Bürger und Aussenpolitik

Bürger und Aussenpolitik

von Friedrich Traugott Wahlen

Abschliessend möchte ich noch kurz auf die Beziehungen zwischen Innenpolitik und Aussenpolitik zu sprechen kommen und damit auch auf die Rolle des einzelnen Staatsbürgers in aussenpolitischer Sicht. Der Bundesrat hat verschiedentlich in ernsten Zeiten den Grundsatz bekräftigt, dass die staatliche Neutralitätsmaxime den Bürger nicht zur Gesinnungsneutralität verpflichte. Aber wie jedes Prinzip, so darf auch dieses nicht überspitzt werden, wenn es sich nicht selbst zerstören soll. Im Falle der Schweiz ist zu berücksichtigen, dass Volk und Stände das oberste Staatsorgan darstellen und letzten Endes in wichtigsten Fragen auch die Aussenpolitik, beispielsweise durch die Ausübung des Initiativrechtes, bestimmen können. Der Bürger trägt damit eine grössere Verantwortung, als das in der parlamentarischen Demokratie der Fall ist. Darum findet auch hier ein verfassungsmässiges Freiheitsrecht wie das Recht der freien Meinungsäusserung in der Verantwortung gegenüber dem Ganzen seine Schranken. Der Bundesrat hat diese Fragen in Verbindung mit unseren Beziehungen zur kommunistischen Welt bei der Beantwortung der Interpellation Reverdin in der Märzsession 1962 eingehend besprochen. Das dort Gesagte hat noch heute volle Gültigkeit, so dass ich nicht darauf zurückzukommen brauche. Der einzelne Bürger trägt aber nicht nur in seiner Haltung gegenüber Staaten und Staatengruppen eine Verantwortung, die ihm eine gewisse Reserve auferlegt, sondern auch in seiner Stellungnahme zu manchen innenpolitischen Fragen und in seinem Verhalten überhaupt, da das «Image» und damit die Stellung der Schweiz im Ausland massgeblich durch sie beeinflusst werden. Es ist in letzter Zeit wiederholt von einer Trübung des Bildes der Schweiz im Ausland die Rede gewesen, eine Frage, die den diesjährigen Auslandschweizertag als Hauptanliegen beschäftigte. Sie gehen nicht fehl in der Annahme, dass sich auch der Bundesrat mit ihr befasst. Ich glaube sagen zu dürfen, dass viele Äusserungen des Alarms der Wirklichkeit nicht gerecht werden, während andere zum Denken veranlassen müssen. Wir dürfen sie jedenfalls nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die heutige Intensität der Berichterstattung durch Presse, Radio und Fernsehen, teilweise gekoppelt mit einer Jagd nach Sensationen, kann auch an sich unbedeutende Vorfälle aufbauschen und unerwünschten Strömungen eine Wichtigkeit verleihen, die sie in Wirklichkeit nicht besitzen. Ich erinnere an durchaus lokal begrenzte Aktionen, die im Ausland als allgemein vorhandene Tendenzen zur Fremdenfeindlichkeit gedeutet wurden, was angesichts unseres traditionellen Rufes der Gastlichkeit und des Verständnisses unter verschiedenen Sprachgruppen besonders befremden musste. Auch der oft gehörte Vorwurf, die schweizerischen Nationaltugenden der Einfachheit und Redlichkeit seien im Begriff, unter einem zunehmenden Materialismus zu leiden – eine Sorge, die übrigens auch von verantwortungsbewussten Kreisen im Inland geteilt wird –, muss zu ernsthaftem Nachdenken Anlass sein. Ferner verdient die Tatsache, dass einzelne unserer Verfassungsbestimmungen im Ausland nicht mehr verstanden werden, hier eine Erwähnung. Es ist nicht damit getan, ihr Weiterbestehen durch unsere durchaus eigenständigen Institutionen der direkten Demokratie erklären zu wollen, da auch für diese Zusammenhänge das Verständnis weitgehend fehlt. Hier stehen die politischen Parteien und die Presse vor einer dankbaren Aufgabe; an ihnen ist es in erster Linie, für die notwendige Aufklärung zu sorgen, damit dringlich gewordene Anliegen an die Hand genommen werden können ohne die Gefahr, dass ihr Auftrag am Volks- oder Ständemehr scheitert. Ein Misserfolg in dieser Richtung würde unserem Ansehen im Ausland noch mehr schaden als das Weiterbestehen überlebter Bestimmungen. Ganz besondere Sorge gilt es zu tragen für die Erhaltung von Errungenschaften, die uns im Laufe der Jahrhunderte grosse Anstrengungen kosteten und die in ganz besonderer Weise zum Bild der Schweiz gehören. Ich denke in erster Linie an den Frieden unter den verschiedenen sprachlichen und konfessionellen Gruppen, der zum Köstlichsten gehört, das uns unsere Vorfahren als bewahrenswertes Erbe zurückgelassen haben. Im Zeitalter des wiederauflebenden Nationalismus, teilweise genährt von rassischen und ethnischen Konflikten, ist die Bewahrung dieses Gutes nicht nur eine nationale, sondern auch eine international wichtige Tat. Mit diesen wenigen Hinweisen auf Dinge, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen, muss ich es bewenden lassen. Daneben ist festzuhalten, dass neben der Beseitigung berechtigter Angriffsflächen, der wir uns mit allem Ernst widmen müssen, auch um eine bessere Kenntnis und ein besseres Verständnis der so zahlreichen positiven Seiten unseres Staatsgebildes, seiner Aussenpolitik, seiner Wirtschaft und vor allem auch seiner geistigen und kulturellen Leistungen geworben werden muss. Das kann auf die verschiedenste Weise geschehen. Der Ausbau unserer diplomatischen und konsularischen Aussenposten, denen auf diesem Gebiet eine direkte Verantwortung übertragen ist, hat ein beachtliches Ausmass erreicht, erträgt aber doch in der uns hier beschäftigenden Frage noch gezielte personelle Verstärkungen. Nachdem in der Dezembersession mit der Beratung des Auslandschweizerartikels der Bundesverfassung begonnen werden kann, sei auch auf das Potential hingewiesen, das wir in unsern Auslandschweizerkolonien besitzen. Die von ihnen gegründeten Schulen, die Zusammenfassung ihrer Anstrengungen in Zentren und eine vermehrte kulturelle Tätigkeit können in ihren Gastländern die Kenntnis der Schweiz vertiefen. Letzthin hat der Ständerat einem Antrag des Bundesrates auf die stufenweise Erhöhung der Bundesbeiträge für die Stiftung Pro Helvetia zugestimmt, und es ist nicht daran zu zweifeln, dass der Nationalrat die gleiche Haltung einnehmen wird. Das ist ein ausserordentlich begrüssenswerter Schritt. Es wäre zu prüfen, ob nicht eine engere, auf Freiwilligkeit beruhende Zusammenarbeit der vielen privaten und semi-privaten Organisationen, die sich in irgendeiner Weise mit der Vertretung schweizerischer Belange im Ausland befassen, angestrebt werden könnte. Ich kann hier die in Betracht kommenden Organisationen und Unternehmen nicht alle aufzählen noch auf alle übrigen Möglichkeiten zu einer zielbewussten Werbung für unser Land aufmerksam machen. Der Katalog vorhandener Möglichkeiten ist aber so eindrücklich, dass eine gewisse Koordination aller Anstrengungen das Ergebnis massgeblich verbessern könnte.
Ich habe absichtlich diese Hinweise an den Schluss meiner Ausführungen gestellt, um deutlich zu machen, dass sich die Aussen­politik nicht im luftleeren Raum abspielt. Sie ist weder ein Gewebe abstrakter Maximen noch eine Frage blosser Repräsentation, für die allein die Regierung und der Aussendienst zuständig wären. Ihre Grundlinien sind gegeben durch die vitalen Bedürfnisse des Staates und des Volkes im Verhältnis zur Umwelt. Gerade weil unser Land in der Völkergemeinschaft eine Sonderstellung einnimmt, die immer wieder verständlich gemacht werden muss, handelt es sich um eine Gemeinschaftsaufgabe, in welcher der Bundesrat und die eidgenössischen Räte vom einzelnen Bürger und von Gruppierungen aller Art unterstützt werden müssen. Nur ein Volk, das über die Deckung der materiellen Bedürfnisse und die Sicherung der Existenz des Einzelnen hinaus diese grosse Aufgabe versteht und gewillt ist, sie wenn nötig auch unter Hintanstellung von Einzel- und Gruppeninteressen zu lösen, darf die berechtigte Hoffnung hegen, weiterhin mit Hilfe der Vorsehung auf die Kontinuität eines Schicksals zählen zu dürfen, um das uns viele beneiden. Der Bundesrat wird weiterhin alles daran setzen, in der Führung der Aussenpolitik die ihm durch die eingangs zitierten Verfassungsbestimmungen überbundenen Pflichten gewissenhaft und umsichtig auszuüben. Er hofft, damit auch die Grundlagen zur Erfüllung der eben erwähnten Gemeinschaftsaufgabe zu schaffen, die nichts anderes ist als der in die Tat und ins alltägliche Leben übersetzte Sinn des schönen Wortes Eidgenossenschaft.    •

Quelle: Die Schweiz in der Welt. Antwort des Bundesrats auf die Interpellationen Furgler und Hubacher, erteilt am 7. Oktober 1965, S. 241–245.
Aus: Dem Gewissen verpflichtet. F.T. Wahlen.
Zeugnisse aus den Jahren 1940 bis 1965. Hg. von Alfred A. Häsler. Fretz & Wasmuth Verlag AG. Zürich/Stuttgart 1966

Bürger und Aussenpolitik

 

Abschied und Dank

8. Dezember 1965 vor der Vereinigten Bundesversammlung

Herr Präsident,
meine sehr verehrten Herren
Nationalräte und Ständeräte

Lassen Sie mich zuerst Ihnen, Herr Präsident, für die freundlichen und ehrenden Worte danken, die Sie meiner Arbeit im Dienste des Landes gewidmet haben. Sie haben darin das Wohlwollen meiner Tätigkeit gegenüber zum Ausdruck gebracht, das ich von seiten der Mitglieder der beiden Räte während meiner Zugehörigkeit zur Landesregierung immer wieder spüren durfte und für das ich Ihnen, meine Herren, von Herzen danken möchte. Die Gründe zur Dankbarkeit sind überhaupt heute durchaus auf meiner Seite. Ich denke vorab an meine lieben frühern und jetzigen Kollegen im Bundesrat, deren Freundschaft und Vertrauen mir während der sieben Jahre die Arbeit zur Freude machten. Zu grossem Dank verpflichtet bin ich auch den Mitarbeitern in den verschiedenen Departementen, deren Leitung mir von meinen Kollegen im Lauf der Jahre übertragen wurde. Dieser Dank gilt ganz besonders meinen gegenwärtigen Mitarbeitern aller Stufen in Bern und in den Aussenposten, deren Kompetenz und Hingabe mir viel bedeuteten.
Meine verehrten Herren Nationalräte und Ständeräte, meine Amtsjahre fielen in eine Zeit, in der sich die Folgen der überstürzten technischen und wirtschaftlichen Entwicklung seit Kriegsende immer deutlicher fühlbar machten, eine Entwicklung, die wir rein menschlich, aber auch staats­politisch noch nicht zu bewältigen vermochten. Dazu kommt, dass wir in einer stets kleiner werdenden Welt, die mit immer schwerer zu lösenden Problemen belastet ist, einen immer grösser werdenden Anteil an Verantwortung zu tragen haben. So stehen unser Volk, die eidgenössischen Räte und der Bundesrat vor grossen Aufgaben im Innern sowohl wie gegen aussen. Sie können nur in gemeinsamer Kraftentfaltung, im Geiste der Opferwilligkeit und durch vertrauensvolle Zusammenarbeit gelöst werden. Es ist in dieser Stunde des Abschieds mein heisser Wunsch, dass unsere Eidgenossenschaft diese Bewährungsprobe bestehen möge.
Ich danke Ihnen.

Quelle: Dem Gewissen verpflichtet. F.T. Wahlen. Zeugnisse aus den Jahren 1940 bis 1965. Hg. von Alfred A. Häsler. Fretz & Wasmuth Verlag AG. Zürich/Stuttgart 1966

 

Gemeinschaftsgefühl

To know with the mind of the other;
To hear as he hears;
To feel with the heart of the other,
His hopes and his fears.
To walk with his step,
To see with his eyes,
To breathe with his breath,
To weep with his cries.

*
To feel a second heart like his in yours,
To know what he needs and to seek it with him.
Gemeinschaftsgefühl, communion of heart,
Gemeinschaftsgefühl, communion of soul.

*
To know yourself well, now that's a good start,
And then know the other.
To sense what he needs, before he can tell
Like a child with his mother.
To stand in his shoes,
To see from his past,
You must learn how to lose –
That's the first and the last.



Gemeinschaftsgefühl


Verstehen mit dem Verstand des anderen;
Hören mit seinen Ohren;
Fühlen mit dem Herzen des anderen,
Seine Hoffnungen und seine Ängste.
Gehen in seinem Schritt,
Sehen mit seinen Augen,
Atmen mit seinem Atem,
Weinen mit seinen Tränen.
*
Fühle ein zweites Herz wie seines in deinem,
Zu wissen, was er braucht und es suchen mit ihm.
Gemeinschaftsgefühl; Herzensverwandtschaft.
Gemeinschaftsgefühl, Einheit der Seelen.
*
Dich selbst kennen, das ist ein guter Anfang,
Und den anderen verstehn,
Fühlen, was er braucht, bevor er es sagt,
Wie eine Mutter es macht mit ihrem Kind.
Stehen in seinen Schuhen,
Schauen aus seiner Geschichte,
Du musst lernen, dich ganz hinzugeben –
Das ist der Anfang und das Ziel.

Joe McCaroll (nach Lektüre von «Das Gemeinschaftsgefühl – Entstehung und Bedeutung für die menschliche
Entwicklung. Eine Darstellung wichtiger Befunde aus der modernen Psychologie» von Annemarie Kaiser, Zürich 1981)

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