Rechtsstaatsprinzip bietet Grundlagen für langfristige demokratische Hoffnungen in China

Rechtsstaatsprinzip bietet Grundlagen für langfristige demokratische Hoffnungen in China

von Kishore Mahbubani

ev. Während der Westen mit dem Finger auf China zeigt und immer wieder moniert, es brauche «mehr Demokratie», ist der Blick eines aufmerksamen Beobachters und Kenners der asiatischen Entwicklung wie Kishore Mahbubani sehr hilfreich: Er sieht die ungeheuren Herausforderungen, vor denen die chinesische Politik steht; seine Empfehlungen sind jedoch nicht von westlicher Arroganz geleitet, sondern sozusagen aus der inneren Erfahrung der asiatischen Entwicklung. Er lenkt den Blick knapp und klar auf die Erfahrungen der über 80 Prozent nicht-westlicher Weltbevölkerung, die angesichts des Zustandes der westlichen Welt selber und nach den Erfahrungen mit westlicher «Bombokratie», Drohnenjagden oder anderen «humanitären Interventionen» zum Beispiel in Afghanistan und im Irak ihre eigenen Schlüsse ziehen. Seine Empfehlungen entstammen nicht verlogener Machtgier; sie lesen sich vielmehr wie Beobachtungen eines Weggefährten in einer Zeit im Umbruch. So anerkennt er auch die Leistung der chinesischen Entwicklung: 1,2 Milliarden Menschen in ihren Lebensverhältnissen spürbar voranzubringen ist eine Leistung, auf die über 1 Milliarde Hungernder in der Welt noch warten.
Die chinesischen Führer stehen vor einer einzigartigen Herausforderung. Das politische System Chinas hat die schnellste Verbesserung des Lebensstandards gebracht, die irgendeine Gesellschaft in der jüngsten Zeit erlebt hat. Aber sie wird auch genau beobachtet, da die Öffentlichkeit lauthals nach mehr Demokratie verlangt.
Angesichts dieser einzigartigen Herausforderungen werden die Führer Chinas bei ihren Entscheidungen zur Veränderung und Entwicklung aussergewöhnlich kreativ und innovativ sein müssen. Jede abrupte Veränderung des Systems wäre ein Desaster, wie der Zusammenbruch der Sowjetunion gezeigt hat.
Ein jäher, über Nacht erfolgter Übergang zu Demokratie führte zu einem dramatischen Schrumpfen der russischen Wirtschaft, zu einem Zusammenbruch des Lebensstandards und zu massivem Leiden der russischen Bevölkerung. Es wäre aber auch ein Fehler, wenn die chinesische Führung stehenbliebe und keine Reformen ihres politischen Systems versuchen würde.
Da sich in China der grösste Mittelstand der Welt entwickelt, ist es unvermeidlich, dass dieser Mittelstand darauf bestehen wird, bei der Entwicklung von Chinas Zukunft mehr zu sagen zu haben. Das chinesische politische System muss daher einen «Big-Tent»-Ansatz1 einnehmen und eine Vielzahl von Stimmen einbeziehen. Parallel dazu wäre auch vermehrte «innerparteiliche Demokratie» mit mehr Wahlen innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) förderlich.
Hilfreich für die KPCh wäre auch, wenn sie eine Debatte darüber führen würde, ob China bei den Bemühungen zur Reform seines politischen Systems auf mehr Demokratie oder auf mehr Rechtsstaatlichkeit dringen sollte. Im Westen besteht öffentlicher Konsens, dass der einzig gangbare Weg jener für mehr Demokratie sei. Hinter diesem öffentlichen Konsens bestehen im Privaten zunehmend Zweifel bezüglich der Fähigkeit des demokratischen Systems, einige der grundlegenden Probleme, mit denen die westlichen Gesellschaften konfrontiert sind, zu lösen.
In der Theorie schaffen Demokratien eine «Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk», wie es der seinerzeitige US-Präsident Abraham Lincoln in seiner Gettysburg-Address formulierte. In der Praxis sind Demokratien zu vom Volk gewählten Regierungen geworden, die mächtige Sonderinteressen unterstützen.
Das politische System der USA ist von einer Reihe parasitärer Lobby-Organisationen übernommen worden, welche Sonderinteressen über die allgemeinen Interessen des Volkes stellen. Ein solches System wäre für China eine Katastrophe.
Während China sich langsam und auf lange Sicht auf Demokratie vorbereitet, sollte es jedoch kurzfristig auf mehr Rechtsstaatlichkeit drängen. Eine stärkere Herrschaft des Rechts wird der chinesischen Bevölkerung mehr Vertrauen geben, dass es ein Gesetzeswerk gibt, das für Führer wie Anhänger gleichermassen gilt.
Das bedeutet, dass die gleichen Gerichte, die einen gewöhnlichen Arbeiter wegen Mordes zu Gefängnis verurteilen, auch Bogu Kailai wegen Mordes verurteilen würden. Die Beobachtung, dass ein Gesetzeswerk existiert, das unabhängig von Rang und Position für alle Bürger gilt, würde die Legitimität des chinesischen politischen Systems deutlich stärken.
Wenn man die mehr als 80 Millionen Mitglieder der KPCh denselben Regeln des Rechts unterwirft, mag dies auf den ersten Blick als Minderung von Macht und Einfluss der KPCh erscheinen. Wenn die Allgemeinheit aber zu erleben beginnt, dass Mitglieder der KPCh demselben staatlichen Recht und denselben Gerichten unterstellt sind wie die einfachen Bürger, könnte dies paradoxerweise Zuversicht und Vertrauen der Öffentlichkeit in die KPCh erhöhen.
Mehr Rechtsstaatlichkeit würde auch weiteren Langzeitnutzen bringen. Damit würde auch jede willkürliche Machtausübung lokaler und regionaler Beamter eingedämmt. Umgekehrt wird dies zu einem Rückgang regelmässiger Ausbrüche von sozialer Unruhe führen.
Wenn die Menschen darauf vertrauen, dass sie sich mit allen möglichen Klagen, die sie vielleicht haben, an unabhängige und verläss­liche Gerichte wenden können, werden sie weniger dazu neigen, auf die Strasse zu gehen.
In der Tat stellt eine strengere Herrschaft des Rechtes den besten Langzeitmechanismus dar, um die Aussichten auf das Entstehen «farbiger» Revolutionen zu reduzieren, wie sie die Ukraine und Georgien erlebt haben.
Wenn man versucht, die Rechtsstaatlichkeit zu stärken, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass gute Gesetze leicht zu finden sind. Gute Gesetze sind seit Tausenden von Jahren verfasst worden. Gute Männer und Frauen, welche die Rechtsstaatlichkeit umsetzen, sind schwerer zu haben.
Eine wichtige Lektion, die Singapur gelernt hat, ist die, dass es wichtig ist, bei der Wahl der Richter die besten Leute zu finden. Genauso wichtig ist, sie gut zu bezahlen und sie zu schützen, um sicherzustellen, dass sie nicht durch Geld und Macht schwach werden und sich verführen lassen.
Über Jahrhunderte hat China entlang seiner wichtigsten Flüsse grosse Deiche gebaut, um zu verhindern, dass grosse Überschwemmungen das Land überfluten und schwere Zerstörung anrichten. In ähnlicher Weise kann ein gutes Heer starker und redlicher Richter als mächtiger Deich wirken, um grosse Fluten an sozialen und politischen Unruhen zu verhüten. Vor der Förderung der Demokratie sollte China daher die Rechtsstaatlichkeit stärker voranbringen.    •

1 Ein «Big-Tent»-Ansatz oder eine «Catch-all»-Partei versucht Menschen aller Schichten und unterschiedlichster Weltanschauungen einzubeziehen und hat den Anspruch, breite Wählerschichten in ihrer Interessenvielfalt ausgleichend vertreten zu wollen.

Quelle: Global Times vom 14.1.2012

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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