Global+
von Michèle Laubscher
Die OECD, der Klub der Industrieländer, nutzt ihren jüngsten Jahresbericht über die Entwicklungszusammenarbeit für einen Rückblick auf die letzten 50 Jahre und einen Ausblick auf kommende Herausforderungen.1 Vom früheren Weltbank-Präsidenten James Wolfensohn über die Leiterin der Uno-Frauenorganisation Michelle Bachelet bis zum Präsidenten der afrikanischen Entwicklungsbank Donald Kaberuka nehmen neun Autorinnen aus ihrer jeweiligen Warte Stellung. Herausgekommen ist eine Ansammlung von Postulaten, die kein klares Bild ergibt, aber einige Trends der laufenden Entwicklungsdebatte bestätigt.
So wird die Bedeutung der Millennium-Entwicklungsziele (MDG) gewürdigt, die der Entwicklungshilfe und ihrer Finanzierung neuen Schub gegeben haben. Gleichzeitig werden die MDG angegriffen, weil sie zu stark auf die soziale Entwicklungsdimension ausgerichtet seien und das Wirtschaftswachstum ignorierten.
Diese Kritik liegt ganz im internationalen Trend. Staatliche Entwicklungsagenturen und die EU-Kommission, Entwicklungsbanken und die G 20 fordern immer lauter: Weg mit Sozialzielen, her mit Wirtschaftswachstum, der Privatsektor ist der Motor der Entwicklung. Wie aber soll in armen Ländern die Wirtschaft wachsen, wie der Privatsektor erstarken, wenn grosse Teile der Bevölkerung unterernährt, ungebildet und häufig krank sind? MDG-Basher geben darauf die vage Antwort, das Wachstum müsse eben inklusiv, breitenwirksam und grün sein …
Die Autorinnen sind sich in den grossen Zügen einig, wohin die Reise geht: Die Entwicklungszusammenarbeit müsse weit mehr Themen aufgreifen als nur die Armutsbekämpfung. Sie soll die Klimafrage und die Ungleichheit der Geschlechter angehen, makroökonomisches Gleichgewicht und Handel fördern, die Biodiversität schützen, die Menschenrechte durchsetzen, indigenen Völkern die Kontrolle über ihre Ressourcen sichern, als Hebel für Privatinvestitionen dienen, Infrastrukturen (Transport, Energie usw.) bauen, und noch einiges mehr.
Bei dieser schier endlosen Liste ist es kein Wunder, dass der frühere DAC-Chef Richard Manning die – rhetorische – Frage stellt, ob sich die Entwicklungszusammenarbeit nicht das Ziel «nachhaltiges Management des Planeten» setzen sollte.
Für den ehemaligen Direktor der französischen staatlichen Entwicklungsagentur Jean-Michel Severino ist das keine Frage, sondern ein Imperativ: Die Entwicklungszusammenarbeit müsste in «globale Sozialpolitik» umbenannt werden und sich der Gesamtheit der globalen öffentlichen Güter2 annehmen.
Tatsächlich spielen globale öffentliche Güter eine entscheidende Rolle für die Entwicklung eines Landes. Doch daraus zu folgern, dass es Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit ist, diese Güter zu erhalten oder bereitzustellen, damit sich arme Länder entwickeln können, ist ein gefährlicher Umkehrschluss. Die Risiken beschreibt Manning kurz und eindringlich: Arme Länder könnten gezwungen werden, die Entwicklungshilfe so zu investieren, dass vor allem andere davon profitieren. Als Beispiel nennt er saubere, aber teure Energietechnologien. Dieser absehbare Zwang zu Investitionen in globale öffentliche Güter mache es für hilfsabhängige Länder sehr schwierig, die Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, ausgewogen einzusetzen.
Mit anderen Worten: Je mehr Entwicklungshilfe in globale öffentliche Güter fliesst, desto weniger werden hilfsabhängige Länder in die lebenswichtige Grundversorgung ihrer Bevölkerung investieren können. Andererseits gibt es zwischen solchen Gütern und der Armutsbekämpfung Wechselwirkungen: Die Folgen von Klimaerwärmung, Pandemien wie HIV/Aids oder Finanzkrisen steigern die Armut.
Deshalb sei es unmöglich, so Manning weiter, klar zu bestimmen, was als Finanzierung von Entwicklung oder aber von öffentlichen Gütern gelte. Sein Weg aus dem Dilemma: Die Entwicklungszusammenarbeit soll zwar mehr Themen angehen, aber gleichzeitig ihren Armutsfokus schärfen, indem sie sich zum Beispiel auf das ärmste Fünftel der Bevölkerung in den Partnerländern konzentriert.
Wie aber sollen all diese neuen Aufgaben finanziert werden? Der Bericht bleibt die Antwort schuldig. Einzig Severino äussert sich dazu, wenn auch ziemlich wolkig. Er schlägt eine Besteuerung der reichen Eliten in allen Ländern vor, etwa über eine Abgabe auf Flugtickets. Doch ausgerechnet jene internationale Steuer, die wirklich einschenken würde, übergeht Severino, der heute unter anderem im Verwaltungsrat des Lebensmittelmultis Danone sitzt: die Steuer auf dem Devisenhandel. Die Uno-Entwicklungsorganisation UNDP hat jüngst errechnet, dass ein Steuersatz von 0,005 Prozent jährlich 40 Milliarden US-Dollar einbringen würde. Verschiebt man das Komma um eine Stelle nach rechts, wäre die Besteuerung noch immer minim, würde aber mehr als genug einbringen, um die MDG und die notwendigen Klimamassnahmen in Entwicklungsländern zu finanzieren.
Sehr konkret wird der Franzose hingegen in der kreativen Buchhaltung. Er schlägt vor, sämtliche Ausgaben, die in irgendeiner Form zur Entwicklung armer Länder beitragen, als Hilfe anzurechnen. Also nicht nur die staatliche Entwicklungszusammenarbeit, die aus Steuergeldern finanziert wird, sondern auch private Geldflüsse wie Solidaritätsabgaben auf Konsumgütern oder sozial verantwortliche Investitionsfonds von Privatbanken. Solche Rechnungen bringen keinen zusätzlichen Rappen auf. Aber verschiedene Industrieländer drängen darauf, denn damit würden sie viel besser dastehen als heute, wo sie noch weit von ihren finanziellen Versprechen entfernt sind.
Die Finanzierung der Hilfe ist nicht das einzige Thema, das der Bericht ausblendet. Er schweigt auch zur Debatte um die entwicklungspolitische Kohärenz, die sich unter anderem an der Aussenhandelspolitik der Industrieländer entzündet und die für die Entwicklung armer Länder weit bedeutender ist als die Hilfe. Und auch einen Beitrag aus der Zivilgesellschaft sucht man im Bericht vergeblich.
Die OECD sieht sich gern als Vordenkerin und Beraterin in Sachen Entwicklungszusammenarbeit. Will sie diese Rolle auch in Zukunft wahrnehmen, muss sie verhindern, dass die Hilfe zum System umfunktioniert wird, das die nachhaltige Entwicklung des gesamten Planeten vorantreibt und das Management der globalen öffentlichen Güter übernimmt. Denn das ist, bei aller Notwendigkeit eines ganzheitlichen Vorgehens, keine Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit. •
1 Development Cooperation Report 2011, <link http: www.oecd.org dataoecd s3>www.oecd.org/dataoecd/40/S3/488o6367.pdf
2 Dazu zählen unter anderem saubere Luft, intakte Umwelt, Klimastabilität, Frieden, Sicherheit, die Bekämpfung von Pandemien und unkontrollierter Migration, Finanzstabilität und Handelsregeln. Diese Güter sind nicht an nationale Grenzen gebunden und stehen allen Menschen zur Nutzung offen, heute und in Zukunft.
Quelle: Global+ Nr.44 2011/2012
ml. Auch die Schweiz setzt die Entwicklungszusammenarbeit zunehmend für das Management globaler öffentlicher Güter ein. Immer mehr Mittel fliessen in Bereiche, die im direkten Interesse unseres Landes liegen, wie die Klimastabilisierung oder die Bekämpfung von unkontrollierter Migration. Und wie andere Industrieländer wehrt sich die Schweiz gegen neue Möglichkeiten, diese zusätzlichen Aufgaben zu finanzieren, etwa mit Flugticketabgaben oder Steuern auf dem Devisenhandel. Sie will auch nichts davon wissen, einen Teil der CO2-Abgabe für Klimamassnahmen im Ausland zu verwenden. Zurückhaltend ist sie bisher hingegen bei neuen Vorschlägen für die Anrechenbarkeit der Hilfe. Allerdings profitiert sie bereits erheblich von bestehenden Buchhaltertricks: Im letzten Jahr machten die Kosten für die Betreuung von Asylsuchenden aus Entwicklungsländern über 16 Prozent der Entwicklungshilfe aus. Auf einen derart hohen Anteil kommt kein anderes OECD-Land.
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