Interview mit Roger Pfammatter, Geschäftsführer des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands
thk. Spätestens seit der Katastrophe von Fukushima hat in vielen Kreisen ein Umdenken begonnen. Die Gefährlichkeit von Atomanlagen ist zwar nicht erst seit diesem Zeitpunkt ins Bewusstsein der Menschen gedrungen, aber diesmal hat das Ereignis mehr aufgerüttelt, als es nach Tschernobyl der Fall gewesen ist. Der Vorfall in der Sowjetunion wurde eher als Problem des Kommunismus wahrgenommen, und nicht so, dass die Kernenergie als grundsätzlich zu gefährlich einzuschätzen ist. Japan hingegen ist ein hochindustrialisiertes Land, und man hätte dort kaum solch eine Katastrophe erwartet. Was in Japan passieren kann, könnte vielleicht auch bei uns geschehen.
Nur unter Berücksichtigung dieses Eindruckes ist zu erklären, warum am Ende der Sommersession 2011 von der Vorsteherin des Energiedepartements, Doris Leuthard, und dem Parlament der definitive Ausstieg aus der Atomenergie bis 2025 beschlossen wurde, ohne dass man mit der Bevölkerung den Dialog geführt und ihr diesen Entscheid zur Abstimmung vorgelegt hätte. Seither steht das Land unter grossem Druck, die sich anbahnende Energielücke von 40 Prozent, die jetzt noch durch die Atomenergie ausgefüllt wird, zu ersetzen, und zwar umweltschonend.
Wasserkraft, die heute 56 Prozent der Energie in der Schweiz liefert, ist das eine grosse Standbein, das verstärkt werden müsste, vor allem, weil wir durch anstehende Revisionen bestehender Flusskraftwerke Gefahr laufen, 10 Prozent der heute produzierten Wasserenergie zugunsten des Natur- und Umweltschutzes zu verlieren. Natürlich kann man versuchen, die fehlende Energie aus dem Ausland zu importieren. Aber zu welchen Bedingungen? Das betrifft sowohl die Herstellung als auch die Finanzierung. Mit der Frage der Energie ist auch eng die Frage nach der Energiesicherheit im Sinne der Versorgungssicherheit verknüpft. Wie können wir ohne unsere Atomkraft die Energiesicherheit in unserem Land gewährleisten, ohne vom Goodwill des Auslands abhängig und damit unter Umständen auch erpressbar zu sein? (Bankgeheimnis oder Fluglärmstreit lassen grüssen.) Situationen, wie sie die Schweiz im letzten Jahrhundert während der beiden Kriege oder der beiden Energiekrisen erleben musste.
Roger Pfammatter ist Geschäftsführer des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands. Er ist ein Experte auf dem Gebiet der Energiegewinnung durch Wasserkraft. Welche Möglichkeiten sich hier bieten und wie er die Lage nach der Energiewende in der Schweiz einschätzt, erklärt er im nachfolgenden Interview. Zeit-Fragen wird im neuen Jahr die Energiefrage weiterhin thematisieren und von verschiedenen Seiten her beleuchten.
Zeit-Fragen: Wenn es um Wasserkraft geht, stellt sich doch die Frage, ob es in unserem Land noch Möglichkeiten des Ausbaus gibt. In Diskussion ist die Erhöhung von Staumauern. Kann man damit ein mögliches Loch in der Energieversorgung ausgleichen.
Roger Pfammatter: Wenn wir über Erhöhungen von Staumauern oder den Ausbau von Stauseen sprechen, dann müssen wir uns bewusst sein, dass es sich hier um Speicherseen für die saisonale Umlagerung handelt. Wir haben im Sommer viel Wasser, brauchen aber im Winter am meisten Strom. Das ist die Umlagerung, die wir mit den Stauseen zustande bringen. Das ist etwas Essentielles, was bei der Diskussion um Gigawattstunde oder gar Terawattstunde immer vergessen geht. Entscheidend ist, wann produziert wird. Da im Stromnetz kein Strom gespeichert werden kann, müssen Angebot und Nachfrage jederzeit im Gleichgewicht stehen oder über Speicherung zwischengelagert werden. Wir können heute ein Viertel des Wassers in die Winterproduktion herüberretten. Das reicht aber nicht aus, so dass die Schweiz seit mehreren Jahren im Winter eine gehörige Portion Strom importieren muss. Der Strom kommt dann natürlich aus verschiedenen Quellen wie AKW, Gas- oder Kohlekraftwerken usw. Der Bedarf im Winter ist eine entscheidende Grösse, der man einfach zu wenig Beachtung schenkt. Vergrösserungen von Stauseen könnten hier relativ viel bieten.
Ein bekannter Stausee, den man vergrössern möchte, ist der Grimselsee. Ist das ein sinnvolles Projekt?
Ja, der Grimselsee zum Beispiel ist so ein medialer Dauerbrenner. Als Argument gegen die Vergrösserung wird oft angeführt, dass damit keine Gigawattstunde mehr Strom produziert wird. Zum einen stimmt das so nicht und zum anderen ist das auch nicht das Entscheidende, sondern die Umlagerung im Winter und die Flexibilität, die man gewinnt. Es kann nicht immer nur darum gehen, wie viel wir im Jahr haben, das nützt nichts, sondern die Frage ist, wann steht es zur Verfügung? Und es ist ganz klar, wir brauchen mehr Strom im Winter und werden bei einem Ausstieg aus den AKW gerade im Winter viel Produktion verlieren. Hier sind die Erhöhungen von Staumauern schon sehr wichtig. Der Grimselstausee ist einer davon, aber es gibt noch Dutzende weitere Stauseen, bei denen dies ebenfalls denkbar wäre. Damit ist zwar die Wirtschaftlichkeit unter heutigen Bedingungen noch nicht geklärt, aber der Bedarf wäre sicherlich gegeben.
Es geht also um die Frage von Aufwand und Ertrag?
Genau, das ist eines unserer Hauptprobleme bei dieser Frage. Wo soll man weiter ausbauen, wo nicht? Es ist eine Frage der Rentabilität. Bei einem Verkaufspreis pro produzierte Kilowattstunde (kWh) Strom von rund 6 Rappen (die Produktion macht nur rund 1/3 des Endverbraucherpreises im Haushalt aus, der Rest ist Netznutzungsentgelt sowie Abgaben und Gebühren) und Gestehungskosten für Erweiterungen oder Neubauten von 15, 20 oder mehr Rappen rentiert sich ein Ausbau nicht. Es ist riskant, sich auf ein solches Geschäft einzulassen, und man braucht eine gehörige Portion Zuversicht, dass die Verkaufspreise mittelfristig dann schon steigen werden.
Muss man die Erhöhung der Strompreise früher oder später einkalkulieren?
Wenn wir einen Markt mit Angebot und Nachfrage hätten, dann würden die Preise automatisch steigen. Wir haben aber keinen freien Markt. Der Preis ist reguliert, und der Staat subventioniert zusätzlich Kleinwasserkraftwerke, Photovoltaik und Windkraftwerke im grossen Stil. Damit konkurriert man natürlich nicht subventionierte Wasserkraftwerke. Das ergibt eine Verzerrung, führt zu Fehlinvestitionen und gefährdet letztlich die Konkurrenzfähigkeit der Wasserkraft – den wichtigsten energiepolitischen Trumpf der Schweiz. Längerfristig sind das ungünstige Entwicklungen.
Meinen Sie, es wäre besser, wenn man das dem freien Markt übergibt? Ist es nicht sinnvoll, dass man umweltschonende Energie fördert?
Ich bin kein Papst des Marktes, aber wenn wir einen Markt hätten und alle Kosten einbezogen würden, dazu gehören auch Abgaben für Klima-schädigende Abgase, dann würde sich längerfristig die Wasserkraft mit Sicherheit durchsetzen. Aber die heutigen Unternehmen denken meistens kurzfristig im Gegensatz zu früher. Die grossen Wasserkraftanlagen in den 50er Jahren wären nach heutigen Kriterien wohl nie gebaut worden. Auch damals konnte keiner vorhersagen, wie es sich entwickeln wird. Man hat aber den Mut und die Risikobereitschaft dazu gehabt. Heute ist die Situation auf Grund der Subventionen nochmals schwieriger, da diese zusätzlich konkurrieren. Wenn man schon die anderen Energieträger subventioniert, dann darf man nicht völlig willkürlich eine erneuerbare Technologie wie die Wasserkraft mit mehr als 10 Megawatt Leistung davon ausnehmen. Das ist meines Erachtens etwas Unsinniges, dass man nach Grössenkriterien fördert.
Was ist der Gedanke dahinter? Zielt das auf eine Dezentralisierung?
Nein, ich glaube, der Hauptgedanke ist der, dass die kleinen Anlagen es schwerer hätten, da sie noch unwirtschaftlicher sind als die grossen. Das ist aber unsinnig. Man müsste die Menge fördern, also möglichst viele Kilowattstunden pro Förderrappen. Das findet leider (noch) kein Gehör. Die aktuelle Vorlage vom Uvek, also von Bundesrätin Doris Leuthard, enthält immer noch die Begrenzung auf 10 MW. Das gilt nur für die Wasserkraft, für andere Formen gilt das nicht. Das ist ein Hemmnis, wenn man Wasserkraft möchte, und das grösste Potential ist bei den grossen Anlagen, die bereits bestehen. Wenn wir dort eine Effizienzsteigerung erreichen könnten, dann wäre das Geld besser eingesetzt als bei den vielen kleinen, die im Endeffekt mehr kaputtmachen, als dass sie wirklichen Nutzen bringen. «Small is beautiful», das stimmt hier einfach nicht. Sie stellen Hindernisse im Wasser dar, ob gross oder klein.
Wo sind die konkreten negativen Auswirkungen bei Kleinkraftwerken zu suchen?
Auswirkungen auf die Natur. Es ist ein Hindernis im Fliesswasser. Es gibt Probleme mit der Durchlässigkeit für Fische oder Geschiebe im Wasser. Das gilt für grosse und kleine Anlagen. Das kann man nicht wegdiskutieren. Mit technischen Massnahmen versucht man, das jetzt zu verbessern. Deshalb muss man heute überall Fischtreppen bauen für den Aufstieg. Seit neuem diskutiert man auch den Fischabstieg. Es gibt zwei Wege: bei genügend Wasser über das Wehr oder durch die Turbine, was je nach Verhältnissen Verluste zur Folge hat.
Es ist ja schon richtig, dass man keinen Raubbau an der Natur betreibt, aber …
Umweltschutz und gerade der Gewässerschutz sind wichtige Anliegen der Bevölkerung. Ich meine aber schon, dass wir daran sind, das Fuder zu überladen. Wir haben den Anspruch, dass jedes Gewässer quasi eine Wohlfühloase für jegliche denkbare Art von Lebewesen wird – und daran werden wir scheitern. Es ist sicherlich sinnvoller, die paar zentralen, ökologisch wertvollen Gewässer und vor allem Auenlandschaften wirklich zu schützen oder aufzuwerten, dafür aber andere Gewässer möglichst effizient und wirtschaftlich zu nutzen.
Gibt es in unserem Land noch Potential für neue Stauseen und Staumauern?
Es gibt schon noch die eine oder andere Möglichkeit. Aber die besten Plätze sind schon lange besetzt. Unsere Urgrossväter und Grossväter wussten, wo es sinnvoll war, etwas zu bauen. Es wird immer schwieriger, technisch und wirtschaftlich. Und überall stossen wir an Schutzgebiete, Plätze für Freizeitbeschäftigung oder Fischgebiete. Es wird immer enger. Man geht davon aus, dass noch rund 10 Prozent Wasserkraft sinnvollerweise dazugebaut werden können. Es gibt wenige grosse Neuprojekte, wie zum Beispiel dasjenige der Repower (früher: Rätia Energie) an der Landquart bei Küblis, allerdings ist das ein Laufwasserwerk ohne Stausee.
Interessant sind vor allem die voraussichtlich auf Grund von Gletscherrückgängen neu entstehenden Seen. Gemäss den Forschern dürfte es im schweizerischen Alpenraum bis in 50 Jahren etwa hundert neue Seen geben. Diese können zum einen eine Gefahr darstellen, weil sie unkontrolliert ausbrechen und eine Flutwelle auslösen könnten. Zum anderen könnte man diese mit wenig Aufwand auch für die Stromproduktion nutzen. Darüber müsste man sich Gedanken machen. Aber es ist bereits so, wenn man das Thema anspricht, werden alle Umweltverbände nervös. Dabei sollte man die Dinge in aller Ruhe sachlich anschauen. Es gibt mögliche Gefahren, aber auch einen möglichen Nutzen. Es gibt immer wieder Möglichkeiten, aber es ist nicht mehr das ganz grosse Potential.
Sagen Sie das unter dem Aspekt der Machbarkeit oder unter dem Aspekt der Kosten?
In der Schweiz könnte man rein theoretisch dreimal so viel Wasserkraft nutzen wie heute. Aber das ist eine theoretische Zahl. Wenn wir von Machbarkeit reden, dann ist es am Ende immer eine Frage des Geldes. Wirtschaftliche und umwelttechnische Fragen müssen immer gestellt werden. Es gibt niemanden in der Schweiz, der die nach harten Auseinandersetzungen einmal geschützte Greina fluten will. Das ist gesellschaftlich nicht akzeptabel. Es gibt Naturgebiete, die keiner anrühren wird. Ich bin auch dafür, dass man gewisse Gebiete schützt, aber in einem vernünftigen Rahmen. Zudem ist die Wasserkraftnutzung ja kein Selbstzweck. Es geht um die Versorgung der Schweiz mit Strom. Das heisst, neue Wasserkraftprojekte müssen immer auch unter dem Aspekt der Alternativen bewertet werden.
Und unter dem Aspekt der Selbstversorgung. Die ganze Tendenz mit den Naturpärken, das ist unschweizerisch und gibt eine totale Einschränkung für die Menschen.
In der Tat sind schon heute 20 Prozent der Schweizer Fläche Schutzgebiete. Das sind häufig die Gebiete, in welchen Wasserkraft ein Thema ist. Vom Gesetz her darf man in diesen Gebieten praktisch nichts mehr bauen. Man darf es nur, wenn es den Hauptzweck des Schutzgebietes nicht belastet. In der Realität wird das absolut restriktiv gehandhabt. Die aktuelle Vorlage des Bundesrates versucht nun, hier ein Gegengewicht zu geben, in dem Wasserkraft als ein «nationales Interesse» definiert wird – was sie natürlich ohne Zweifel ist. Das könnte gewisse sinnvolle Erweiterungsprojekte mit geringen Auswirkungen ermöglichen. Dieser Punkt wird aber mit Sicherheit von den Umweltverbänden bekämpft.
Wir werden ein ruhiges Abwägen beider Seiten lernen müssen.
Ja, aber nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich bin durchaus auch dafür, dass wir unserer Umwelt Sorge tragen und nicht alles dem kurzfristigen Profit opfern.
Die Hauptsache ist, dass unser Volk an der Urne darüber entscheiden darf. Das muss ein demokratischer Entscheid sein, und zwar transparent. Wir müssen wissen, wo unser Strom herkommen soll. Bisher entscheiden das praktisch nur unser Bundesrat und das Parlament. Aber man muss es transparent darlegen, was die Alternativen bedeuten, zum Beispiel: Strom aus Kohlekraftwerken aus der Ukraine oder aus Klima-schädigenden Gaskraftwerken bei uns? Ich bezweifle, dass dies unter dem Strich umweltfreundlicher wäre.
Es gibt zum Beispiel im Oberaletsch eine bestehende Anlage, die erweitert werden könnte. Ein ganz interessantes Projekt, und zwar mit einer Fassung in einem Gewässer ohne Fische in einer nicht einsehbaren Schlucht. Also praktisch null Auswirkungen auf die Umwelt. Hier könnte man Energie von 30 Windturbinen, das heisst 100 Gigawattstunden gewinnen. Es liegt aber in einem Landschaftsschutzgebiet, und die Umweltverbände laufen Sturm, nur wenn man die Idee formuliert, weil sie immer Angst vor dem Präzedenzfall haben. Das müsste man demokratisch im Einzelfall lösen können, sonst kommen wir nirgends hin. Aber was fehlt, sind sachliche Argumente, mehr Sachlichkeit und weniger ideologischer Fundamentalismus.
Wie könnte man hier mehr Sachlichkeit in die Diskussion bringen?
Das ist mein Bestreben, ich versuche hier diesen Weg zu beschreiten. Aber die Umweltschützer sind heute gut aufgestellte, grosse Organisationen, die vor allem auch medial gut gerüstet sind und dabei – sagen wir es so: nicht immer so sorgfältig und vor allem sehr emotional kommunizieren. Pro Natura hat über 100 000 Mitglieder, das ist schon eine rechte Kraft, auch finanziell. Ich finde es legitim, dass man diese Meinung vertritt, aber auf der anderen Seite gibt es niemanden mehr, der auch eine ähnliche extreme «Nutzungssposition» vertritt. Bei Umweltfragen in den 80er Jahren ist das noch anders gewesen. Heute sind die Umwelt und der Schutz dieser im Bewusstsein eigentlich aller Menschen, und von daher sind wir alle für den Umweltschutz. Die Frage ist nur noch: wo wieviel davon?
Worum geht es dann jetzt noch? Sind wir Menschen doch stark von den Strömungen der Zeit bestimmt?
Unsere Umweltgesetze sind enorm streng. Es ist alles etwas übertrieben. Wir schiessen über das Ziel hinaus. Das Bewusstsein, was den Umweltschutz anbetrifft, ist heute so hoch, und die Gesetze sind dementsprechend angepasst, dass Extrempositionen heute gar keine Berechtigung mehr haben. Jedes Projekt, das heute neu geplant wird, muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung machen von tausend und mehr Seiten. Ich bewundere diejenigen, die unter solchen Umständen noch ein neues Wasserkraftwerk projektieren und realisieren wollen. Man kann sich nicht vorstellen, was man dabei alles nachweisen muss.
Das muss man doch auch bei der Frage der Wirtschaftlichkeit dazudenken. Nur schon die Planung verschlingt Unsummen, das …
… auf die Gefahr hin, dass das Projekt am Schluss nicht realisiert werden kann. Dazu kommen noch all diese Einsprachen von Verbänden, und seien sie noch so klein und lokal. Das verzögert so ein Projekt natürlich noch einmal. Vieles geht dann über den Gerichtsweg und am Schluss kann eine Handvoll Leute wichtige nationale Vorhaben torpedieren oder mindestens über Jahre verzögern. Beim Stromnetz ist es sehr ähnlich. Es ist ganz offensichtlich, dass wir neue und stärkere Leitungen brauchen – aber niemand möchte die Leitungen vor seinem Haus, also werden diese Projekte so lange wie möglich torpediert.
Irgendwo ist das eine Sackgasse, wenn man sauberen Strom möchte und gleichzeitig darf nichts dafür in Anspruch genommen werden.
Ja, das scheint mir sehr wichtig. Es geht ja um Alternativen zum Atomstrom und um die Sicherheit unserer Versorgung mit Strom – im übrigen das Schlüsselelement für eine nachhaltige Energieversorgung.
Was ist am besten akzeptiert?
Ich hoffe auf die Wasserkraft, wo aber nicht mehr viel zu holen ist. Daneben wohl: die Photovoltaik, da kriegt man Geld dafür und auf den Dächern stört es nur die Denkmalschützer. Wind hat kaum Potential in der Schweiz und wird schlecht akzeptiert.
Wie ist der Stand bei der Auseinandersetzung bei der Photovoltaik?
Diese Anlagen kommen heute vielfach aus China, vor allem, weil sie billiger sind. Das hat auch wieder Auswirkungen auf die Ökobilanz, wenn man die Anlagen von irgendwo hernimmt. Wir brauchen sicherlich Photovoltaik zur Schliessung der entstehenden Lücke. Aber es wird nicht reichen. Zudem liefert diese nur bei Sonnenschein – und das ist nicht immer dann, wenn man ihn braucht. Ich habe im übrigen selber eine Anlage auf dem Dach und bin gerade im Winter froh, nicht ausschliesslich davon abhängig zu sein. Wir brauchen einen Mix verschiedener Energiequellen und dazu einen neuen gesellschaftlichen Konsens, und den gibt es bis heute noch nicht.
Aber damit das gelingt, brauchen wir doch genau das, was Sie am Anfang erwähnt haben. Der Bürger muss genau wissen, wie es aussieht und worum es im einzelnen geht.
Ja, das müsste es sein. Die Diskussion ist nicht ehrlich. Wir müssen doch darüber diskutieren können, welchen Strom wir zu welchem Preis wollen.
Hier stellt sich mir schon die Frage, ob der rasche Ausstieg ein ehrlicher und überlegter Vorgang ist. Wir müssen jetzt schnelle Lösungen finden und können nicht in Ruhe überlegen, was es für Möglichkeiten gibt und was uns das kostet.
Wahrscheinlich hat man gehofft, dass dann schneller an Lösungen geforscht wird. Wobei ich mich schon frage, ob das so geht und ob wir am Schluss nicht Strom aus Gas-Kohlekraftwerken …
… oder aus Atomanlagen in Frankreich, die 70 Jahre alt sind, beziehen. Da stimmt doch etwas nicht in der Argumentation.
Das sieht man zum Beispiel an der Auseinandersetzung um den Grimselsee. Das ist ein Prüfstein für die Energiestrategie, und voraussichtlich geht der ganze Fall vor das Bundesgericht. Durch die Erhöhung des Sees ist nicht einmal das Schutzgebiet tangiert. Der Perimeter im Bundesinventar, es ist auch ein Moorgebiet, liegt 27 Meter über dem See. Der Spiegel des Sees wird nur 23 Meter steigen. Das heisst, es ist eigentlich gar kein Problem. Aber, was liest man in unseren Medien? «Flutung von Moorgebiet». Es braucht scheinbar die Übertreibung, den Skandal.
Es wird einen richterlichen Entscheid geben, aber die Berichterstattung einiger Medien ist nicht aufrichtig. Das macht es oft nicht einfach, sachlich zu bleiben.
Neben der Wasserkraft, was haben wir noch für Alternativen?
Das ist nicht mein Spezialgebiet, aber als Mensch, als Bürger habe ich schon eine Meinung dazu. Ich sehe an vielen Orten einen unnützen Stromverbrauch und bin der Überzeugung, dass hier noch sehr viel Potential vorhanden ist. Wir können die Energie, den Strom effizienter einsetzen. Seit Jahren steigt der Stromverbrauch. Das kann nicht so weiter gehen.
Wo sehen Sie konkret Einsparpotential?
Denken Sie an die Energieetikette, die man vor 15 Jahren eingeführt hat. Wenn ich einen neuen Kühlschrank kaufe, dann weiss ich, wieviel er an Strom braucht, und so kann ich mich für den entscheiden, der vielleicht weniger Strom braucht, dafür aber ein bisschen mehr kostet. Auch in der Industrie gibt es Einsparpotential. Aber das wird auch nie und nimmer reichen, die 40 Prozent an Atomstrom zu ersetzen. Es ist viel, was wir ersetzen müssen, auch wenn wir mit 56 Prozent viel Wasserenergie produzieren. In den 70er Jahren waren es noch 100 Prozent.
Ist das auf die Zunahme des Energiebedarfs zurückzuführen?
Nicht nur. Mit dem Aufkommen der Atomkraft hat man die Entwicklung und den Ausbau der Wasserkraft nicht mehr vorangetrieben. Natürlich sind es immer mehr Menschen, die Strom brauchen und die auch auf Grund der vielen Geräte auch mehr Strom verbrauchen. Dazu kommt der ganze öffentliche Verkehr, immer schneller, immer mehr. Das braucht enorm viel Strom. Das vergisst man. Es braucht vor allem sehr viel Leistung, und die kann man nur mit grossen Anlagen erzeugen. Mit der Photovoltaik bringt man keine Eisenbahn zum Fahren oder vielleicht nur während der Mittagssonne.
Nochmals zurück zu den Alternativen.
Also, das Einsparen ist ein Aspekt. Es braucht eine Kombination von verschiedenen Stromquellen. Wir sind kein Windland, zwar haben wir da und dort Windräder, aber die laufen im Jahr 1000 Stunden von 8760 im Jahr. Das kann man nicht mit einem Flusskraftwerk vergleichen. Windräder bringen am Morgen um 3 Uhr Strom, wenn ihn keiner braucht. Dann muss man die Energie speichern können. Hier sind die Pump-Speicher-Kraftwerke Gold wert.
Dann müsste doch der Ausbau dieser Speicherseen vorangetrieben werden, denn das ist die einzige Variante, mit der man im grossen Stil Strom speichern kann.
Das ist die effizienteste Variante im Moment, aber die Forschung geht natürlich weiter. Man versucht es mit Batterien, mit Wasserstoff-Speicher usw. Hier hat man aber ein Problem mit der Grösse und vor allem auch mit der Speicherzeit. Die meisten Technologien sind nur für wenige Stunden geeignet. Die Speicherkraftwerke sind sicherlich noch sehr lange die effizienteste Möglichkeit der Energiespeicherung. Sie sollen auch weiter ausgebaut werden. Es gibt drei grosse Projekte. Da fast alles unterirdisch ist, haben diese nahezu keine Auswirkungen auf die Umwelt.
Nach all dem, was Sie bis jetzt gesagt haben, macht es den Anschein, dass Wasserkraft eigentlich die einzige sinnvolle und im grossen Stil effiziente Form der Energiegewinnung darstellt, die man unbedingt noch weiter ausbauen müsste.
Ja, die Wasserkraft ist sicherlich der wichtigste energiepolitische Trumpf der Schweiz. Aber wie gesagt: Wir können gar nicht viel mehr ausbauen. Wichtig ist vor allem, dem Bestehenden Sorge zu tragen. Wasserkraft wird häufig als gegeben wahrgenommen. Es ärgert mich auch, dass man vielfach von erneuerbarer Energie spricht und Wasserkraft schlichtweg vergisst. Dabei ist Wasserkraft die erneuerbare Energie. Selbst die Bundesämter und Bundesräte machen diesen Fehler, und das ist wenig professionell.
Eigentlich ist doch ein Wasserkraftwerk eine Recycling-Anlage. Das Wasser, was man unten auffängt, kann wieder nach oben gepumpt und zur erneuten Energieproduktion verwendet werden.
Ja, im gewissen Sinne schon, wobei die Sonne die Pumpe ist. Sie treibt den Wasserkeislauf über die Verdunstung und den Niederschlag an. Wasserkraft ist insofern auch Sonnenenergie. Das Wasser wird dabei nicht verbraucht, sondern nur dessen Kraft genutzt. Es gibt in diesem Zusammenhang auch noch einige Fragen, die offen sind und geklärt werden müssen, zum Beispiel die ganze Restwasserfrage …
… damit die Fische noch genügend Wasser haben …
… genau, das Gewässerschutzgesetz gilt seit 1991. Bestehende Kraftwerke müssen bis zu einem gewissen Grad saniert werden. Aber relevant sind vor allem Neukonzessionierungen, die in den nächsten Jahren anstehen. Dann müssen die Kraftwerke viel mehr ungenutztes Wasser abgeben. Dort drohen Produktionsverluste, weil man weniger Wasser zur Energiegewinnung zur Verfügung hat. Man geht von einem Verlust von 5 bis 10% der heutigen Produktion von Wasserkraft aus.
Das kommt mir als Laie sehr viel vor.
Nicht nur dem Laien. Wir haben in der Schweiz aus Wasserkraft etwa 36 Terawattstunden. Das heisst, auf die gesamte Strommenge in der Schweiz sind das etwa 5%, bezüglich Wasserkraft nahezu 10%, die verlorengehen. Das hat damals das Parlament entschieden.
Müsste das nicht erneut zur Diskussion gestellt werden? 1991 hat man sich noch vieles anders vorgestellt die Energiefrage betreffend …
Ja, das ist sicher so. Das Problem ist, man hat es immer auf die lange Bank geschoben. Man hat lange nichts gemacht. Bis 2012 müssen die Kantone die bestehenden Anlagen sanieren, und zwar auf das Minimalniveau. Die Kantone sind mit Hochdruck daran. Das heisst, auch hier gibt es Stromverlust.
Das muss man doch nochmals überlegen.
Ich denke auch, zwar wird man die Bestimmungen nicht loswerden. Wenn man das Volk befragt, stimmen sie meistens für den Fisch, das ist unsere Erfahrung.
Es ist kompliziert, und meistens interessiert sich keiner dafür, so lange es genügend Strom hat. Ich würde dafür plädieren, die Sanierungen auf die wenigen wirklich wertvollen Gewässer zu konzentrieren, und dafür bei anderen die Produktionsverluste möglichst zu vermeiden. Wo bekommen wir dann den Strom her? Wie wird dieser produziert? Bevor wir uns hier weiter Gedanken machen, müssen wir unbedingt das Bestehende sorgsam behandeln und ausbauen, was möglich ist. Dann ist schon einiges gemacht.
Herr Pfammatter, vielen Dank für das Gespräch. •
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