Dr. Henrik Wagner
Prof. A. Wehrend
Klinikum Veterinärmedizin, Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Gross- und Kleintiere mit Tierärztlicher Ambulanz der Justus-Liebig-Universität Giessen
Dr. Hendrik Wagner
Frankfurter Strasse 106, 35392 Giessen
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Schmallenberg-Virus
In den letzten Tagen berichten immer mehr Schäfer über das vermehrte Vorkommen missgebildeter Lämmer. Ursache ist wohl eine Infektion mit dem Schmallenberg-Virus (SBV).
Ende des letzten Jahres konnte in einer Schäferei in Hessen vermehrt ein Komplex von verschiedenen Missbildungen bei neugeborenen Lämmern beobachtet werden. Die Symptome passten nicht zu den bisher auftretenden Erkrankungskomplexen bei Lämmern (vgl. Tabelle). Die Zahl missgebildeter Lämmer stieg binnen kürzester Zeit in dem Betrieb an. In Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Hessisches Landeslabor wurden die betroffenen Lämmer systematisch untersucht.
Zeitgleich kam aus den Niederlanden die Meldung, dass dort ebenfalls missgebildete Neugeborene beobachtet wurden und dass vermutet wird, dass die Ursache mit einer Infektion der Muttertiere mit einem Virus zusammenhängt, welches in Deutschland den Namen Schmallenberg-Virus erhielt. Dieses Virus konnte bereits im November 2011 in verschiedenen Rinderbetrieben in Nordrhein-Westfalen isoliert werden. Die Kühe hatten Fieber, starken Milchrückgang, reduziertes Allgemeinbefinden und Appetitlosigkeit. Diese Symptome waren bei den Mutterschafen nicht aufgefallen.
Von den missgebildeten Lämmern aus Hessen wurden Proben gewonnen und im Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems auf das Schmallenberg-Virus untersucht. Bei allen Lämmern gelang der Nachweis des Virus. Ein gleiches Ergebnis wurde bei der Untersuchung missgebildeter Lämmer aus anderen Bundesländern und aus weiteren hessischen Schafbetrieben gewonnen, so dass mit hoher Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass eine Virusinfektion das gehäufte Auftreten von Missbildungen in dieser Ablammsaison ausgelöst hat.
In einer Herde sind typischerweise mehrere Mutterschafe (10 bis 15%) betroffen. Nach den uns vorliegenden Daten kommen die Muttertiere nach Beendigung der physiologischen Trächtigkeitsdauer anfangs ohne Störungen in die Geburt. Auf Grund der Missbildungen der Lämmer (siehe Fotos) kann es jedoch zu zeitlichen Verzögerungen bis hin zum vollständigen Sistieren (= Unterbrechung) des Geburtsvorganges kommen, der ohne Hilfe nicht beendet werden kann. Es ist jedoch auch möglich, dass missgebildete Lämmer normal geboren werden.
Auf jeden Fall ist es ausgesprochen wichtig, eine Geburtsüberwachung durchzuführen, um Stockungen rechtzeitig zu erkennen. Auf Grund der Missbildungen ist in dieser Ablammsaison mit dem gehäuften Auftreten von Schwergeburten zu rechnen.
Die betroffenen Lämmer zeigen verschiedene Veränderungen am Skelett. Auffällig sind Versteifungen der Vorder- und bzw. oder der Hintergliedmassen. Diese unphysiologische Stellung kann in unterschiedlicher Stärke ausgeprägt sein. Häufig sind die Gelenke in einer gebeugten Haltung versteift. Weiterhin kann sich der Hals seitlich umgeklappt zeigen. Die Wirbelsäule ist
S-förmig verdreht, sowie eine Verkürzung des Unterkiefers kann vorliegen. Deformationen des Gesichtsschädels sind ebenso möglich. Diese Lämmer sind in der Mehrheit der Fälle nicht mehr lebensfähig oder kommen bereits tot zur Welt. Die Missbildungen können einzeln oder auch kombiniert beobachtet werden.
Die lebend geborenen Lämmer zeigen einen Saug- und Schluckreflex, können aber auf Grund der Missbildungen keine natürliche Milchaufnahme durchführen.
Interessant ist die Verteilung der Erkrankten bei Mehrlingsgeburten.
Neben missgebildeten Lämmern können unauffällige, lebensfrische Lämmer geboren werden, welche eine normale Entwicklung zeigen.
Es können jedoch auch alle Tiere einer Mehrlingsgeburt betroffen sein.
Durch diesen Umstand erlangt die geburtshilfliche Untersuchung einen besonderen Stellenwert.
So muss zwischen einem gebeugten Gelenk, welches als «normales» Geburtshindernis immer wieder vorkommt und korrigiert werden kann, und einem versteiften Gelenk im Rahmen des Missbildungskomplexes unterschieden werden.
Bei Mehrlingen muss der Untersucher während der Geburtshilfe sicherstellen, dass er die vorliegenden Extremitäten dem gesunden und dem möglicherweise erkrankten Tier korrekt zuordnen kann.
Nachdem klar erkannt wurde, ob und wie viele missgebildete Lämmer in der Gebärmutter sind, kann mit dem zielgerichteten Auszug begonnen werden.
Mutterschafe zeigen bisher keinerlei erkennbare klinische Symptome der Infektion zum Zeitpunkt der Geburt beziehungsweise in den Tagen davor. Da die Geburtshilfe zu Verletzungen des Muttertieres führen kann, sollten betroffene Schafe intensiv beobachtet werden, um rechtzeitig bei einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes eingreifen zu können.
Aufgrund der oben geschilderten Zusammenhänge wird als Ursache der gehäuft auftretenden Missbildungen eine intrauterine Infektion mit dem sogenannten «Schmallenberg-Virus» vermutet. Hierbei handelt es sich um ein Virus aus dem Genus der Orthobunyaviren, und dieses kann der Simbu-Serogruppe (Shamonda-, Aina-, Akabane-Viren) zugeordnet werden. Die höchste genetische Ähnlichkeit wurde zum Shamonda-Virus festgestellt. Das bisher beobachtete klinische Bild wird als «Arthrogypose-Hydranencephalie-Syndrom» bezeichnet.
Diese Viren sind bisher bei Rindern in Australien, Asien und Afrika bekannt und verursachen die oben genannten Symptome.
Es handelt sich nicht um einen Zoonoseerreger, somit ist von keinem Risiko für den Menschen auszugehen!
Die Übertragung des Schmallenberg-Virus erfolgt wie bei anderen Viren der Simbu-Gruppe in erster Linie über die Gnitzen und Stechmücken. Daher scheint als mögliche Prophylaxe eine Behandlung mit Repellentien angezeigt. Auf Grund der Übertragung des Virus durch Gnitzen ist ein ähnlicher geographischer Infektionsverlauf wie bei der Blauzungeninfektion in den Jahren 2006 bis 2007 zu erwarten.
In Hessen konnte das Virus bis dato bei noch keiner Ziege nachgewiesen werden, jedoch gibt es erste Beschreibungen vom Auftreten entsprechender Symptome bei Neugeborenen. Es müssen jedoch noch weitere Untersuchungen durchgeführt werden, um zu zeigen, ob auch hier eine Virusinfektion die Ursache ist.
Seit kurzem handelt es sich um eine meldepflichtige Erkrankung, die dem zuständigen Veterinäramt mitzuteilen ist. In Hessen ist die Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Gross- und Kleintiere mit Tierärztlicher Ambulanz (KGGA) der Justus-Liebig-Universität Giessen mit der Aufarbeitung der Fälle beschäftigt. •
Quelle: Erstabdruck in Schafzucht. Das Magazin für Schaf- und Ziegenhalter (<link http: www.schafzucht-online.de>www.schafzucht-online.de) vom 28.2.2012
Mögliche Ursachen von Missbildungen beim Lamm | |
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Ursache | Klinisches Erscheinungsbild |
Kupfermangel | Hinterhandschwäche mit schwankendem Gang |
Genetische Defekte (sind erblich und können von Generation zu Generation weitergegeben werden) | Gaumenspalte, Zwergwuchs, Spinnengliedrigkeit, Schiefhals, Fehlen des Unterkiefers, Verkürzung des Unterkiefers, Fehlen des Anus |
Virale Infektionen | Diverse Missbildungen an toten und lebend geborenen Lämmern im Bereich des Skelettes |
Umwelttoxine | u.a. Organmissbildungen |
Teratogene Medikamente | Verursachen unterschiedliche Schäden der Entwicklung des Lammes in der Gebärmutter |
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