von Erika Vögeli
Auch wenn man sich für die Abstimmung zum sogenannten revidierten Epidemiengesetz einen anderen Ausgang gewünscht hätte, muss man die 40% Nein-Stimmen doch als grossen Achtungserfolg für die Gegner des Gesetzes werten. Man bedenke: Keine einzige Partei hat sich im Parlament dagegengestellt. Mit Ausnahme der Grünen haben sie das rEPG für die Delegiertenversammlungen nicht traktandiert, geschweige denn diskutiert. In den Abstimmungserläuterungen des Bundes nahm die Bevölkerung zur Kenntnis, dass das Parlament grossmehrheitlich für das Gesetz gestimmt hatte. Ob die Parlamentarier das Gesetz wirklich gelesen haben, kann man sich sicher fragen. Ein Nationalrat hatte die Ehrlichkeit und den Mut, seine Gutgläubigkeit (unter anderem gegenüber den Kollegen in der zuständigen Kommission) nachträglich durch die Lektüre des Gesetzes zu revidieren und das auch öffentlich kundzutun. Dass er der einzige war, wird niemand glauben, dass es sehr vielen so erging, schon eher.
In den grossen Medien fand keine wirkliche Diskussion der problematischen Punkte statt. Das Medien-Oligopol der wenigen noch übriggebliebenen grossen Tageszeitungen im Verein mit dem öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen hat, vor allem auch in den redaktionellen Stellungnahmen, praktisch nur dem Standpunkt der Befürworter Raum gegeben, und zwar in einer PR-mässig aufgezogenen Art und Weise. Darüber können auch die vereinzelten als Pro und Contra aufgemachten Artikel nicht hinwegtäuschen. Auch kontroverse Leserbriefseiten sind zwar sehr interessant, sie ersetzen aber die echte und ehrliche redaktionelle Auseinandersetzung nicht. Von den Gegnern des Gesetzes wurden viele gar nicht zur Kenntnis genommen. Dass ein Politikkomitee gegen das rEPG eine Pressekonferenz durchführte, wurde nur kurz am Rande erwähnt. In der Hauptnachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Radios, dem Echo der Zeit, kam einzig Daniel Trappitsch sehr kurz zu Wort. Als Promotor des Referendumskomitees war er der Öffentlichkeit bereits bekannt. Die anwesende Nationalrätin und die Nationalräte sowie ein Berner Grossrat wurden nicht einmal erwähnt. Statt dessen wurde die Pressekonferenz der Gegner zum Anlass genommen, den Befürwortern einmal mehr eine Plattform zu bieten.
Angesichts der unverkennbar grossen Interessen, die ein gewisser Industriezweig mit diesem Gesetz verbindet, stellt sich der geneigte Leser noch weitere Fragen. (Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang vermerkt: Mit Verwunderung las man in den Abstimmungsunterlagen, das rEPG sei notwendig, um unsere Kinder und Jugendlichen über HIV und Hirnhautentzündungen zu informieren. Kein Mensch versteht, wieso wir dazu ein rEPG brauchen. Und abgesehen von der schon Jahre dauernden Diskussion über die HIV-Information wundert man sich, wieso Kinder über Hirnhautentzündung aufgeklärt werden müssen. Einige Tage nach der Abstimmung liest man dann, Novartis wolle seine Sparte mit einer Impfung gegen Hirnhautentzündung retten.1 Sie sei zwar noch nicht im Impfplan aufgenommen. Zufall oder Notwendigkeit?)
Die Abstimmungsunterlagen des Bundes waren von ebendieser Nicht-Qualität. Eine Semesterarbeit über das Spindoctoring in den darin verwendeten Argumenten und Formulierungen würde sich sehr lohnen. Genauso bezüglich verschiedener Beiträge in den grossen Medien. Gekonnt hat man das Gesetz positiv mit dem «Schutz» der Bevölkerung assoziiert und in gewissem Sinne die Angst der Bürger vor Krankheiten angesprochen – und genauso gekonnt hat man gleichzeitig behauptet, es seien die Gegner, die allein von der Angst vor Impfungen geleitet seien. Angst kann da, wo sie unrealistisch ist, sehr hinderlich sein, oft ist sie aber eine natürliche und sehr lebensdienliche Reaktion. Und in Wirklichkeit handelt es sich in unserem Zusammenhang nicht einfach um eine Angstreaktion, sondern um vernünftige Skepsis, die angesichts erlebter Desaster in diesem Bereich (Stichwort Schweinegrippe, Stichwort Tamiflu oder der mittlerweile abgebrochene Plan flächendeckender Impfungen gegen Gebärmutterhalskrebs bei Mädchen) sehr realistisch ist.
Und trotz alledem haben 40% der Stimmbürger ein Nein eingelegt und damit den Vertretern des Referendums recht gegeben. Viele von ihnen werden sich all die nicht-diskutierten Argumente gegen das Gesetz überlegt haben. Nicht diskutiert wurden zum Beispiel die ganz grundsätzlichen staatspolitischen Überlegungen, die gegen die Aushöhlung des Föderalismus durch eine zunehmende Zentralisierung eingebracht wurden. Insbesondere die unglaubliche Machtkonzentration in einem einzigen Bundesamt – einer Verwaltungseinheit, die nicht vom Volk und auch nicht vom Parlament gewählt wird – widerspricht unserer föderalistischen Staatsauffassung zutiefst. Wieso das Parlament, vor allem die Vertreter der bürgerlichen Parteien, die ein Jahr zuvor genau dieser Machterweiterung durch die Ablehnung des Präventionsgesetzes einen Riegel geschoben haben, nun nicht realisiert haben, was hier durch die Hintertür wieder hereinkommt, ist eine der Fragen, die man sich stellt. Die Vertreter der Grünen Partei und sämtliche Gegner der Gentechnologie müssten sich fragen, warum das Gesetz einerseits gentechnisch veränderte Organismen mit gewöhnlichen Krankheitserregern gleichstellt und das gleiche Gesetz dem Bundesrat die Möglichkeit gibt, die Freisetzung solcher Krankheitserreger ohne Bewilligung zuzulassen. Die Vertreter aller Parteien müssen sich auch fragen, wieso sie der Behauptung, das Gesetz führe erstmals einen Datenschutz ein, nicht entgegentraten. Es hätte dazu keiner allzu grossen Anstrengung bedurft. Der Artikel über das vom BAG zu schaffende Informationssystem über Personendaten mit den dazugehörigen Daten zu Gesundheit, Ergebnissen medizinischer Untersuchungen, Reisewegen, Kontakten mit Personen, Tieren und Gegenständen sowie die Möglichkeit der Weitergabe all dieser Daten an andere Staaten und internationale Organisationen stellen nicht nur jeden Fichenskandal der Vergangenheit in den Schatten, sondern werfen in Zusammenhang mit dem NSA-Skandal noch ganz andere Fragen auf.
Spätestens hier müssen wir zurückfordern, was in den letzten zwanzig Jahren mehr und mehr abhanden gekommen ist: Ehrlichkeit und Redlichkeit als Grundlage allen staatlichen Handelns. Wer mit PR-mässig aufbereiteten «Informationen» die Stimmbürger zu etwas bringen will, missachtet das Prinzip von Treu und Glauben, das im Umgang untereinander, aber in erster Linie der Behörden mit dem Souverän unabdingbar ist. Zur Würde des Menschen gehört es, nicht zum Objekt eines anderen gemacht zu werden – auch nicht in der geistigen Auseinandersetzung und auch nicht durch das gezielte Wecken von Emotionen, ohne die nötigen Informationen dazu zu liefern. Eine ehrliche Debatte erfordert das sachliche Abwägen von Pro und Kontra. Wenn wir nicht dorthin kommen wollen, wo ein amerikanischer Autor sein Land verortete, als er ein Buch mit dem Titel schrieb: «The Best Democracy Money Can Buy», müssen wir das dringend wieder einfordern. •
1 «Ein Impfstoff soll Novartis-Sparte retten. Pharma: Ohne die Erlöse eines neuen Mittels gegen Hirnhautentzündung droht Verkauf der Division» von Isabel Strassheim, Aargauer Zeitung vom 25.9.2013, Seite 9. «Ein neuer Impfstof gegen Hirnhautentzündung soll nicht nur vor der in einigen Fällen tödlich verlaufenden Krankheit schützen, sondern auch die Impfstoffsparte des Pharmakonzerns Novartis retten.» Von der EU mittlerweile zugelassen, ist es nun an den einzelnen Ländern, den Impfstoff Bexsero ins nationale Impfprogramm aufzunehmen. Zwar komme das Medikament so oder so auf den Markt. «Für die Impfsparte von Novartis entscheidend ist aber die Aufnahme in den nationalen Impfplan.» Der existierte zwar schon ohne neues EPG, die Möglichkeit zur breiten Verordnung durch die Behörden aber nicht in dem Masse, wie das mit dem neuen Gesetz der Fall ist.
Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.