von Dr. iur. Marianne Wüthrich
Alle sind sich einig, dass die Schweiz ein sehr gut ausgebautes und gut funktionierendes Gesundheitssystem hat. Das ist nur möglich wegen der Zuständigkeit der Kantone und Gemeinden, die in kleinräumiger Übersicht ihre Verantwortung wahrnehmen.
Im Gesetzestext und in der Botschaft des Bundesrates wird an vielen Stellen eine uns Schweizern fremde und höchst alarmierende Tendenz deutlich:
«Die Führungsrolle des Bundes zu stärken» – eine Wortwahl, die der schweizerischen Denkweise in keiner Weise entspricht. Es kann und darf doch nicht Ziel eines Bundesgesetzes sein, dass der Bund in seiner Führungsrolle gestärkt wird! Das Volk ist der Souverän, es möchte nicht geführt werden.
Vielmehr entspricht es dem Wesen des föderalistischen Staatsverständnisses, dass die Kantone ihre Angelegenheiten soweit wie immer möglich selbst erledigen, der Bund jedoch nach den Regeln des Subsidiaritätsprinzips nur dort tätig wird, wo die Kantone nicht in der Lage sind, ihre Aufgaben zu bewältigen.
So steht es in der Bundesverfassung:
Art. 3 Kantone
Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind.
Dieser Grundsatz gilt auch für das Gesundheitswesen. Gemäss Art. 118 BV Abs. 1 ist der Bund befugt, «im Rahmen seiner Zuständigkeiten Massnahmen zum Schutz der Gesundheit» zu treffen. So darf der Bund Vorschriften erlassen «über die Bekämpfung übertragbarer, stark verbreiteter oder bösartiger Krankheiten von Menschen und Tieren» (Art. 118 Abs. 2 b). Seine verfassungsmässige Kompetenz hat der Bund mit dem EpG von 1970 wahrgenommen, das mit zahlreichen Revisionen den jeweiligen Erfordernissen der Zeit angepasst wurde. Es besteht kein Bedarf für ein neues Gesetz, schon gar nicht für eines, das den Rahmen der Verfassung sprengt.
In zahlreichen Vernehmlassungsantworten wurde die Degradierung der Kantone zu blossen Vollzugsgehilfen abgelehnt: «8 Kantone und 4 Organisationen lehnen die Lösung ab, da sie lediglich eine Anhörung der Kantone vorsieht.» (Botschaft, S. 331) Deshalb hat der Bundesrat das Wort Anhörung durch Einbezug ersetzt und beteuert, die Kantone könnten «bei der Erarbeitung der Ziele und Strategien zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten […] aktiv mitwirken». (S. 334)
Wer nun glaubt, damit sei der Wahrung des Föderalismus Genüge getan, irrt sich gewaltig. Denn «Mitwirkung der Kantone» bedeutet schon längst nicht mehr, dass alle 26 Kantonsregierungen sich zu einer Sache schriftlich äussern können und diese Äusserungen eine konkrete korrigierende Wirkung haben. Vielmehr besteht die Mitwirkung der Kantone im Geschehen des Bundes heute aus der Teilnahme einiger Vorstandsmitglieder der jeweiligen «Direktoren-Konferenz», hier der GDK (Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und Gesundheitsdirektoren) an den Sitzungen der Bundesverwaltungsstelle, hier des BAG.
Wie in einer Zukunftswerkstatt: Im sogenannt «partizipativen Prozess» dürfen einige Leute dabeisein und ihre Meinung kundtun – mit dem direktdemokratischen Entscheidungsrecht der Bürger hat dies rein gar nichts zu tun. Ebensowenig werden die verfassungsmässigen föderalistischen Kompetenzen der Kantone gewahrt, wenn einige Regierungsräte bei den BAG-Sitzungen dabeisein dürfen.
Im Klartext: Von der Bekämpfung allgemeingefährlicher Epidemien ist hier in keiner Weise die Rede – vielmehr wird ganz einfach die verfassungsmässige Zuständigkeit der Kantone für das Gesundheitswesen übernommen.
Der «Einbezug der Kantone» soll dem BAG nur dazu dienen, «seine Aktivitäten in einem bestimmten Themenbereich mit denjenigen der übrigen staatlichen und privaten Akteure auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene abzustimmen und zu koordinieren.» (S. 360) Von föderalistischer Aufgabenteilung keine Spur!
In der Vernehmlassung wurde bemängelt, dass die Gemeinden in die Zusammenarbeit zur Epidemienbekämpfung nicht einbezogen werden. (S. 332) Offenbar zur Beschwichtigung dessen wird in der Botschaft (S. 360) plötzlich die Gemeindeebene erwähnt.
Tatsache ist: Ohne die volle und eigenverantwortliche Mitwirkung der Gemeinden mit ihrer feinmaschigen Organisation geht in der Schweiz bei der Bekämpfung einer Gesundheitsgefahr oder einer Umweltkatastrophe gar nichts. Das sollte eigentlich auch in Bern bekannt sein.
Die Kantone würden demnach nicht nur zu blossen Vollzugsorganen, sondern der Bund soll zu einem eigentlichen Kontrolleur der Kantone ernannt werden. Langsam fragt man sich als Förderalismus-gewohnter Bürger schon, wohin – und in wessen Auftrag – das Äpfelchen rollt. Zur Staatsstruktur des schweizerischen Bundesstaates passt das revidierte EpG jedenfalls wie die Faust aufs Auge.
Wer diese Kritik für übertrieben hält, dem sei die Lektüre der Botschaft des Bundesrates empfohlen. Hier steht zum Beispiel auf Seite 337: «Er [i.e. der Bund] kann den Kantonen Massnahmen für einen einheitlichen Vollzug vorschreiben und sie bei besonderen Gefährdungen der öffentlichen Gesundheit anweisen, bestimmte Vollzugsmassnahmen zu treffen (Veranstaltungsverbote, Absonderung bestimmter Personen usw.).»
Das fehlte noch, dass unter der Herrschaft des EpG in Zukunft ein Bundesbeamter dem Kanton Tessin solche Massnahmen befehlen würde. Sicher ist jedem klar, dass die Kantone und Gemeinden für ihre Belange im Gesundheitswesen zuständig bleiben müssen.
Obwohl in der Vernehmlassung viele Kantone, Städte, Parteien und Verbände die Notwendigkeit des Koordinationsorgans und/ oder des Einsatzorgans abgelehnt haben, geht der Bundesrat darüber hinweg. (S. 332)
Wozu der Bund so viele neue Gremien zur «Koordination» bzw. zur Befehlserteilung gegenüber Kantonen und Bevölkerung benötigt, bleibt im dunkeln.
Klar ist lediglich, dass auf diese Weise das bereits überdimensionale BAG zu weiteren Abteilungen mit zahlreichen Stellen kommen würde, nachdem das Präventionsgesetz vom Parlament abgelehnt worden ist und dem BAG dadurch ein erhoffter Ausbau versagt wurde.
Jetzt gleist man halt die Prävention über das Epidemiengesetz auf und bezieht die Bundesgelder für ein «Koordinationsorgan», ein «Einsatzorgan» und viele andere neue Ausgabeposten.
«Ab 2013 besteht nach heutigem Kenntnisstand ein Mehrbedarf von jährlich 4,4 Millionen Franken und 300 Stellenprozenten (vgl. Tabelle 4). Die Mehrausgaben werden zu einem späteren Zeitpunkt nochmals geschätzt. Der Bundesrat wird dannzumal auch über die Gegenfinanzierung dieser jährlichen Mehrbelastung entscheiden.
Diese erwarteten zusätzlichen Kosten fallen unabhängig von epidemiologischen Ereignissen und Bedrohungslagen an. In Krisensituationen verursachen die zum Schutz der öffentlichen Gesundheit notwendigen Massnahmen selbstverständlich zusätzliche Kosten.» (Botschaft, S. 429)
Der Bundesrat tönt in raffinierter Weise bereits an, dass diese Kostenschätzung in Wirklichkeit weit überschritten werden dürfte: Wenn dann höhere Kosten anfallen, kann der Bundesrat sagen, er habe ja gesagt, der Mehrbedarf sei «nach heutigem Kenntnisstand» beziffert. Jedenfalls kommen die angegebenen Mehrkosten von 55 000 Franken und 10 Stellenprozenten für das Koordinationsorgan und das Einsatzorgan unwahrscheinlich bescheiden daher (S. 329). Übrigens sind schon 4,4 Millionen und 300 Stellenprozente ein stolzer Ausgabenposten – und dies ohne «epidemiologische Ereignisse und Bedrohungslagen». Das heisst, wenn die jährliche Grippewelle ansteht oder ein toter Vogel an einem Schweizer Seeufer liegt, würde die Sache schon wesentlich teurer werden.
Es stellt sich die dringende Frage: Woher wird der Bundesrat die Millionen nehmen, über deren «Gegenfinanzierung» er «dannzumal» entscheiden will?
Und wer bezahlt den Vollzug der Befehle aus dem BAG? Richtig, die Kantone, die mit dem neuen EpG zwar nicht mehr viel zu sagen, dafür um so mehr zu berappen hätten.
Der Bundesrat redet sich zwar damit heraus, wegen der «ausgeprägten Heterogenität der Kantone» (einst nannte man dies Föderalismus) könnten deren Mehrkosten nicht genau beziffert werden. (Botschaft, S. 432) Aber einiges steht trotzdem fest:
Im Klartext: Die zukünftigen «Ziele und Strategien» des Bundesrates (rEpG Art. 4) sowie die «nationalen Programme» des BAG (rEpG Art. 5), über deren Inhalt und Umfang der Bevölkerung und den Kantonsbehörden nichts bekannt ist, werden noch einige Millionen mehr kosten – und den Kantonen auch noch einiges mehr an Vollzugszwang auferlegen.
Die Kantone als blosse Vollzugsgehilfen für die Zwangsimpfungen und die Sexualaufklärungsprogramme (angeblich zwecks HIV/Aids-Vorsorge!) der auslandhörigen und auf spezielle Sexualpraktiken ausgerichteten Lobby im BAG?
Das revidierte Epidemiengesetz würde also dem BAG Tür und Tor öffnen für eine Ausweitung seiner unsäglichen «Informationskampagnen», die bereits seit Jahren zur Auflösung unserer Wertegesellschaft eingesetzt werden («Bim Sitesprung im Minimum än Gummi drum»; oder in der aktuellen Kampagne: «Melde dich beim Arzt, wenn dein Rüssel Schnupfen hat» o.ä.).
Im Klartext: Dem BAG käme mit dem Epidemiengesetz die Machtfülle eines absolutistischen Herrschers unter Auflösung der Gewaltentrennung und unter Degradierung der Kantone zu Vollzugsgehilfen zu: Das BAG bestimmt die Grundlagen der Epidemienbekämpfung (Legislativfunktion), gleichzeitig weist es die Kantone, die Bevölkerung, das Gesundheitspersonal und die Laboratorien an, was sie zu tun haben (Exekutivfunktion) und zu guter Letzt «überwacht» und «evaluiert» es seine eigenen Übergriffe (Judikativfunktion)! •
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