von Michael Götz, freier Agrarjournalist LBB-GmbH, Eggersriet SG
ab. Als das neue Tierschutzgesetz die Haltung der Tiere in Freilaufställen nahelegte, stellte sich bei verschiedenen Tierarten die Frage, wie Tiere aus der bisherigen unbehornten Haltung sich mit behorntem Nachwuchs arrangieren werden. Ich war überzeugt, dass das gehen werde, da es ja ihre eigenen Kinder sein werden. Ich war auch sicher, dass unsere Anfangsgruppe von vier unbehornten, aber sehr selbstbewussten Toggenburgerziegen aus drei verschiedenen Zuchtställen sich ihre eigene sinnvolle Herdenordnung einrichten werde. Und das tat sie auch: diejenige, die als Tochter einer Leitziege zu uns kam, übernahm die Führung, und zwar ohne Auseinandersetzungen und mit grosser Kompetenz. Der Nachwuchs der folgenden Jahre trug stolze Hörner, aber sie respektierten alle die bestehende Herdenordnung. Nur eine kam genetisch unbehornt zur Welt, was eher selten ist, und ordnete sich eher vorsichtig ein. Als die Jungen drei Jahre alt waren, hatten sie in ihrer Altersgruppe manches auszutragen, dem die Stamm-Mütter nicht immer unbeteiligt zusahen. Da fiel uns auf, dass die Unbehornten viel rücksichtsloser «boxen» können, als die Behornten es tun: sie können einer, der sie eine «Lektion» geben wollen, mit voller Wucht in die Flanke oder seitlich in den Bauch schlagen mit dem Kopf, so dass es der anderen wehtun muss. Wenn sie ihrerseits trächtig ist, ist das nicht harmlos. Wir liessen einige Male die Tierärztin kommen, um zu kontrollieren, ob noch alles in Ordnung ist. In dieser Zeit erfuhren wir, dass die eidgenössische Forschungsanstalt für Agrarwirtschaft und Landtechnik Tänikon (FAT) eine Doktorarbeit über die gemeinsame Haltung von behornten und unbehornten Ziegen in Freilaufställen erstellt hatte. Das Resultat dieser Untersuchung war, dass auf einiges vermehrt zu achten ist: Es müssen mehrere, gut verteilte Futterplätze bestehen, damit die rangniederen Tiere gut ausweichen können, wenn sie von dominanten Kolleginnen an der Hauptfutterstelle weggewiesen werden. Ferner müssen für die Spielsituationen vermehrt Versteckplätze und erhöhte Teile vorhanden sein, damit sie gut ausweichen können. Die Rangniedrigen erwerben so eine grosse Geschicklichkeit und Schnelligkeit in der Herde. Und sie wissen es auch, dass sie darin grosse Könner sind!
Diese Dissertation war uns eine Hilfe bei ergänzenden Einrichtungen unserer Ziegenstube. Tänikon hat im öffentlich zugänglichen Teil ihrer Anlage einen Musterstall eingerichtet, in dem behornte und unbehornte Ziegen verschiedener Rassen miteinander leben und spielen.
Als wir den unseren noch drei Iglus in das Aussengehege stellten, und zwar einige Wochen vor Beginn der Ablammzeit, da wurden diese Einfamilienhäuschen im Nu von dreien der Stamm-Mütter belegt und verteidigt. Seither weiss die ganze Herde, wem die Iglus gehören.
Und noch eine Beobachtung, die mich sehr bewegte, ergab sich völlig unverhofft und leider ohne Filmaufnahmegerät: Eine behornte junge Mutter nahm ihr Junges mit 8–10 cm grossen Hörnchen am Kopf vor sich hin und zeigte ihm, wie man Kopf an Kopf ganz fein sich hin und her schieben kann. Nachdem sie es mehrere Male mit dem Jungen geübt hatte, signalisierte sie, dass das für heute genügt. Das Junge ging danach zu seinen Altersgenossen, schaute ruhig um sich und suchte sich eines aus, mit dem es dieses kleine Spiel auch machen konnte. Die andern schauten interessiert zu und wollten es in den kommenden Tagen auch erproben – mit mehr oder weniger Geschick. Die Könnerin aber blieb die Kleine, die es mit ihrer Mutter erlernen durfte: sie blieb immer ruhig und konzentriert, und ihr ging im Spiel nie etwas daneben. Für mich war das eine der Beobachtungen, aus denen wir für unsere Kinder Schlüsse ziehen müssen.
Behornt und unbehornt? Eine einfache Frage? Mitnichten. Bei Kühen stellt sie sich nochmals anders und braucht viel neue Beobachtung. Wer die Kopfbewegungen seiner Tiere besser versteht, hat weniger Komplikationen im Stall. Nicht umsonst sind die Kurse und Module für «Kuh-Signale richtig verstehen», die von einigen landwirtschaftlichen Schulen durchgeführt werden, sehr begehrt. Die ruhige und sachbezogene Art, in der die Vertreter der verschiedenen Standpunkte an der Olma darüber diskutierten, ist typisch schweizerisch. Wir freuen uns deshalb, dass Michael Götz die Diskussion für uns zusammengefasst hat.
Hörner gehören zur Kuh, darüber waren sich am Olma-Forum alle einig, doch ob man die Hörner auch entfernen darf oder soll, darüber gab es verschiedene Meinungen.
«Die Hörner sind wichtig für die Kuh», sagt Denise Marty von KAGfreiland, der Organisatorin des Forums. Sie dienen den Kühen einerseits dazu, voneinander Distanz zu halten und andererseits, Halt zu finden, wenn sie Kopf an Kopf ihre Kräfte messen, konkretisiert es der Tierarzt Mark Kirchhofer. Für Martin Ott, Biolandwirt auf dem Gutsbetrieb Rheinau SH, verstärken die Hörner die Kopfhaltung, denn Kühe können keine Details sehen, sondern nur Konturen. «Damit lösen sie Konflikte, bevor es wehtut», sagt er.
Doch offensichtlich funktioniert das nicht immer. Martin Haab aus Mettmenstetten ZH, der in seinem Laufstall 60 Kühe hält, entfernt bei seinen Kälbern die Hornansätze, damit sich keine Hörner ausbilden. Er mache dies, weil die Tiere sich sonst gegenseitig verletzten, aber auch, um sich selber vor – wenn auch meist ungewollten – Hornstössen zu schützen. «Es wäre schön, wenn wir die Kühe wie zu Gotthelfs Zeiten halten könnten», sagt er. «Doch wir wären damit nicht mehr effizient genug.» Im Laufstall müsse er die Kühe während des Fressens im Fressgitter einsperren, damit sie sich nicht gegenseitig mit den Hörnern wegdrängten; es bräuchte ausserdem mehr Fläche und Arbeit. «Dann sind die 50 Landwirte, welche für KAGfreiland behornte Kühe halten, also ineffizient?» hakt der Moderator Adrian Krebs, Journalist bei der «Neuen Zürcher Zeitung», nach. Hörner bedeuteten Mehraufwand, aber es gäbe noch einen dritten Weg, kontert Martin Ott. Er hält ebenfalls 60 Milchkühe im Laufstall und verwendet modernste Technik. Zu diesem dritten Weg komme man, indem man die Tiere beobachte, versuche, sie zu verstehen und auf sie einzugehen. Das sei allerdings nicht immer einfach. Jammern bringe nicht weiter; für ihn gelte: «Je schwieriger die Situation mit der Natur, desto mehr fordert es mich heraus.» Nicht von ungefähr ist Martin Ott Autor des Bestsellers «Kühe verstehen».
Obwohl sich Martin Ott für das Belassen der Hörner einsetzt, warnt er seine Berufskollegen davor, ihren Kälbern einfach wieder Hörner wachsen zu lassen, ohne die Folgen zu bedenken. Er kann zum Beispiel in seinem Laufstall keine Kraftfutterstationen verwenden, in welchen die Kühe rückwärts heraus müssen; denn diese können nicht zurück, wenn eine Kuh mit Hörnern hinter der Station steht. Sackgassen sind tabu, und bei den Liegeboxen braucht es eine Fluchtmöglichkeit nach vorne. Damit die Kühe ihre Hörner aus dem Fressgitter bringen, ist mehr Spielraum als bei üblichen Fressgittern notwendig. Behornte Kühe zu halten, heisse vor allem, sich Zeit für die Tiere zu nehmen. Zum Beispiel benötige es bedeutend mehr Zeit und Umsicht, eine neue Kuh in eine Herde mit behornten Kühen einzuführen als in eine Herde mit unbehornten Kühen. Zeit nimmt sich, wer auch Freude an den Tieren hat. Martin Ott möchte aber keinesfalls sagen, dass Landwirte, welche unbehornte Kühe halten, nicht gut für sie sorgten. Auch ihnen lägen die Kühe am Herzen. So sagt auch Martin Haab: «Es ist meine Passion, Kühe zu halten.»
Eine Kuh, welche enthornt wurde, wird sich vermutlich durch den Verlust ihrer Hörner anders fühlen als vorher. Da jedoch heute die Hornansätze bei den Kälbern entfernt werden, dürfte sich dies nicht auf die Psyche der Kuh auswirken, meint der Tierarzt. Wichtig sei, dass dieses Entfernen der Hornansätze unter Betäubung durchgeführt und auch der Wundschmerz gelindert werde, betont er. Hier gibt es klare gesetzliche Regelungen. Der Landwirt darf den Eingriff auf seinem eigenen Betrieb vornehmen, sofern er eine anerkannte Ausbildung absolviert hat und das Kalb nicht älter ist als drei Wochen; ansonsten ist der Eingriff nur dem Tierarzt erlaubt. Einer Kuh die Hörner zu entfernen, ist – wenn es nicht fachgerecht gemacht wird – mit sehr grossen Schmerzen verbunden, da das Horn von Nerven durchzogen ist. Hornlose Kühe zu züchten, wäre eine andere Möglichkeit, auf das Enthornen zu verzichten, aber die genetische Basis ist dafür bei den meisten Rassen zu klein.
Heute ist es für Landwirte schwierig, behornte Kühe zu handeln, da 90 Prozent der Schweizer Milchkühe keine Hörner mehr tragen. KAGfreiland hat symbolhaft die «letzte Hornkuh» ins zoologische Museum der Universität Zürich gebracht. Mit ihrer Aktion «Horn auf!» setzt sie sich dafür ein, den Kühen ihre Hörner zu belassen. «Ihr seid Pioniere», lobt ein Landwirt an der Veranstaltung die «Hornbauern». «Es gibt viel Unwissenheit bei den Bauern. Auch ich musste dazulernen», fügt er hinzu. Gerügt wird in diesem Zusammenhang auch die «Amerikanisierung» der Milchviehzucht; denn an Ausstellungen werden die Tiere nicht mehr naturgemäss aufgeführt, sondern quasi als Mannequins vermenschlicht.
Hat «Hornmilch», Milch von Kühen mit Hörnern, eine Chance auf dem Markt? Im Kleinen offensichtlich ja, wie die Verpackungen verschiedener Molkereien zeigen. «KAG-Glücksmilch» oder «KAG-Hornkäse» sind Beispiele dafür. Im Grossen scheint dies schwieriger zu sein, wie Peter Zürcher, Einkauf Milchprodukte bei Coop, ausführt. Denn bei der grossen Zahl von verschiedenen Molkereiprodukten brauche es viel, damit sich ein neues Produkt behaupten könne. •
Quelle: Erstveröffentlichung in Bioaktuell, 9/2012
Autor: Michael Götz (Dr. Ing. Agr.) Freier Agrarjournalist, LBB-GmbH, Säntisstr. 2a, CH-9034 Eggersriet. Tel.: +41 71 877 22 29,
E-Mail: <link>migoetz@paus.ch <link http: www.goetz-beratungen.ch>www.goetz-beratungen.ch
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