Die beiden Grundformen aller Gemeinschaftsbildung

Die beiden Grundformen aller Gemeinschaftsbildung

von Adolf Gasser*

Staatliches Gemeinschaftsleben ist, das darf man nie ausser acht lassen, nur im Rahmen eines Ordnungsprinzipes möglich. Und da gibt es, verwaltungsmässig betrachtet, nur zwei grundlegende Ordnungsprinzipien: das Prinzip der Subordination und das der Koordination – oder anders ausgedrückt: das Prinzip der Befehlsverwaltung und das der Selbstverwaltung. Entweder wird die staatliche Ordnung durch einen obrigkeitlichen Befehls- und Machtapparat gesichert, oder dann beruht sie auf dem freien gesellschaftlichen Willen einer Volkskollektivität.
Im einen Falle erfolgt der Aufbau des Staates im wesentlichen von oben nach unten, im andern Fall von unten nach oben. Dort verkörpert sich das ordnende Prinzip in einer Gewöhnung ans Befehlen und Gehorchen, hier in einem allseitigen Willen zur freien Zusammenarbeit. – Wohl hat es immer wieder Verwaltungsordnungen gegeben, in denen, äusserlich betrachtet, die beiden Elemente zur Verbindung gelangten; aber bei solchen Mischformen behält, wie die Geschichte zeigt, doch das ursprünglich konstituierende Ordnungsprinzip dauernd ein bestimmendes Übergewicht […].
Zur Bezeichnung der beiden gegensätzlichen Ordnungsprinzipien lassen sich verschiedene Begriffe verwenden. Es eignen sich hiefür z.B. die gegensätzlichen Wortpaare herrschaftlich – genossenschaftlich, obrigkeitlich – gesellschaftlich, hierarchisch – föderativ, apparatmässig – volksmässig. Indem wir je nach Zweckmässigkeit bald das eine, bald das andere Wortpaar herausgreifen, stellen wir fest: Der Gegensatz Herrschaft – Genossenschaft ist vielleicht der wichtigste Gegensatz, den die Sozialgeschichte kennt. Beim Gegensatz Obrigkeitsstaat – Gesellschaftsstaat geht es eben um schlechtweg fundamentale Dinge: nämlich um die elementarsten Grundlagen des menschlichen Gemeinschaftslebens. In grundlegender Weise unterscheiden sich die beiden gegensätzlichen Staatsgestaltungen vornehmlich durch geistig-sittliche Kennzeichen. Je nach dem Vorherrschen des einen oder des anderen Ordnungsprinzipes erscheinen die Staaten von entgegengesetztem Gemeinschaftsgeist beseelt: entweder vom Herrschaftsgeist oder vom Genossenschaftsgeist.
Herrschaftliche Staatsgebilde gab es dereinst, man denke an die Feudalherrschaften des Mittelalters, auch im kleinen Raume, also gleichsam in dezentralisierter Form. Indessen: Wo immer der Herrschaftsgeist auf die staatliche Zusammenfassung grösserer Räume abzielt, da bedarf er hierzu eines vom Volke abgesonderten militärisch-bürokratischen Zentral­apparates. Bekanntlich war es in den französischen Provinzen, den deutschen Fürstentümern, den italienischen Teilstaaten usw. der Absolutismus, der als eine Herrschaftsform zentralistischer Prägung den Feudalismus absorbierte und überwand. Von da an ist der Verwaltungszentralismus für die meisten Staaten des europäischen Festlandes eine massgebende Schicksalsmacht geblieben. Bis heute war es dort immer eine von oben her eingesetzte Beamtenschaft, eine ortsfremde, mit umfassender Befehlsgewalt ausgerüstete Bürokratie, die in entscheidender Weise über die regionalen und lokalen Verwaltungsgeschäfte bestimmte.
Anders als der herrschaftliche Staat wurzelt der genossenschaftliche seinem Wesen nach notwendig stets im kleinen Raume. Und zwar ist es die kleine, übersichtliche Raumeinheit der Gemeinde, in der allein lebendige genossenschaftliche Selbstverwaltung sich entfalten kann. In der Tat besitzt das föderative Ordnungsprinzip seinen Ausgangspunkt regelmässig in der freien, wehrhaften Volksgemeinde, d.h. in dem auf sich selbst gestellten, von keiner autoritären Beamten- und Heeresapparatur abhängigen Kommunalverband. Und es ist interessant festzustellen: Grossräumigere Staatskörper von nationalstaatlichem Gepräge konnten immer nur dann in genossenschaftlichem Geiste emporwachsen, wenn sie aus einer Zusammenfügung freier, wehrhafter Volksgemeinden hervorgingen. Demgemäss haben denn auch die «altfreien Volksstaaten» (d.h. die skandinavischen und angelsächsischen Länder, Holland und die Schweiz) ihre regionalen und kommunalen Unterverbände nie mittels militärischer Befehlsprinzipien und ortsfremder Regionalbürokratie regieren lassen.

*Der Text ist ein Auszug aus seinem Buch «Gemeindefreiheit als Rettung Europas»,
Basel 1957, Seite 12ff.

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