Rl. Nach 6 Jahren Geheimniskrämerei wurde Ende Juni 2013 der Lehrplanentwurf «Lehrplan 21» der Öffentlichkeit vorgestellt. Sein eigentlicher Auftrag hätte darin bestanden, gemäss Artikel 62 BV, zu einer Anpassung (Harmonisierung) der Übergänge zwischen den kantonalen Lehrplänen zu führen. Dieser Aufgabe ist er nicht nachgekommen (zum Beispiel im Bereich Sprachen). Statt dessen soll mit diesem Entwurf ein Paradigmenwechsel im gesamten schweizerischen Schulwesen mit weitreichenden Konsequenzen für ganze Schülergenerationen, aber auch mit tiefgreifenden Folgen für den Wirtschaftsstandort Schweiz, umgesetzt werden.
Während 6 Jahren wurde ein Planungsstab von der EDK-Ost damit beauftragt, einen neuen Lehrplan für alle deutschsprachigen Kantone durchzusetzen. Die Öffentlichkeit, auch die fachwissenschaftliche, wurde von diesem Prozess weitgehend ausgeschlossen. Es wurde hinter verschlossenen Türen nach einem schon vorab festgelegten Drehbuch gearbeitet, unerreichbar für fachliche Einwände und abgeschottet von jeder offenen Diskussion.
So ist der nun vorgelegte Lehrplanentwurf nach Meinung vieler Experten weder für Lehrer und schon gar nicht für Eltern lesbar, geschweige denn brauchbar. Dieser Einwand wiegt schwer, gilt es doch als selbstverständlich, dass Eltern, die ihre Kinder in die Obhut staatlicher Einrichtungen geben, aus einem staatlichen Lehrplan klar und deutlich erkennen können, was und wie gelehrt und gelernt werden soll.
Der Verdacht, dass die Darstellung des Lehrplanentwurfes bewusst unlesbar und oft geradezu konfus gestaltet wurde, liegt nahe. Es ist nicht nachvollziehbar, warum es «Experten» nicht gelingen soll, die Ziele und Inhalte für die Schule einfach und klar darzustellen. Die fadenscheinige Begründung, auf Grund der «Kompetenzorientierung» nicht klar und deutlich Ziele und Inhalte benennen zu können, kann nicht gelten.
Wenn man sich die Zeit nimmt, die auf über 540 Seiten verstreut aufgeführten Lerninhalte zusammenzustellen – die Inhalte werden in 463 «Kompetenzen» mit 4754 «Kompetenzstufen» aufgeteilt – und sie den Lerninhalten geltender und früherer Lehrpläne gegenüberstellt, stellt man fundamentale Mängel fest.
Auf der einen Seite fallen die Lerninhalte wichtiger Fächer wie Mathematik oder Deutsch zum Teil erschreckend niedrig aus (vgl. in dieser Ausgabe zu Mathematik, Deutsch) oder folgen unbrauchbaren didaktischen Ansätzen (Konstruktivismus). Auf der anderen Seite werden Inhalte bis zu 4 Jahre vorgezogen, mit der – selbst für Laien – voraussehbaren Folge, dass Schüler so überhaupt keine soliden Grundlagen aufbauen können und damit auch nicht mehr über die notwendigen Voraussetzungen für weiterführende Ziele verfügen (vgl. in dieser Ausgabe zur Geometrie sowie Zeit-Fragen Nr. 34, E. Schaffner, S. 5). – Die Schülerinnen und Schüler werden so sicher nicht in die Lage kommen, sich «kompetent» eine Meinung zu bilden, wie es die Lehrplanmacher mantraartig wiederholen.
Im Lehrplanentwurf versteckt sich hinter vielen Begriffen («Lernumgebung», «Heterogenität berücksichtigen», «produktiv üben» usw.) die Einführung eines extrem vereinzelnden (sogenannt «individualisierenden») und durch Prüfungen eng reglementierten Unterrichts auf niedrigem Bildungsniveau.
Im Entwurf werden statt Inhalte Einstellungen, Ideologien und Werte als «Kompetenzen» verkauft. Die Kinder und Jugendlichen werden viel zu früh dazu angehalten zu «beurteilen» oder zu «vergleichen», ohne sich dafür zuvor die ausreichenden Grundlagen erarbeiten zu dürfen (vgl. Zeit-Fragen Nr. 34, E. Schaffner, S. 5). Dieser Entwurf gibt Anlass zu begründeter Sorge.
Mit dem Vorgehen, einen komplett neuen Lehrplan über die «interkantonale Ebene» durchzusetzen, anstatt die bestehenden kantonalen Lehrpläne dort anzugleichen, wo es nötig gewesen wäre, unternehmen die Erziehungsdirektoren über die EDK-Ost den Versuch, begründete pädagogische Einwände und den daraus resultierenden politischen Widerstand (HarmoS-Referendum) zu umgehen (vgl. Zeit-Fragen Nr. 31/32, M. Wüthrich, S. 3).
Anstatt am Bewährten anzuknüpfen und die demokratischen Spielregeln zu beachten, wird dem ganzen Land ein schlechter Entwurf präsentiert, den man schon heute blindlings umsetzen will. In seiner Konsequenz wird dieser Lehrplanentwurf unsere Kinder einer verfehlten Bildungspolitik opfern und sie um ihre wertvollste Lern- und Lebenszeit bringen.
Die gesamte Ausrichtung und Konzeption dieses Entwurfs widerspricht den Grundgedanken europäischer Pädagogik. Statt zur Mündigkeit zu erziehen, werden die Schüler auf Grund einer einseitigen Pädagogik (Konstruktivismus) nach Jahren ohne eine ausreichende Bildung nur noch vorgekaute Meinungen zum besten geben können.
Genauso schwer wiegt der Einwand, dass dieser Entwurf durch seine Konzeption zu einer radikalen Vereinzelung («Individualisierung») führt und damit zu einer Entsolidarisierung untereinander. Dies widerspricht dem Volksschulgedanken, aber auch der Chancengerechtigkeit.
Wenn nicht wieder klar und deutlich an die europäische Tradition der Pädagogik und die ihr zugrundeliegenden Werte angeknüpft wird, werden unsere Kinder nur noch hoffen können, als Angestellte einer Zulieferfirma für Ersatzteile chinesischer oder vietnamesischer Produktlinien ihre «Kompetenzen» einbringen zu dürfen. •
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