«Bequem auf der Welle reiten»

«Bequem auf der Welle reiten»

Interview mit Mária Huber*

Um Russland tobt ein Machtkampf. Auch medial. Die Politikwissenschaftlerin Mária Huber kritisiert den Missionseifer vieler Journalisten und nennt Hintergründe zu USAID, Pussy Riot und US-Interessen. Die Fragen stellte «Message»-Herausgeber Lutz Mükke.

Frau Huber, Russland hat Ende September nach zwanzig Jahren die amerikanische Auslandhilfeorganisation USAID aus dem Land geworfen. Wie beurteilen Sie als Osteuropa-Expertin die westliche Berichterstattung über diesen Akt?

Mária Huber: Schauen Sie sich die Schlagzeilen an. Diese lauten vielerorts so, als ob Russ­land mit dieser Aktion Amerika provoziere. Tatsächlich ist es seit Jahren genau andersherum. Die wirklichen Hintergründe werden selbst von Moskau-Korrespondenten nicht ausgeleuchtet. Die Berichte über die USAID-Ausweisung zitieren beschwichtigende Stellungnahmen der amerikanischen Regierung und die Klagen oppositioneller Gruppen. Im Grunde läuft es fast immer auf eine simple Gut-Böse-Dichotomie hinaus – vereinfacht gesagt: Die böse russische Regierung weist die um Demokratie und Menschenrechte bemühte Hilfsorganisation USAID aus.

Putin hat erst in diesem Sommer ein viel kritisiertes «Agentengesetz» gegen vom Ausland finanzierte politische NGOs erlassen. Finden Sie es in Ordnung, dass die russische Opposition von der Unterstützung aus dem Westen abgeschnitten wird?

In diesem Fall ganz klar: Ja. Denn kein souveräner Staat lässt reaktionslos Einmischungen in innere Angelegenheiten zu, die so konkret auf einen Regierungswechsel hinarbeiten. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die westlichen Medien USAID während langer Zeit als Agentur für Demokratie und Menschenrechte beschrieben haben. Offenbar ist das Teil eines Gesamtbildes, das seit ein paar Jahren im Westen von der russischen Opposition gezeichnet wird. Die aussenpolitischen Interessen der USA in Russland haben in diesem Bild keinen Platz.

Zehntausende Oppositionelle demonstrierten für Presse- und Meinungsfreiheit, gegen Korruption, Wahlmanipulationen, selbstherrliches Regieren. Diese Anliegen sind doch nicht allesamt von den USA ferngesteuert.

Ich übersehe diese Bewegungen keineswegs. Aber ich gehöre zu den wenigen recherchierenden Analytikern, denen es nicht entgehen kann, dass US-amerikanische Akteure seit Jahren systematisch versuchen, russische Oppositionsgruppen im Sinne der US-Aussenpolitik zu instrumentalisieren. Sie haben zur Stärkung des oppositionellen Potentials im ganzen Land Hunderte NGOs finanziert und viele sogar extra zu diesem Zweck gegründet. USAID spielte dabei eine tragende Rolle. In deutschen Redaktionen wird dieser Zusammenhang ignoriert. Statt dessen wird jedes kleine Projekt, jeder kleine Protest aufgegriffen und so dargestellt, als gehörte alles zu einer grossen Volksbewegung gegen Putin. Pussy Riot beispielsweise füllte das ganze Sommerloch.

Was kritisieren Sie an der Berichterstattung über Pussy Riot?

Auch hier bin ich erstaunt, wie einseitig berichtet wurde. Es gab diesen Gerichtsprozess, klar, und dass die drei für eine so skurrile Aktion ins Gefängnis müssen, ist für unser Verständnis von Meinungsfreiheit inakzeptabel. Aber selbst über Pussy Riot wird so berichtet, als sei Putin persönlich dafür verantwortlich. Im übrigen wurde kaum irgendwo darauf hingewiesen, dass ihre Auftritte auch nach deutschem Recht strafbar wären.

Sie vertreten demnach die These, dass sich russische Oppositionelle vor den Karren der US-Aussenpolitik spannen lassen und die Moskau-Korrespondenten dies nicht durchschauen.

Ja, beides trifft zu. Die USA fördern ein riesiges Netzwerk an Organisationen, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen. Die Programme von USAID hängen mit dem Ressourcenreichtum Russlands zusammen. Seitdem Boris Jelzin von der Bühne abgetreten ist, suchen die USA nach einem neuen verläss­lichen Partner in Moskau, der ihnen Zugang zu Russlands Märkten, Unternehmen und Ressourcen öffnet. Putin ist dieser Mann bestimmt nicht. Das hat er nicht zuletzt mit dem Chodorkowsky-Prozess deutlich gezeigt. Und deshalb wird jetzt versucht, die Schwachstellen des Putin-Systems zu nutzen und eine Protest-Atmosphäre zu schaffen. Prominente US-Politiker betonen immer wieder, dass Demokratieförderung einer der billigsten und effizientesten Wege sei, diese Interessen durchzusetzen. Michael McFaul, seit Anfang des Jahres US-Botschafter in Moskau, formuliert es so: «Es gibt eine genuine Korrelation zwischen den demokratischen Normen weltweit und dem Machtzuwachs der USA.»

Dass die USA mit ihrer Aussenpolitik nationale Interessen verfolgen, ist nichts Neues und zudem legitim.

Aber warum sollten dann Russlands Interessen nicht legitim sein, sich gegen solche Einflussnahmen zu wehren und fremdfinanzierte Interessengruppen, Institute und Organisationen als «Agenten» unter besondere Beobachtung zu stellen? Beispielsweise wird das Juri Lewada Analytical Centre, das in der westlichen Presse gern als unabhängiges Sozialwissenschaftliches Institut zitiert wird, von National Endowment for Democracy (NED) mitfinanziert. So wird über Umfragen und Forschungen Agenda Setting betrieben.

Warum sollten unsere Korrespondenten solche Einflussnahmen nicht recherchieren wollen?

Darüber kann ich nur spekulieren. Vielleicht meinen sie, es sei ehrenwert, mit einseitigen Berichten die Protestbewegungen zu unterstützen.

Sind diese Protestbewegungen denn keine ehrenwerte Sache?

Für unser bürgerschaftliches Engagement in Deutschland ist diese Einstellung sicher grundlegend. In der amerikanischen Aussenpolitik ist Demokratieförderung aber kein Selbstzweck, sondern dient geopolitischen Interessen. USAID betreibt ein knallhart kalkuliertes Programm. Und Journalismus sollte gerade bei diesen Themen Unabhängigkeit wahren und sich nicht missionarisch mit einer Seite identifizieren.

Können Sie etwas genauer die Aktivitäten beschreiben, die von den USA in Russland ­finanziert und von den Korrespondenten übersehen oder gar verschwiegen werden?

In einem USAID-Bericht von Dezember 2010 wird ganz offen und detailliert beschrieben, wie die Bevölkerung gegen Putin mobilisiert werden solle. Das geschah sehr geschickt zum Beispiel über Programme zur Partizipation an der Kommunalpolitik. Offiziell heisst es, Interesse bestehe daran, das Verhältnis der Bürger zur Politik zu ändern. Auch durch Schulungen, Projektausschreibungen und Anreize wie Stipendien in den USA, Jobs in NGOs oder Seminare für junge russische Führungskräfte. Ein riesiges Netzwerk an amerikanischen und russischen Partnerorganisationen erhielt und verteilte Millionen Dollar für zielführende Projekte, juristische Beratung der Beteiligten und für ausführliche Medienarbeit.
Strategisch ist alles darauf ausgerichtet, in den Provinzen Protest gegen Putin entstehen zu lassen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich halte viele Proteste der Opposition für legitim, aber ich erwarte, dass sich Journalisten nicht nur freuen, wenn Putins Macht auch in den Provinzen bröckelt, sondern dass sie erklären, was alles dahintersteckt.

Ganz so unterbelichtet ist dieses Thema nicht. Schon 2005 im Zuge der orangen Revolution in der Ukraine erschienen allein in Deutschland sehr gut recherchierte Berichte über die finanziellen und organisatorischen Hintergründe von Oppositionsbewegungen, die in Serbien, Georgien und der Ukraine autoritär regierende Präsidenten gestürzt haben. «Der Spiegel» veröffentlichte zwei lange Artikel über «Die Revolutions-GmbH». Sie selbst schrieben über diese Hintergründe in der «Zeit».

Die Motive der ausländischen Akteure wurden keineswegs beleuchtet, sehr wohl aber das internationale Personal der Revolutions-Aktivisten gefeiert. Die mit grossem Aufwand recherchierten Beiträge beschreiben immerhin die aufwendigen Trainingsprogramme für oppositionelle Jugendgruppen. Allerdings erst Monate nach dem grossen Jubel. Gerade die Spiegel-Beiträge strotzten vor Revolutionslyrik. Ich bin verblüfft, dass viele Journalisten trotz der mittlerweile angehäuften Erkenntnisse über die farbigen Revolutionen in Osteuropa sich nicht verpflichtet fühlen, die Rolle ausländischer Akteure wie USAID auch in Russland kritisch zu hinterfragen. Ich beobachte, wie die meisten Moskau-Korrespondenten auf einer Welle der ­politisch wohlfeilen Kritik gegen das autoritäre Putin-Regime reiten.

Die russischen Oppositionsbewegungen sind doch viel zu verschieden, um sie pauschal zur Fünften Kolonne Washingtons und der US-Geheimdienste zu degradieren.

Bei den Protesten in Russland mischen viele Gruppen mit – Nationalisten, Anarchisten, radikale Marktliberale, Betonkommunisten und korrupte Oligarchen. Sie alle eint die Gegnerschaft zu Putin, nicht die Liebe zur Demokratie oder gar eine Vorstellung davon, wie Russland ein Rechtsstaat werden könnte. Viele auf Rechtsstaatlichkeit ausgerichtete NGOs, wie zum Beispiel Golos und Memorial, sind wiederum ausländischen Geldgebern verpflichtet. Oder nehmen wir das Institute for Urban Economics: Das wurde von USAID aufgebaut, um auf die Fiskal- und Bodenpolitik Einfluss zu nehmen. Es muss seine Vorhaben jedes Jahr mit USAID abstimmen. Solche Zusammenhänge sucht man in den Medien vergebens.

Unterstellt, es ist so, wie Sie es beschreiben: Was sind die tieferen Gründe? Ist es mangelnde Professionalität, zum Beispiel Naivität?

Zum einen beobachte ich bei fest angestellten Korrespondenten den Hang, Politik machen zu wollen. Zum andern scheint mir, dass viele der freien und Teilzeit-Korrespondenten in dem fremdfinanzierten NGO-System engagiert sind.
Ihnen fehlt die Unabhängigkeit, um wirklich aufzuklären. Keine glaubwürdige Redaktion würde akzeptieren, wenn ein Händler der Automarke X über das neue Modell des Konkurrenten Y einen Testbericht anböte. Hier in der Welt der NGOs aber ist es so. Darum wäre es notwendig, gerade hier auf die Trennung von Polit-PR und Journalismus zu achten.

Wieviel Aufwand müsste ein Korrespondent betreiben, um die von Ihnen skizzierten Hintergründe zu recherchieren?

Das ist nicht aufwendig. Anhand von Finanzflüssen werden viele Zusammenhänge deutlich. Will man zum Beispiel wissen, welche Menschenrechtsorganisationen in Russland Geld aus den USA erhalten, muss man sich nur die Mühe machen, Jahresberichte von Partnerorganisationen von USAID wie NED oder Freedom House auszuwerten. Ausserdem gibt es Strategiepapiere, Factsheets und Evaluierungen, in denen manches deutlich wird. Zudem gibt es Experten aus der Wissenschaft.
Doch die meisten Journalisten scheinen von ihrer tagesaktuellen Arbeit so vereinnahmt, dass sie wissenschaftliche Publikationen wie die Habilitationsschrift von Bernd Stöver nicht wahrnehmen. Das Buch, bereits vor zehn Jahren abgeliefert, ist noch immer aktuell. Es durchleuchtet die amerikanische «Liberation Policy» im Kalten Krieg. Ziel dieser Strategie war der Sturz unerwünschter Regierungen mit einer Mischung aus verdeckten und offenen Operationen, Propaganda und Mobilisierung von Dissidenten, Exilgruppen und innerer Opposition. Nichts anderes läuft derzeit meiner Einschätzung nach in Russland, wenn man berücksichtigt, dass anstelle der CIA Organisationen wie USAID, NED und private Stiftungen als Hauptakteure agieren.    •

Quelle: message 4/2012. <link http: www.message-online.com>www.message-online.com

Weiterführende Literatur
Flottau, Renate et al.: Die Revolutions-GmbH. In: Der Spiegel, 46/2002, S. 178–199.
Huber, Mária: Demokratieexport nach Osteuropa: US-Strategien in der Ukraine. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 12/2005, S. 1463–1472.
Huber, Mária: Orange Ukraine in der Krise. In: Europäische Rundschau 1/2010, S. 29–41.
Stöver, Bernd (2002): Die Befreiung vom Kommunismus. Amerikanische «Liberation Policy» im Kalten Krieg 1947–1991
USAID (2010): Impact Evaluation of Local and Regional Governance Projects in Russia.

* Prof. Dr. Mária Huber, geboren in Ungarn, promovierte an der Universität Konstanz über Entwicklungstheorien und -strategien. Sie arbeitete von 1973 bis 1983 als wissenschaftliche Assistentin an der Universität Tübingen und habilitierte dort im Fach Politikwissenschaft mit einer Arbeit über Partizipation der Arbeiter in sowjetischen Industriebetrieben. Als Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft absolvierte sie mehrere Studienaufenthalte in Moskau und Leningrad und lebte von 1988 bis 1994 in Moskau, wo sie unter anderem für «Die Zeit» über die UdSSR und die GUS berichtete. 1994 folgte sie einem Ruf an die Universität Leipzig, wo sie bis zu ihrer Emeritierung 2008 Professorin für Internationale Beziehungen mit dem Schwerpunkt Osteuropa war.

«Prominente US-Politiker betonen immer wieder, dass Demokratieförderung einer der billigsten und effizientesten Wege sei, diese Interessen durchzusetzen. Michael McFaul, seit Anfang des Jahres US-Botschafter in Moskau, formuliert es so: ‹Es gibt eine genuine Korrelation zwischen den demokratischen Normen weltweit und dem Machtzuwachs der USA.› »

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK