Gemeinden legen Boden für den internationalen Erfolg des Standortes Schweiz

Gemeinden legen Boden für den internationalen Erfolg des Standortes Schweiz

Rede von Bundespräsident Ueli Maurer anlässlich der Generalversammlung des Schweizerischen Gemeindeverbandes am 20. Juni 2013 in Bern

Ich knüpfe an den ersten Teil der Tagung von heute Vormittag an, den Sie unter den Titel «Gemeinden und Wirtschaft – gemeinsam für starke Standorte» gestellt haben: Ich möchte nun einige Überlegungen anstellen zum Standort Schweiz und zum internationalen Standortwettbewerb. Im Vordergrund stehen für mich staatspolitische Zusammenhänge, auf die ich näher eingehen werde.
Genauso wie es für die Gemeinden wichtig ist, dass sie attraktive Standorte sind, ist das auch für Länder wichtig. Was Sie also auf der Ebene der Gemeinden erleben, wiederholt sich auf der Ebene der Staaten. Allerdings mit einem ganz wesentlichen Unterschied:
Der Standortwettbewerb unter den Staaten spielt sich immer weniger fair und rechtlich korrekt ab. Immer mehr geht es um Macht­politik.
Skizzieren wir zuerst rasch das grosse Bild: Wir haben eine weltweite Schuldenkrise. Die meisten Länder der EU sind davon betroffen, aber auch andere wichtige Wirtschaftsnationen wie die USA und Japan. Trotz Sparanstrengungen und Steuererhöhungen nimmt der Schuldenstand fast überall zu.
Viele der wichtigen Wirtschaftsnationen sind in einer Rezession. Manche schon in der zweiten innerhalb weniger Jahre. Überall hören wir von hohen und von weiter steigenden Arbeitslosenzahlen.
Wir haben also eine Welt, die an Rezession und Schuldenkrise leidet. Und auf dieser Welt gibt es einen Kleinstaat, dem es gutgeht. Die Schweizer Wirtschaft zeigt sich robust und solid. Die Lebensqualität ist allgemein hoch.
Das haben wir unserer freiheitlichen Ordnung und unserer politischen Stabilität zu verdanken. Dazu tragen die Gemeinden sehr viel bei. Sie legen den Boden für den internationalen Erfolg des Standortes Schweiz.
Die freiheitliche Ordnung und unsere ­politische Stabilität beruhen auf drei wichtigen Grundprinzipien, die in unseren Gemeinden schweizweit gelebt werden: Auf Föderalismus, direkter Demokratie und Milizprinzip.

Föderalismus

Das erste Prinzip ist der Föderalismus, inklusive Gemeindeautonomie und Subsidiarität. Nur der Föderalismus lässt die Vielfalt zu, die unser Land braucht.
Die Bedeutung der Vielfalt hatte bereits ­Napoléon Bonaparte erkannt, der die Schweiz einmal mit Gewalt zentralistisch organisieren wollte. Unruhen, Staatsstreiche, Bürgerkrieg waren die Folgen. Kurz: Unser Land erwies sich als unregierbar. Die Schlussfolgerung, die Napoleon zog, ist überliefert – ich zitiere:
«Die Schweiz ist mit keinem anderen Staat vergleichbar. Sei dies auf Grund der Ereignisse der vergangenen Jahrhunderte, der topographischen Verhältnisse, der verschiedenen Sprachen und Religionen sowie der extremen Unterschiede, die in ihren verschiedenen Landesteilen hinsichtlich Sitten und Bräuche bestehen. Die Natur hat euren Staat föderativ gebildet, und es wäre keine weise Tat, sich darüber hinwegzusetzen.»
Das gilt auch heute noch: Es wäre keine weise Tat, sich über den Föderalismus hinwegzusetzen. Und allen Zentralisierungstendenzen sollten Sie gerade aus Sicht der Gemeinden kritisch begegnen.
Diese kleinräumige und kleinsträumige Aufteilung in Kantone und Gemeinden hat sich als Segen erwiesen.
Denn Föderalismus und Gemeindeautonomie bringen uns eine riesige Vielfalt an unterschiedlichen Ideen und Lösungen. Das führt einerseits dazu, dass massgeschneiderte Lösungen möglich sind; Lösungen, die nahe bei den Bürgern und für die Bürger getroffen werden. Andererseits, dass in der Schweiz ein ständiger Ideen- und Lösungswettbewerb herrscht.
Und Wettbewerb spornt an, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik.

Direkte Demokratie

Das zweite Grundprinzip ist die direkte Demokratie. Alle Gemeinden haben ihre eigene funktionierende Demokratie.
Der Gemeinderat muss gewählt werden, die Schulpflege muss gewählt werden, die Kirchenpflege muss gewählt werden, die Rechnungsprüfungskommission muss gewählt werden usw. Und über Sachfragen wird in der Gemeindeversammlung oder an der Urne abgestimmt.
Das prägt uns. Denn in den Gemeinden ist Demokratie sichtbar und greifbar. Es geht nicht um etwas Abstraktes, sondern um die Parkplätze im Dorfzentrum, um den Umbau des Schulhauses oder die Änderung des Zonenplanes.
Als man im 19. Jahrhundert die neuen liberalen Verfassungen in den Kantonen diskutierte, legte man viel Wert auf die Demokratie in den Gemeinden. Man nannte die Gemeinden «Schulen der Demokratie». Die Bürger können gewissermassen vor der Haustür lernen, wie eine demokratische Gemeinschaft funktioniert. Das ist für die Demokratie auf Kantons- und Bundesebene entscheidend. Bei Ihnen in den Gemeinden schaffen Sie die Grundlage für unsere politische Stabilität! 
Und noch etwas ganz Wichtiges: Das Volk setzt den Steuerfuss fest und bestimmt die Höhe der Steuern. Das hilft, die Steuerbelastung auf einem vergleichsweise erträglichen Niveau zu halten. Die Steuerbelastung ist ein wesentlicher Faktor für die Attraktivität eines Standortes. Die Gemeinden tragen damit also direkt zu unserer starken Position im internationalen Wettbewerb um Investitionen bei.
Milizprinzip
Das dritte Element ist das Milizprinzip. Wir Bürger, wir alle zusammen, wir sind dieser Staat. Wir bilden ihn, indem wir auf allen Stufen, von der Gemeinde bis zum Bund, Funktionen übernehmen. Oft im Milizprinzip. Das hält den Staatsapparat einigermassen schlank, zumindest im Verhältnis zu andern Ländern.
Und was ebenfalls wichtig ist: Das Milizprinzip verhindert, dass sich Bürger und Staat entfremden. Denn die Bürger bringen ihre Erfahrungen aus dem Berufsleben mit in die Ämter.
Das gilt übrigens auch für das Militär. Wir profitieren vom Personalpool, der einer der besten Volkswirtschaften der Welt tagtäglich Spitzenleistungen ermöglicht. Und gleichzeitig gibt es keine bessere demokratische Kontrolle der Armee, als wenn sie aus Bürgern besteht.
Darum geht es bei der Abschaffung der Wehrplicht nicht allein um eine militärpolitische Frage. Diese Initiative zielt direkt auf unseren Staatsaufbau; sie zielt auf den Bürger, der Verantwortung für unser Gemeinwesen übernimmt und diesen Staat mitträgt. Es geht dabei um nichts Geringeres als um unsere freiheitliche Staatsordnung und somit um das Erfolgsmodell Schweiz.
In den Gemeinden sehen wir das exemplarisch: Viele der öffentlichen Funktionen sind Milizfunktionen. Darum bleiben die Gemeindebehörden auf dem Boden und nahe bei den Leuten. Sie sind das Scharnier zwischen Staat und Bürger. Damit schaffen Sie Vertrauen in die staatlichen Institutionen.
Persönlich ist das für Sie nicht immer angenehm, ich weiss das aus eigener Erfahrung. Man hat am Sonntag abend den dorfbekannten Querkopf am Telefon; und man wird in der Warteschlange vor der Volg-Kasse auf die Gemeindegeschäfte angesprochen.
Aber gerade damit erfüllen Sie eine immens wertvolle Funktion: Die Gemeinden sind übersichtlich; man kennt sich – und man kennt Sie. Sie geben der Demokratie ein Gesicht. Sie verkörpern Ihre Gemeinde und damit auch einen Teil des Gemeinwesens Schweiz vor der Bevölkerung.

Vorteil für die Schweiz

Ich fasse kurz zusammen: Die föderale, kleinräumige Organisation, die direkte Demokratie und das Milizprinzip machen unser Land zu einem starken, attraktiven Standort.
Durch unsere Staatsprinzipien unterscheiden wir uns von den meisten andern Ländern. Schauen wir auf die Staaten der EU: Diese entwickeln sich in eine andere Richtung, immer weiter weg von den Bürgern.
Immer weniger werden wichtige Entscheide durch Personen gefällt, die ihrem Volk verantwortlich sind. Immer weniger sind es gewählte Amtsträger, die bestimmen. Die wirklich wichtigen Entscheide werden nicht mehr von den Regierungen der einzelnen Länder getroffen.
Da gibt es die sogenannte Troika oder die Europäische Zentralbank oder den Internationalen Währungsfonds oder komplexe Konstrukte, die man der Einfachheit halber Rettungsschirm nennt. Da gibt es Ausschüsse und Expertengremien, von denen man kaum weiss, dass es sie gibt. Vielleicht kennt man ein Kürzel wie EFSF oder ESM; aber wer aus welchen Gründen welche Fäden zieht, bleibt undurchsichtig.
Ganze Volkswirtschaften, ganze Länder müssen sich nach fremden Vorgaben richten, ohne dass man die wirklich Verantwortlichen mit Namen kennt. So entsteht eine Führung ohne Verantwortung, eine Führung ohne demokratische Legitimation. Und damit auch ohne Rückhalt in der Bevölkerung.
Zum Glück ist das bei uns anders. Dass es der Schweiz so gutgeht, ist nicht einfach Zufall oder Schicksalsgnade. Es ist das Resultat unseres Staatsmodells, das den wirtschaftlichen Erfolg möglich macht. Sie sind ein ganz wesentlicher Teil davon. Sie schaffen die Grundlage für unsere einmalige Lebensqualität und unseren Wohlstand.
Das bedeutet aber auch, dass es nicht zwingend einfach immer so weitergeht. Wenn wir unser Erfolgsmodell aufgeben, gefährden wir damit auch unseren Erfolg. Den Angriff auf das Milizprinzip habe ich bereits erwähnt.
Angriffe auf unsere Staatsordnung kommen auch von aussen. Die Schweiz ist in den letzten Jahren immer wieder massiv unter Druck gesetzt worden. Alle paar Monate kommen neue Forderungen, neue Drohungen, neue Erpressungen. Andere Staaten oder internationale Organisationen verlangen, dass wir unsere eigene innerstaatliche Ordnung auf fremden Befehl hin anpassen. Nicht, weil die Schweiz etwas falsch machen würde. Sondern weil sie so vieles richtig macht. Weil es uns so gutgeht. Weil es hier etwas zu holen gibt.
Damit stehen wir mit unserem bewährten Schweizer Gemeindewesen und mit unseren bewährten freiheitlichen Staatsprinzipien mitten in der internationalen Politik. Für mich ist klar: Wenn wir weiterhin Erfolg haben wollen als Standort Schweiz, brauchen wir auch weiterhin starke und engagierte Gemeinden. Und wir brauchen Sie alle als Staatsbürger, die uns helfen, dieses Erfolgsmodell Schweiz zu bewahren. – Ich danke Ihnen.    •

Quelle: <link http: www.vbs.admin.ch>www.vbs.admin.ch

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