Deutschland
von Karl Müller
Der Neokolonialismus des US-Imperiums, der die Welt in den vergangenen 20 Jahren wie eine Plage überzogen hat, ist obsolet geworden und hat keine Zukunft mehr.
«Die transatlantischen Einflussgremien mit ihren intransparenten Entscheidungszirkeln untergraben nachhaltig die Basis der Demokratie, nicht nur in Deutschland. […]
Wir haben im Zuge dieser Abhandlung gesehen, dass ein Grossteil der politischen Eliten in Deutschland Teil der transatlantischen Netzwerke ist. […]
Die transatlantischen Netzwerke fördern seit Ende des Zweiten Weltkriegs systematisch Eliten in Deutschland, die sich ihren Interessen unterordnen und leicht lenken lassen. […]
Auf Grund der Tatsache, dass die Bundesregierung sowie deren Umfeld eine hohe Konzentration an Young Leaders und Sympathisanten aufweist (Merkel, Westerwelle, Guttenberg, de Maiziére u.a.), liegt es nahe zu schlussfolgern, dass es in Deutschland so gut wie keine autochthonen Eliten mehr gibt, die primär die Interessen Deutschlands und das Wohlergehen dieses Landes im Auge haben.»
Friederike Beck: Das Guttenberg Dossier. Das Wirken transatlantischer Netzwerke und ihre Einflussnahme auf deutsche Eliten. Aktuelle und geschichtliche Einblicke, 2011, Seite 181ff.
Ein Gespräch mit zwei jungen Offiziersanwärtern der deutschen Bundeswehr, beide Studenten an einer Bundeswehrhochschule. Beide sprechen, so macht es den Eindruck, sehr offen, sagen, was sie denken und so alles mitbekommen. Sie finden es richtig, dass die deutsche Armee nun endlich eine «Armee im Einsatz», eine Armee im Kriegseinsatz ist. Aber wie soll es denn weitergehen, wenn sich die Bundeswehr 2014 aus Afghanistan wieder zurückzieht? Antwort: Die neuen Einsatzorte sind schon geplant. Zum Beispiel: Somalia. Ganz Afrika sei schon aufgeteilt. Jedes Land habe seine Einfluss- und Kontrollgebiete auf dem Kontinent. Mit den Chinesen sei auch schon alles abgesprochen. Die Bundeswehr habe für ihr Gebiet in Afrika sogar einen eigenen Satelliten bekommen. Schon jetzt wird aus der Luft alles vermessen, mit Infrarot könne man sogar in das Innere der Häuser schauen, die führenden Offiziere würden die notwendigen Sprachen schon lernen, Erkundungskommandos seien schon unterwegs.
Man erinnert sich: Afrika, das auf Brzezinskis Schachbrett vor 15 Jahren noch keine Erwähnung wert war, ist ein ausserordentlich rohstoffreicher Kontinent und gewinnt zunehmend an weltpolitischer Bedeutung.
«Archaische Kämpfer», wie erstmals 2004 vom damaligen Heeres-Inspekteur Budde gefordert, gebe es nun auch immer mehr bei der Bundeswehr – sagen die beiden jungen Soldaten. Zwar nicht so wie bei den Amerikanern, da werde jeder Soldat noch immer in den ersten 14 Tagen seines Dienstes total gebrochen und dann im Sinne der Armeeführung ganz neu «aufgebaut». Bei der Bundeswehr sei der «archaische Kämpfer» noch immer etwas ganz anderes. Wer erinnert sich noch? Die deutsche Jugend sollte sein: flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl. Aber irgendwie auch bindungslos: wie ein wildes Tier. Von Gewissen und Verantwortung für den Mitmenschen ist nicht die Rede. Kein einziges Wort vom Grundgesetz und vom Völkerrecht, kein Wort von der Uno-Charta und der Pflicht zum Frieden und zur Gerechtigkeit.
Alles nur Soldatenlatein?
Am 7. Februar veröffentlicht die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» einen Beitrag von Lothar Rühl. Bei Wikipedia heisst es über den Autor: «Zwischen 1969 und 1973 war Rühl stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung ‹Die Welt›, bis 1980 ZDF-Sonderkorrespondent in Brüssel und anschliessend stellvertretender Regierungssprecher der Bundesregierung. Von 1982 bis 1989 war er Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung. Er habilitierte 1986. Er ist Professor am Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen der Universität zu Köln und als solcher arbeitet er auch mit dem Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) an der Universität Bonn zusammen.» Kein unbeschriebenes Blatt also.
Rühls Beitrag hat den Titel: «Der Westen ist Europa überantwortet». Kerngedanken des Artikels sind: Die grossen Veränderungen in Nordafrika im Jahr 2011 haben die westlichen Länder unvorbereitet getroffen. Nun – man höre und staune und frage sich, warum das Zündeln in Nordafrika nicht aufhört – drohe «in Tunesien wie in Libyen und im grossen Rest Nordafrikas wie auch im subsaharischen Westafrika eine Ausbreitung des islamischen Fundamentalismus mit aggressiven Spitzen». Deshalb, so Rühl, «ist es sehr wohl möglich, dass der ‹Kampf gegen den Terror›, wie die amerikanische Parole unverändert lautet, auch hier geführt werden muss.»
Rühl nennt auch die Einsatzorte: der Osten und Süden Libyens, von Tschad und Sudan bis nach Somalia. Es gehe um «die Sicherung der internationalen Seefahrt und des Welthandels». Und er fügt noch hinzu: «Dasselbe gilt für den Suezkanal mit der Passage durch das Rote Meer und für die Golfregion mit den arabischen Wirtschaftspartnern und dem sicheren Zugang zu den Erdöl- und Erdgasquellen.»
Allerdings: Der Krieg gegen Libyen, der wohl eine Art Testlauf für den europäischen Einsatz war, habe gezeigt, dass die EU-Staaten noch immer nicht in der Lage seien, eigenständig Kriege zu führen. Noch immer habe man die US-Armee gebraucht. Die EU brauche deshalb dringender denn je «geeignete militärische Mittel zur Krisenbeherrschung, etwa Expeditionskorps zur Intervention und aus der Ferne wirksame Waffen, Aufklärungsmittel, Luft- und Seeraumkontrolle, strategischen Truppentransport über grössere Distanzen zur See und in der Luft mit Landekapazitäten». Also lauter Mittel für völkerrechtswidrige Angriffskriege und neokoloniale Eroberungen. «Finanzielle Sparzwänge der europäischen Staaten», fügt Rühl gleich hinzu, «dürfen dafür nicht der Grenzen setzende Massstab sein.»
Vor allem: EU-Europa müsse endlich erkennen, dass sich die US-amerikanische Strategie geändert habe: «Die neue amerikanische Strategie für jeweils einen grösseren Kriegseinsatz im Dienste der amerikanischen Politik, nicht allgemein als ‹Weltpolizist›, ist auf den Orient und auf den Pazifik mit Australien und Südasien konzentriert, von Ägypten mit dem Suezkanal, Israel und der Türkei an ostwärts aus dem Mittelmeer über den Golf und den Indischen Ozean.» Dann Rühls Schlusssatz: «Der Westen ist Europa überantwortet.»
Als Frage formuliert: Soll nun die EU den Kriegsvasallendienst in Afrika leisten?
Übrigens: Die beiden Bundeswehrsoldaten berichten, dass man in der Bundeswehr ganz schnell Karriere machen kann, wenn man sogenannte «Rechte» enttarnt. Interessant: Früher dachte man immer, die «Rechten» seien die Kriegstreiber. Die Zeiten haben sich im Rahmen neokonservativer, internationalistisch-trotzkistischer Kriegspropaganda und Weltregierungspläne ganz offensichtlich geändert.
Interessant auch, was die «Neue Zürcher Zeitung» am 4. Februar über die Versuche geschrieben hat, Deutschland während der Münchner Sicherheitskonferenz vom 3. bis 5. Februar eine neue Rolle in der Weltpolitik zukommen zu lassen: «Der stellvertretende israelische Aussenminister Daniel Aylon erklärte in München die Bundesrepublik kurzerhand nicht nur zur europäischen Führungsmacht, sondern zu einem ‹world leader›.» Einen Tag später echote die auflagenstärkste deutsche Sonntagszeitung Bild am Sonntag: «Wenn Iran nicht einlenkt und es zu einem Militärschlag kommt, kann der Platz Deutschlands nirgendwo anders sein als an der Seite Israels.» Aber hier ist die Debatte – Gott sei Dank – noch nicht abgeschlossen.
Die «Neue Zürcher Zeitung» vom 4. Februar hatte im schon erwähnten Artikel nämlich auch noch hinzugefügt: «Generell wünschen sich die meisten Deutschen für ihr Land eher die Rolle einer grossen Schweiz, die sich nicht in die Händel der Welt einmischt.» Die aussenpolitische Kluft zwischen den Bürgern und den «Verantwortungsträgern» in Deutschland ist ausserordentlich gross. Für die meisten Bürger ist nämlich klar: Die derzeitigen Krisen wären Anlass genug, dass die sogenannten Verantwortungsträger gründlich über die Bücher gehen. Sie wissen: Die Erkenntnis, dass die sich kumulierenden Probleme im eigenen Land, in Europa und in der Welt etwas mit der bisherigen Art und Weise der Gestaltung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu tun haben, erfordert ein Umdenken, eine neue Art und Weise der Gestaltung.
Das bisherige falsche Spiel der Interessen- und Machtpolitik im Politpokerstil mit immer neuen taktischen und strategischen Winkelzügen hat in eine immer gefährlicher werdende Sackgasse geführt, und es ist allerhöchste Zeit, dass alle Beteiligten ihre Karten offen auf den Tisch legen und endlich gleichwertig und ehrlich miteinander sprechen; weil man die Probleme nur gemeinsam wird lösen können: gemeinsam mit den Bürgern im eigenen Land, gemeinsam mit den Staaten und Völkern überall in der Welt.
Für Deutschland speziell wäre es dabei sicherlich auch hilfreich, wenn die zahlreichen transatlantischen Netzwerke, in denen deutsche Politik bislang noch an den Verfassungsorganen vorbei präjudiziert wird, ein breiteres öffentliches Thema würden. Dabei kann jeder auf schon Publiziertes zurückgreifen. Friederike Beck zum Beispiel hat für eine solche Debatte mit ihrem erst kürzlich erschienenen Buch «Das Guttenberg Dossier. Das Wirken transatlantischer Netzwerke und ihre Einflussnahme auf deutsche Eliten. Aktuelle und geschichtliche Einblicke» (2011, ISBN 978-3-943007-00-8) wertvolles Material zusammengetragen. •
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