Schweizer Anwaltsverband: Die Grundlagen des Rechtsstaats dürfen nicht verletzt werden

Schweizer Anwaltsverband: Die Grundlagen des Rechtsstaats dürfen nicht verletzt werden

zf. Die Stellungnahme des Schweizer Anwaltsverbandes ebenso wie diejenige des eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten Hanspeter Thür Anfang dieser Woche waren ein erlösendes Signal: Die Wahrung des Rechtsstaates hat Vorrang – auch und vor allem vor privaten wirtschaftlichen Interessen. Das gilt sogar dann, wenn eines oder mehrere Mitglieder unserer Exekutive sich durch Druck von privaten wirtschaftlichen Interessen zu Zusagen oder Rückendeckung hat überreden lassen.
Mit dieser Klärung dürfte das amerikanische Luftschloss «Eroberung der Schweiz» zusammenfallen. Und damit die SPD-Phantasie der Deutschen aber auch.    •

Eine fragwürdige Genehmigung

von Pierre-Dominique Schupp, Vizepräsident SVA/FSA

Gemäss seinen Statuten bezweckt der Schweizerische Anwaltsverband insbesondere «zur Vervollkommnung des Rechts und der Rechtspflege beizutragen, im allgemeinen Interesse der Rechtssuchenden und unter Achtung der Menschenrechte». Als ihrem Wesen nach neutrale Organisation hütet sich der Schweizerische Anwaltsverband sehr wohl, auf allgemeine Weise in die ­politische Debatte einzugreifen, sondern sieht seine Aufgabe darin, bei besonderen Anlässen daran zu erinnern, dass die Achtung der Vorschriften des Rechtsstaates eine grundlegende Säule des Rechtsstaates ist. Die Anwälte stehen daher oft an vorderster Front, um diejenigen zu verteidigen, deren Rechte in Gefahr sind.
Die jüngsten Ereignisse, bei denen die Namen von Mitarbeitern gewisser Schweizer Bankinstitute an die amerikanischen Behörden übergeben wurden – vom höheren Kader bis zum Angestellten im Back Office – auch mit, wie es scheint, der Genehmigung des Bundes im Sinne von Artikel 271 des Strafgesetzbuches, sind beunruhigend im Hinblick auf die oben erwähnten Prinzipien.
Man kann die Frage diskutieren, ob die vom Bund erteilte Genehmigung eine rechtliche Grundlage hat und ob sie deshalb einen zivilrechtlichen Tatsachenbeweis (fait justificatif de nature civile) für die Institute darstellt, die sich anschliessend von den denunzierten Angestellten gerichtlich belangt sehen würden (was da der Fall zu sein scheint).
Wie dem auch sei, man kann sich ernsthaft fragen, ob die Weitergabe von Namen von Angestellten nicht eine Verletzung des Bankgeheimnisses darstellt oder auch einen schweren Verstoss gegen das Verbot des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes zum Vorteil eines fremden Staates im Sinne von Artikel 273 des Strafgesetzbuches, was beides nicht Gegenstand einer Erlaubnis welcher Art auch immer sein darf.
Auch nicht ganz nachvollziehbar ist, wie die Weitergabe von Namen von Angestellten an einen fremden Staat verantwortet werden könnte, wenn man weiss, dass unser Land mit vollem Recht einen weitgehenden und strengen Datenschutz eingeführt hat und man in der Schweiz nicht zögert, denjenigen oder diejenige zu bestrafen, der oder die geschützte Daten öffentlich macht. Schliess­lich und vor allem ist der Persönlichkeitsschutz des Einzelnen ein unverrückbares und grundlegendes Prinzip, das unser Recht seit der Einführung des Zivilgesetzbuches kennt, und das jeder Arbeitgeber noch standhafter respektieren sollte, wenn es sich um die Beziehungen zu seinen Angestellten handelt.
In Wirklichkeit ist klar, dass es bei der Weitergabe von Namen von Angestellten darum ging, den Abschluss eines für die Schweizer Bankinstitute vorteilhaften Abkommens im bekannten Steuerstreit zu erleichtern, und dass der Verstoss gegen einige Regeln, und seien sie grundlegend, schliess­lich nur ein bescheidener Preis wäre, den man zahlen müss­te.
Aber es sind nichtsdestoweniger die Grundlagen des Rechtsstaates, insbesondere die Einhaltung des Prinzips von Treu und Glauben, das Recht auf Unschuldsvermutung und das Recht auf Arbeitsschutz, die durch diese Vorgehensweise bedroht sind. Für den Schweizer Anwaltsverband ist es durch nichts, und sowieso nie durch ein privates wirtschaftliches Interesse, gestattet, solche Verletzungen der grundlegenden Rechte und Persönlichkeitsrechte durch Dritte zu rechtfertigen, darüber hinaus mit dem mehr oder weniger aktiven Einverständnis unserer Exekutive, auch wenn sie das bestreitet.
Es geht um die Achtung für und vor allem das Vertrauen in unsere Institutionen. Das kann unseres Erachtens durch nichts aufgewogen werden.    •

Quelle: Anwaltsrevue/Revue de l’avocat, 8/2012
(Übersetzung Zeit-Fragen)

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me. Die Schweizer Regierung hat zugestimmt, die Namen von Bankangestellten an die US-Behörden auszuliefern. Unglaublich. Sie tut dies mit einem Regierungsbeschluss. Ähnlich ging es vor einigen Monaten zu, als Daten von Bankkunden der UBS an die USA ausgeliefert wurden. Der springende Punkt: Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage. Der Arbeitgeber darf diese Daten seiner Angestellten nicht ausliefern, das gebietet die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht. Diesen Angestellten droht in den USA nämlich Ungemach. Sie können angehalten und verhaftet werden, nur weil sie Angestellte einer Bank sind. In den «USA nach 9/11» kann man ohne Anklage unbegrenzt festgehalten werden. Die Angestellten haben somit faktisch Reiseverbot in die USA, aber auch ein De-facto-Berufsverbot in einem Teil der Welt oder einen Wettbewerbsnachteil. Alles Dinge, für die sich Herr Schneider-Ammann, unser Feigling im Bundesrat, sonst wacker wehren würde.
Nun redet der Anwaltsverband der Regierung öffentlich ins Gewissen. Er äussert sich sehr selten, darum muss man aufhorchen und die Nase in den Wind halten. Er warnt die Regierung davor, auch in ruppigen realpolitischen Zeiten (die Gründungsväter der Eidgenossenschaft hatten von der «Arglist der Zeit» gesprochen) das Recht nicht der Willkür zu opfern, sondern es zu schützen. Es ist nämlich willkürlich, Daten ohne gesetzliche Grundlage auszuliefern. Willkür gibt es sonst nur in Schurkenstaaten oder «failed states».
Mit einer Schmerzträne und einer Freudenträne liest man die Stellungnahme des Anwaltsverbandes. Mit Schmerzen, weil man das Warnzeichen realisiert, dass wir Zeiten haben, in denen in der Schweiz der Rechtsstaat durch die Regierung verraten wird, und weil man an die Zeiten der Grosseltern denkt, die im aufkommenden Nationalsozialismus solche «Anfangszeichen des Totalitären» zu deuten und darauf zu reagieren hatten. Sie bestanden ihre Prüfung damals. Eine Freudenträne kommt, weil man spürt, dass die Reaktion ein intaktes Immunsystem der Gesellschaft zeigt, und man erkennt, dass der Anwaltsverband mit seiner Warnung einer historischen Aufgabe nachgekommen ist. Aber wir müssen die Warnung aufgreifen, Konsequenzen ziehen.
Warum ist diese Intervention der Anwälte nötig? Sprechen wir es aus: Der Bundesrat wird erpresst (im Worthülsenjargon der ­Politologen spricht man von «realpolitisch gebieterischen Sachzwängen»). Warum aber schweigt der Bundesrat, wenn er erpresst wird? Warum legt er nicht offen, wie er hinter den Kulissen mit harten Bandagen angegangen wird? Jede kriminalpolizeiliche Beratungsstelle rät einem Erpress­ten, die Erpressung offenzulegen und die Sache, deretwegen man genötigt wird, zu bereinigen, um dann dem Erpesser entgegenzutreten. Der Bundesrat hätte noch die Möglichkeit zurückzutreten. Einzeln oder gruppenweise.
Warum erklärt der Bundesrat nicht, was läuft? Wer politische Antennen hat, merkt längst, welches Spiel gespielt wird. Doch verloren ist es nicht. Der Bundesrat hat Verbündete, nämlich die Bevölkerung. Wenn er sie weiter enttäuscht und irritiert, verliert er alles. Also Mut und Vertrauen in die unterstützende Kraft der Basis. Ihr Ideenreichtum zur Abwehr ist enorm; unbestechliche Entschlossene gibt es noch zuhauf, und der Anwaltsverband steht schon bei der Fahne. Stehen wir dazu, das gibt auch den Hasenfüssen Mut.     •

Präzisierung zum Vorabdruck in der Anwaltsrevue 8/2012 (in französischer Sprache)

Die Vorveröffentlichung dieses Beitrags von Vizepräsident Schupp in der Anwaltsrevue hat zu zahlreichen Rückfragen, auch bei den kantonalen Anwaltsverbänden geführt. Thema ist der vom Bundesrat und der FINMA bewilligte Transfer von Bankmitarbeiterdaten in die USA. Gerade in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung ist es Aufgabe des Schweizerischen Anwaltsverbands und dessen Vorstand, an die Einhaltung der wesentlichen rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Prinzipien durch unsere Behörden beizutragen. Wenn, wie im Zusammenhang mit dem bewilligten Datentransfer in die USA, bei einer breiteren Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, die Bundesbehörden gingen möglicherweise leichtfertig mit den geschützten Interessen der betroffenen Personen um, dann will der Schweizerische Anwaltsverband warnen. Das und nichts anderes hat er mit dem Beitrag seines Vizepräsidenten Pierre-Dominique Schupp getan. Es werden kritische Fragen gestellt, die zu beantworten aber nicht Sache des SAV, sondern der zuständigen Behörden und Gerichte ist. Nur diese Stellen verfügen über die erforderlichen Kenntnisse des Sachverhalts und der massgebenden Zusammenhänge. Der Schweizerische Anwaltsverband hat seine Mission mit seiner Warnung erfüllt, wenn man sich dabei der geschützten Rechte der betroffenen Personen bewusst ist und diese hochhält. Im übrigen äussert er sich nicht zu hängigen Verfahren.

Quelle: Homepage Schweizer Anwalts­verband/Fédération SVA/FSA, 21.8.2012

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