninteressant gehaltenen – Terrassenformen kaum je speziell widmeten, obwohl diese damals in jenem Gebiet verbreitet und augenfällig waren. Die gleichzeitige Ausdehnung des Rebbaus auf den ehemaligen Äckern verlangte eine andere Terrassierung mit weniger geneigten Flächen und mit Trockensteinmauern verstärkten Böschungen. Dort, wo kein Rebbau möglich war, bedeutete die Umnutzung der Ackerterrassen zu Wies- und später Weideland letztlich eine schrittweise Verbrachung der stufigen Steillagen und den Zerfall der Böschungen. Auch die Mechanisierung der Bewirtschaftung, das heisst das Befahren der Wiesen mit Fahrzeugen, oder die ungeeignete Beweidung der Steillagen (mit Pferden oder Rindvieh) trug das ihre zur Zerstörung der Mauern und Böschungen bei.
Eindrucksvolle terrassierte Ackerbaugebiete bestanden in Isérables und Erschmatt: Erschmatt hielt auf Grund der späten Strassenerschliessung den Getreideanbau bis in die 60er Jahre aufrecht. Heute steht dort auf einzelnen Terrassen wieder Getreide. Es wurde ein Sortengarten eingerichtet, um die alten Kulturpflanzen zu fördern. Auch in Isérables werden zahlreiche Terrassen noch als Äcker bewirtschaftet, aber auch für die Aprikosenkultur genutzt – und neuerdings gar mit Zuckerahornbäumen bepflanzt. Diese Initiativen sind nur dank des grossen lokalen Engagements möglich (siehe Porträts Erschmatt und Isérables). Auch für den Kräuteranbau werden heute die ehemaligen Äcker wieder genutzt (siehe Porträt Orsières).    •

Quelle: Auszüge aus: Rodewald, Raimund.
Ihr schwebt über dem Abgrund. Die Walliser
Terrassenlandschaften. Entstehung – Entwicklung – Wahrnehmung. Rotten Verlag AG Visp 2011
ISBN 978-3-952374-42-9

19    Stebler, Friedrich Gottlieb. Sonnige Halden am Lötschberg, Monographien aus den Schweizeralpen. Zürich 1914, S. 74
20    Rey, Dennis. Histoire d'eau. Bisses et irrigation en Valais au XV siècle. Lausanne 2002, S. 113f.
21    Abteilung für Landwirtschaft des EVD. Schweizerischer Alpkataster. Die Land- und Alpwirtschaft im Oberwallis. Bern 1972, S. 113f.
22    Weiss, Richard. Häuser und Landschaften der Schweiz. Erlenbach-Zürich 1959, S. 250

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