Die Schweiz ist keine Ich-AG

Die Schweiz ist keine Ich-AG

Eveline Widmer-Schlumpf gehört zurück ins Glied

Brief von Widmer-Schlumpf an Barroso

Seine Exzellenz
Herr José Manuel Barroso
Präsident der Europäischen Kommission
BRÜSSEL

Herr Präsident

Ich beziehe mich auf unsere Gespräche vom 20. März 2012 in Brüssel, bei denen wir die Perspektiven für die Konsolidierung und Weiterentwicklung der intensiven und engen Beziehungen, welche die Schweiz mit der Europäischen Union unterhält, erörtert haben. Bei dieser Gelegenheit haben wir namentlich vereinbart, die nächsten Schritte sowohl auf der technischen wie auf der politischen Ebene, gestützt auf Vorschläge der Schweiz für institutionelle Lösungen, gemeinsam zu begleiten.
Im Einklang mit dem von uns beschlossenen gesamtheitlichen und koordinierten Ansatz hat der Bundesrat eine Reihe von Grundsätzen zu den institutionellen Fragen festgelegt, die sich im Rahmen unserer Beziehungen stellen. Er schlägt vor, diese Fragen zunächst im Rahmen der laufenden Marktzugangsverhandlungen zu konkretisieren. Wie Sie wissen, betrachten wir das Stromdossier hierfür als besonders geeignet, weil die materiellen Verhandlungen dort bereits fortgeschritten sind und weil ein solches Abkommen im Interesse beider Parteien liegt.
Ich freue mich, Ihnen heute den Inhalt unserer Vorschläge als Beilage übermitteln zu dürfen. Ich möchte ergänzen, dass diese Vorschläge Gegenstand intensiver interner Diskussionen im Rahmen einer Konsultation der Aussenpolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte, der Kantone sowie der Spitzenorganisationen der Sozialpartner waren. Der Bundesrat war bei der Ausarbeitung der Vorschläge bestrebt, den Anliegen der EU, wie sie insbesondere in den Schlussfolgerungen des Rats zum Verhältnis zur Schweiz vom 14. Dezember 2010 geäussert wurden, so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Er stellt fest, dass nach Ablauf der Konsultationen ein Konsens im Hinblick auf das zentrale Ziel besteht, die Einheitlichkeit des durch die Abkommen zwischen der Schweiz und der EU geschaffenen gemeinsamen Regelwerks zu gewährleisten.
Die unterbreiteten institutionellen Vorschläge erlauben es sicherzustellen, dass die im Rahmen unserer Abkommen geltenden Binnenmarktvorschriften einheitlich und möglichst gleichzeitig umgesetzt werden, unter Berücksichtigung des Status der Schweiz als Nicht-EU-Mitgliedstaat, der allerdings wirtschaftlich und rechtlich eng mit der EU verflochten ist. Als Inspirationsquelle für die im Anhang dargelegten Grundsätze dienten deshalb insbesondere Lösungen, die heute schon von beiden Vertragsparteien in gewissen neueren Abkommen akzeptiert und umgesetzt sind, sowie die institutionellen Bestimmungen des multilateralen Abkommens zur Regelung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR).
Gestatten Sie mir, auf die hohe Bedeutung zu verweisen, die der Bundesrat der Erarbeitung von institutionellen Vorschlägen beimass, welche die Interessen beider Parteien berücksichtigen und geeignet sind, den bilateralen Weg zu konsolidieren, der seit dem Scheitern der Beteiligung der Schweiz am EWR und dem nachfolgenden Einfrieren des Beitrittsgesuchs im Jahr 1992 verfolgt wird.
Mit der Übermittlung der beiliegenden Vorschläge an Sie unternimmt der Bundesrat einen proaktiven und substantiellen Schritt, der die notwendigen Voraussetzungen für entscheidende Fortschritte in den Verhandlungen schafft, die wir im Rahmen des gemeinsam beschlossenen gesamtheitlichen und koordinierten Ansatzes führen. Ich bin insbesondere überzeugt, dass eine offene und konstruktive Haltung gegenüber diesen Vorschlägen Fortschritte bei den laufenden und künftigen Verhandlungen über den Marktzugang ermöglichen wird. Ebenfalls freut es mich, Ihnen mitteilen zu können, dass der Bundesrat am 1. Juni 2012 einen Mandatstext für den Dialog mit der EU über Unternehmenssteuerregimes verabschiedet hat, so dass demnächst Verhandlungen in diesem Bereich aufgenommen werden können. In gleicher Weise bin ich erfreut, dass mehrere Dossiers, an denen die EU Interesse bekundet hat – etwa betreffend die Schweizer Beteiligung am GNSS oder am Euratom-Rahmenprogramm 2012/2013 – Gegenstand konstruktiver Verhandlungen sind. Schliesslich möchte ich daran erinnern, dass die Schweizer Regierung im Rahmen des gesamtheitlichen und koordinierten Ansatzes zu gegebener Zeit und im Lichte unserer gesamten Beziehungen mit der EU über eine mögliche Erneuerung des Schweizer Beitrags zur Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten innerhalb des erweiterten Europas entscheiden wird. Bei ihrer Entscheidung wird sie auch die Erfahrungen mit dem jetzigen Erweiterungsbeitrag und die Bedürfnisse der potentiellen Empfängerländer berücksichtigen. In diesem Geist einer offenen und konstruktiven Partnerschaft freue ich mich, Sie im Rahmen der politischen Begleitung dieses wichtigen Prozesses, über den wir uns bei unserem letzten Treffen in Brüssel verständigt haben, in den kommenden Wochen zu einem Arbeitsbesuch nach Bern einzuladen.

In der Zwischenzeit versichere ich Sie,
Herr Präsident,
meiner vorzüglichen Hochachtung.
Eveline Widmer-Schlumpf
Bern, 15. Juni 2012

Quelle: <link http: www.europa.admin.ch>www.europa.admin.ch, inoffizielle Übersetzung

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