No se vende educacion!

No se vende educacion!

Was der Militärputsch in Chile (1973) mit den Reformen im schweizerischen Bildungswesen (2013) zu tun hat

von Dr. phil. Henriette Hanke Güttinger

Unser Bildungswesen und insbesondere unsere Volksschulen stehen in einem engen Zusammenhang mit der Gründung des schweizerischen Bundesstaates von 1848. Die junge Demokratie brauchte eine Volksschule für alle. Diese sollte die junge Generation befähigen, ihre Rechte und Pflichten als Bürger und Mitgestalter eines demokratischen, föderalistischen Staatswesens auf Gemeinde-, Kantons- und eidgenössischer Ebene souverän und aktiv wahrzunehmen. Diesen Auftrag hat unser Bildungswesen vom Kindergarten bis zur Hochschule auch heute: Denn die Zukunft unserer direktdemokratischen Schweiz wird in den Händen unserer Jugend liegen. Heute droht unser Bildungswesen in den Sog des Neoliberalismus zu geraten. Damit besteht die Gefahr, dass wir das Selbstbestimmungsrecht über unser Bildungssystem verlieren. Damit verlieren wir aber auch das politische Selbstbestimmungsrecht. Um deutlich zu machen, was damit gemeint ist, muss man geschichtlich etwas ausholen.

Versuchslabor Neoliberalismus: Chile

Chile am 11. September 1973: General Pinochet errichtet mit brutalster Gewalt und unter verdeckter Führung durch die CIA eine Militärdiktatur. Sinn des Ganzen: Chile hat als Versuchslabor des Neoliberalismus im Sinne von Milton Friedmann zu dienen. Es wird dereguliert, privatisiert und die Bevölkerung verelendet. Bei Naomi Klein «Die Schock-Strategie»1 ist im Detail nachzulesen, wie anschliessend die Länder der dritten Welt und später auch die ehemaligen sozialistischen Staaten auf den Neoliberalismus ausgerichtet worden sind. Die Mittel, die dabei angewendet wurden und werden, variieren. Neben Krieg – wie im Beispiel des Irak 2003 –, offener Gewalt, WTO-Freihandelsabkommen oder GATS-Abkommen2 gibt es weitere Mittel, neoliberale Interessen durchzusetzen, so auch «soft governance», zu deutsch «sanfte Steuerung».

Für westliche Industrieländer: Soft governance

Mit Soft governance wird in westlichen Industrieländern vorgegangen, so zum Beispiel in der Schweiz im Gesundheits- und Bildungswesen. Im Kanton Zürich hat Ernst Buschor zuerst als Gesundheitsdirektor das Gesundheitswesen völlig marktkonform reformiert. Dabei spielte die Einführung des New Public Managment (NPM) in der Verwaltung eine Schlüsselrolle.3 Als nächstes nahm sich Buschor – nun als Erziehungsdirektor – die Volksschule vor. Er löste die demokratischen Strukturen auf, organisierte die Volksschule im Hinblick auf wirtschaftliche Kriterien und öffnete sie zum ersten Mal in der Geschichte der Schweiz für Grosskonzerne, so auch für Bertelsmann und Jacobs mit ihren Stiftungen, in denen Buschor Leitungsfunktion hatte und hat. 1998 sponserten Jacobs-Stiftung, Apple, Compac, Swisscom und Telecom das «Schulprojekt 21» mit Einführung von Computer, Frühenglisch, selbstentdeckendem und altersdurchmischtem Lernen. Der damalige Leiter des kantonalen «Entwicklungsprojektes Informatik für die Oberstufe der Zürcher Volksschule» warnte davor, die Volksschule für die Konzerne zu öffnen: «Sponsoring hat viele Gesichter, aber nur eine Seele: die längerfristige Wirtschaftlichkeit für den Geber. Langfristig rechnet es sich für ihn, wenn er in die Digitalisierung der Schule investiert.»4

Internationale Ebene steuert schweizerische Bildungspolitik

Gemäss Verfassung sind in der Schweiz die Kantone zuständig für das Bildungswesen. Ihre Aufgabe ist es, den Volkswillen umzusetzen. Tatsächlich werden jedoch am Volk und an den Kantonen vorbei ganz grundlegende Reformen eingeführt, indem von aussen – mit Hilfe willfähriger Politiker im Innern – in die Schweiz hineinregiert wird: Die EU hat die Bologna-Reform ausgearbeitet. Staatssekretär Kleiber hat diese dann im Auftrag von Bundesrätin Dreifuss unterschrieben – gegen den Willen der Kantone. Damit wurde unser Hochschulwesen merkantilisiert und mit der EU gleichgeschaltet. Avenir Suisse kommentierte wie folgt: «[…] ein System von Hochschulen, die der Konkurrenz und den Mechanismen des Marktes unterworfen sind […]».5 Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung),  die eigentlich von den USA diktiert wird, hat über die Pisa-Strategie6 grundlegende Volksschulreformen angestossen. Auch hier geht es um eine Gleichschaltung der Bildung von aussen im Dienste einer globalen Wirtschaft.7
Unter diesem Blickwinkel beurteilt der SP-Bildungspolitiker Hans Zbinden das HarmoS-Konkordat, mit dem die Bildungspolitik der Kantone gleichgeschaltet werden sollte, wie folgt: «Die reale schweizerische Bildungspolitik wird zunehmend ausser Landes, auf internationaler Ebene gesteuert.» Für HarmoS «fungiert Europa als helvetischer Taktgeber». Internationale Konzerne mit ihrer Denkfabrik ERT (European Round Table of Industrialists) steuern mit. Der ERT verfasste im Auftrag der EU-Kommission den Report «Education for Europeans» mit dem Konzept der «Education Chain», «welche alle Bildungsstufen miteinander verlinkt». Nach diesem Modell – so Zbinden – «werden im geplanten schweizerischen Bildungsmonitoring von Bund und Kantonen als Begleitinstrument des HarmoS-Konkordates die Stufenübergänge mit aufeinander abgestimmten Treffpunkten entsprechend harmonisiert».8 Auch der Lehrplan 21 trägt – undeklariert – die Handschrift des ERT.

Am Volke vorbei

Die Veränderungen in unserem Bildungswesen – so Zbinden – werden «von Politik und Öffentlichkeit kaum wahrgenommen und diskutiert». «Der Nachvollzug von europäischen Reformen geschieht immer mehr an Parlamenten und Öffentlichkeit vorbei. Und was dabei noch mehr erstaunt: Die sonst so aufmerksamen EU-skeptischen Kreise dulden es lautlos, wenn Wissenschaft und Wirtschaft an der ­Politik vorbei die Europäisierung unseres Bildungswesens vorantreiben.»9

Fazit und Ausblick

Form und Inhalt des Bildungswesens bestimmt – immer noch (!) – das Schweizer Volk. Parlamentarier und Verwaltungsbeamte haben eine dienende Funktion: Sie haben den Willen des Volkes auszuführen. Wenn sie statt dessen die Hidden agenda der EU/USA/globalen Grosskonzerne durchsetzen wollen, müssen sie ihren Platz räumen.
Die Aufgabe unseres Bildungswesens hat sich nicht verändert. Nach wie vor gilt: Sicherung der direkten Demokratie für künftige Generationen. Fähige Berufsleute, die ihre Familie ernähren können und mit denen auch kleine und mittlere Betriebe erfolgreich arbeiten können. Dies schafft Grundlagen für eine solide Volkswirtschaft und das Steueraufkommen, das unsere Demokratie zu ihrem Fortbestand braucht. Über diese Themen muss die demokratische Diskussion wieder breit angestossen werden. Das ist sehr wohl möglich. Der erfolgreiche Widerstand gegen HarmoS hat dies gezeigt.     •

1    Naomi Klein. Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt am Main 2009
2    Jean Ziegler. Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher, München 2003. Maria Mies, Krieg ohne Grenzen. Die neue Kolonisierung der Welt, Köln 2004
3    Alessandro Pelizzari. Die Ökonomisierung des Politischen. New Public Management und der neoliberale Angriff auf die öffentlichen Dienste, Konstanz 2001
4    Eliane Gautschi, Ursi Scheibler. Die Trojanische Maus. Computer in die Schulen – Lernen für die Zukunft? Komitee für eine demokratische Volksschule, Zürich 2002, S. 52
5    Avenir Suisse, zitiert von Nationalrat Joseph Zysiadis, 13. Sitzung des Nationalrates, Herbstsession 2005
6    Ernst Buschor gehörte zur Steuerungsgruppe PISA und war Mitverfasser der Studie Bildungsmonitoring Schweiz PISA 2000: Synthese und Empfehlungen
7    vgl. dazu auch Ingrid Lohmann. Steter Tropfen höhlt den Stein. Die öffentlichen Bildungssysteme werden abgeschafft, in: Pädagogik 53 (2001) sowie Jochen Krautz. Ware Bildung – Schule und Universität unter dem Diktat der Ökonomie, München 2009
8    Hans Zbinden. «Stiller Partner Schweiz». Lautloser Gang des schweizerischen Bildungswesens nach Eu­ropa, in: vpod-Bildungspolitik 159/09, S. 7–9
9    dito

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