von Reinhard K. Sprenger*
Statt überheblich auf die Alpenrepublik einzudreschen und Steuerfahnder loszuschicken, sollten die verbrüsselten Deutschen begreifen, was Souveränität und Freiheit der Bürger ausmachen
Wäre ich Schweizer, ich lehnte das Steuerabkommen zwischen der Schweiz und Deutschland ab. Ich lehnte es ab, weil es Deutschland schadet. Schadet nicht in dem Sinne, wie es einige besinnungslos wahlkämpfende SPD-Politiker in jedes Mikrofon tuten. Es ist schlimm, wenn Politiker den Rechtsstaat dementieren, indem sie Geschäfte mit Kriminellen machen, sich gar des Kaufs von Diebesgut rühmen.
Es ist schlimm, wenn über groteske Überkriminalisierung und Einschüchterung ein System von Selbstanzeigen errichtet wird, das dem organisierten Bandenwesen nähersteht als einem legalen und legitimen Steuersystem. Es ist schlimm, dass Deutschland eine vermeintliche Steueroase bekämpft statt die eigene Steuerwüste.
Es ist für mich kaum erträglich, dass die stolze Willensnation Schweiz ihre rechtsstaatliche Souveränität einschränkt, um den finanziellen Wünschen eines anderen Staates nachzukommen. Rechtssicherheit (die man auch zögernde Rechtsmodernisierung nennen könnte) war immer ein Grundpfeiler schweizerischer Identität – und ist im übrigen unabdingbar für jede Entwicklung wirtschaftlichen Wohlstands.
Historisch gesehen stand die Schweiz wie kein anderes Land in dem Ruf, Grund- und Eigentumsrechte der Menschen zu schützen – aller Menschen, woher sie auch immer kamen und gegen wessen Übergriffe auch immer ihr Eigentum zu verteidigen war.
Das Bankkundengeheimnis ist Ausdruck dieses fundamentalen Prinzips des helvetischen Rechtsstaates: des Schutzes der Privatsphäre, zu der auch die finanzielle gehört. Dabei war das Bankkundengeheimnis nie ein Steuervermeidungsgeheimnis – auch wenn die deutsche Politik das gerne so sähe, um die eigenen Bürger zu kriminalisieren.
Aber es ehrt ein Gut, das höher zu gewichten ist als absolute Steuertransparenz: die individuelle Freiheit. Und das ist vor allem praktisch. Denn nach allem, was wir wissen, ist die Steuerehrlichkeit am höchsten in der Schweiz und in Neuseeland. Nicht trotz, sondern gerade wegen des Bankgeheimnisses.
Es ist für mich inakzeptabel, dass die Schweiz Steuern für ein anderes Land einsammelt und dadurch dazu beiträgt, dass sich in Deutschland niemand Gedanken machen muss über die systemischen Gründe der (massenweisen und nicht nur die Schweiz nutzenden) Steuervermeidung.
Mit dem Abgeltungsmodell wird die Vorstellung gestützt, dass das Geld der Bürger irgendwie latent Staatsgeld sei und deshalb nicht ins Ausland fliessen dürfe. Das ist eine Vorstellung, die der Schweiz völlig wesensfremd ist: Dort ist der Bürger der primäre Eigentümer seiner Leistungsfrüchte.
Die Schweiz ist kein Steuerparadies. Und dennoch ist sie ein Stachel im Fleisch der eurofiskalischen Grosszuhälter. Das Verstopfen einer Fluchtmöglichkeit würde den steuerstaatlichen Würgegriff in Deutschland völlig enthemmen; die im EU-Jargon «Harmonisierung» genannte Unterbindung des Systemwettbewerbs führt ja schon heute zu einer Eskalation des staatlichen Zugriffs.
Und gerade die Schweiz steht beispielhaft für einen schlanken Staat durch Steuerwettbewerb – der keineswegs so ruinös ist, wie das die deutschen Linken gerne hätten. Jedenfalls sind mir flächendeckendes Elend und darbende öffentliche Kassen in der Schweiz bislang verborgen geblieben.
Die Schweiz wurde schon oft als Gegenmodell beschrieben: von Justus Möser, Benjamin Constant, Alexis de Tocqueville und vor allem von Wilhelm Röpke. Die Schweiz steht für einen genossenschaftlichen, nicht zentralen Staatsaufbau von unten nach oben, für den Widerstand gegen Gleichmacherei, für freiheitsliebende und politisch gut gebildete Bürger, die stolz den aufrechten Gang auch noch dort verteidigen, wo 80 Millionen verbrüsselte Deutsche nur noch müde nicken.
In der Schweiz wird Demokratie respektiert und nicht als lästig umgangen; hier muss kein Verfassungsgericht die Regierung daran erinnern, dass es da noch einen Souverän gibt. Die Schweiz ist ein Vorbild für klugen sozialen Ausgleich, sie hat einen liberalen Arbeitsmarkt mit hoher Integrationsleistung, kommunale Steuerautonomie und vor allem direktdemokratische Einflussmöglichkeiten, die auf breites internationales Interesse stossen.
Vor allem von der Haushaltsdisziplin der Schweizer sollten sich alle EU-Länder eine grosse Scheibe abschneiden: in guten Zeiten finanzielle Reserven aufbauen, Steuern massvoll halten und in die Infrastruktur investieren. So macht man das.
Ich kenne kein Land, in dem das Bewusstsein «Der Staat – das sind wir alle» so verbreitet ist wie in der Schweiz. Und ich kenne keinen anderen Staat, in dem nicht gleichzeitig die liberale Skepsis gegenüber einem zudringlichen Zentralstaat so ausgeprägt ist. Aber ich kenne nur wenige deutsche Politiker, die bereit und intellektuell in der Lage sind, diese wechselseitige Bedingtheit zu verstehen.
Und gleichzeitig ist die Schweiz das europäischste aller Länder – wenn man Europa nicht als vereinheitlichendes Bürokratiemonster begreift, sondern als Vielfalt, Offenheit und Wettbewerb. Hier wird nicht – wie in der EU – zusammengequetscht, was nicht zusammengehört.
Hier pflegt man ein gut nachbarschaftliches Verhältnis, aber man lässt sich in Ruhe, ist zwar freundlich, aber nicht unbedingt freundschaftlich, lässt jeden seine Angelegenheiten selbst regeln. Nach Dürrenmatts Motto: Sei menschlich, nimm Abstand.
Wer sich über die Alternativlos!-Parolen jener empört, deren Demokratiefeindlichkeit nur noch von ihrem Zynismus übertroffen wird, hier ist sie: die Alternative. Wenn nicht zum Kopieren, dann zum Orientieren. Ein Glück für Deutschland und ein Geschenk an eine liberale Welt, die Hoffnung braucht und Beispiel sucht.
Das invasive Vorgehen der Deutschen hilft hoffentlich den Schweizern, sich auf die Stärken zu besinnen, die das Land so unvergleichlich frei, demokratisch und wohlhabend gemacht haben. Aber ich bin kein Schweizer, ich bin Deutscher. Deshalb wünsche ich mir eine starke, selbstbewusste Schweiz. Für Deutschland. •
Mit freundlicher Genehmigung des Autors (veröffentlicht in Die Welt am 30.8.12).
*Der Autor ist Managementberater und Publizist und lebt in Winterthur. Demnächst erscheint sein Buch «Radikal führen» bei Campus.
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