Deutschland kann den Krieg verhindern

Deutschland kann den Krieg verhindern

von Karl Müller

Paul Craig Roberts gehört zu den namhaften und engagierten US-amerikanischen Kritikern des US-Kriegskurses der vergangenen mehr als 20 Jahre. Seine Kritik ist pointiert und unüberhörbar. Er kennt die Regierungsarbeit in den USA als ehemaliger Ministerialdirektor («Assistance Secretary of the Treasury») im Finanzministerium der US-Regierung aus nächster Nähe. Es gibt also keinen Grund, die Überlegungen von Paul Craig Roberts zu übergehen oder abzutun. Seine aktuelle Warnung vor einem US-geplanten Weltkrieg kann niemanden ruhen lassen. Und wenn er am Ende seines Artikels auf Deutschland zu sprechen kommt, dann muss sich auch jeder Deutsche angesprochen fühlen.
Die US-Regierung hat Deutschland seit mehr als 20 Jahren eine Rolle im Streben der USA nach Weltbeherrschung zugewiesen. Es ist richtig, dass sich die damalige US-Regierung unter Führung des Präsidenten George H. W. Bush viel stärker als zum Beispiel die britische oder französische Regierung für den Beitritt der DDR und damit für ein viel mächtigeres Deutschland an der Nahtstelle nach Osteuropa eingesetzt hat. Dass es aber gerade Condoleezza Rice war – Mitarbeiterin im Nationalen Sicherheitsrat bei George H. W. Bush und später dann Sicherheitsberaterin und Aussenministerin bei George W. Bush –, die ein sehr dickes Buch über den US-amerikanischen Beitrag zum mächtigeren Deutschland verfasst hat («Sternstunde der Diplomatie. Die deutsche Einheit und das Ende der Spaltung Europas», in deutscher Sprache 1997 erschienen), ist bezeichnend und ein Hinweis auf die lange Linie der letzten beiden Jahrzehnte.
Es ist eine seit Anfang der 90er Jahre gepflegte deutsche Illusion zu glauben, die US-Regierung hätte sich aus Liebe zu Deutschland und zu den Deutschen für die sogenannte «Wiedervereinigung» eingesetzt. Der tatsächliche Plan war schon damals, das «neue» Deutschland und eine EU unter der Führung dieses neuen Deutschlands als Speerspitze gegen Osteuropa und insbesondere gegen Russland einzusetzen, und das vor allem im Interesse der USA und letztlich auf Kosten Deutschlands und Europas. Wer dies nicht glauben mag, der lese die Kapitel über die Rolle Deutschlands bei der Ost-Erweiterung von EU und Nato sowie gegenüber Russland im 1997 im Original erschienen Buch des US-Regierungsberaters Zbigniew Brzezinski, das den deutschen Titel «Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft» trägt und interessanterweise mit einem Vorwort von Hans-Dietrich Genscher versehen ist, also jenes ehemaligen deutschen Aussenministers, der jetzt wieder in die Schlagzeilen geraten ist, weil er «in stiller Diplomatie» seit mehr als 2 Jahren an der Freilassung desjenigen russischen Oligarchen gearbeitet haben soll, der Russlands Erdölreserven an US-amerikanische Konzerne ausverkaufen wollte und auch ansonsten keineswegs ein unbeschriebenes Blatt und kein politischer Märtyrer ist, als der er in Deutschland stilisiert werden soll.
Dass nun schon seit geraumer Zeit die deutschen medialen Gehässigkeiten gegen Russland eine besonders bösartige Qualität erreicht haben, passt sehr gut zu dem, was Paul Craig Roberts schreibt, und zur Rolle, die Deutschland zugedacht ist. Die massive antirussische Hetze in den deutschen Medien und von seiten eines einflussreichen Teils der deutschen Eliten ist aber auch ein Hinweis darauf, dass es in Deutschland nach wie vor wichtige Gegenstimmen gibt, auch wenn diese sich derzeit nur wenig öffentliches Gehör verschaffen können. Dabei spielen ein Blick auf die Landkarte, wirtschaftliche Interessen aber auch geschichtliche Erfahrungen eine Rolle. Niemand in Deutschland darf vergessen, dass ein gegen Russland aggressives Deutschland beiden Ländern und Völkern unendlich viel Leid zugefügt hat. Im kollektiven Gedächtnis beider Völker wird dies noch verankert sein. Wer kann es verantworten, dass sich Geschichte eines Tages auf eine derart furchtbare Art und Weise wiederholt?
Paul Craig Roberts schreibt: «Schon Deutschland allein könnte die Welt vor Krieg bewahren und gleichzeitig seinen eigenen Interessen dienen.» Er hat Recht damit. Und er schreibt weiter: «Alles, was Deutschland zu tun hat, ist aus EU und Nato auszutreten. Die Allianz würde in sich zusammenbrechen, und ihr Fall würde Washingtons Hegemoniestreben ein für allemal beenden.» Auch hier hat er Recht. Aber das ist ein sehr grosser Schritt. Vielleicht würde es für den Augenblick schon reichen, alle «Verbündeten» in EU und Nato eindeutig wissen zu lassen, dass es für eine aggressive Politik gegen Russland hundertprozentig ein deutsches Veto geben wird. Ob das die deutsche Regierung von sich aus zu tun wagt, ist zweifelhaft. Aber wenn die Bürger Deutschlands deutlich machen, dass sie keinen dritten Weltkrieg wollen, wenn sie deutlich machen, dass sie nur friedlich und für alle Seiten gedeihlich mit ihren nahen und fernen Nachbarn in Europa umgehen wollen, wenn es ein deutsches Crescendo gegen den Krieg und für den Frieden gibt – dann wird sich dem auch eine wankelmütige deutsche Politik nicht entziehen können und die von wem auch immer geführten Medien könnten mit ihrer Hetzkampagne einpacken.    •

Pro memoria

Deutschlands von Brzezinski zugewiesene Rolle in der neuen Weltordnung

«Mit dem Ende des Kalten Kriegs bekam das Verhältnis zu den USA für Deutschland eine neue Bedeutung. In der Vergangenheit hatte es Deutschland vor einer äusseren, aber sehr unmittelbaren Bedrohung geschützt und war die notwendige Voraussetzung für die schliess­lich eingetretene Wiedervereinigung des Landes gewesen. Nach der Auflösung der Sowjet­union bot die Verbindung zu Amerika dem wiedervereinigten Deutschland den Schirm, unter welchem es offener eine Führungsrolle in Mitteleuropa übernehmen konnte, ohne dadurch gleichzeitig seine Nachbarn zu bedrohen. Die Beziehung zu den USA stellt mehr als ein Zeugnis für gutes Benehmen aus: Sie versicherte den deutschen Nachbarn, dass ein enges Verhältnis zu Deutschland auch ein engeres Verhältnis zu Amerika bedeutete. All das erleichterte es Deutschland, die eigenen geopolitischen Prioritäten unumwunden offenzulegen. […]
Auf der Europa-Karte konnte die Zone, die für Deutschland von besonderem Interesse ist, in der Form eines Rechtecks eingezeichnet werden, das […] im Osten die erst vor kurzem in die Freiheit entlassenen postkommunistischen Staaten Mitteleuropas einschliesslich der baltischen Republiken, Weissrusslands und der Ukraine umfasst und sogar bis nach Russland hineinreicht. In vielerlei Hinsicht entspricht dieses Gebiet dem historischen Einflussbereich konstruktiver deutscher Kultur, den in pränationalistischer Zeit deutsche Städtegründer und bäuerliche Siedler im östlichen Mitteleuropa und in den heutigen baltische Republiken geformt hatten. […]
Das unverkennbare deutsche Engagement für eine Ost-Erweiterung der wichtigsten europäischen Institutionen hat die Akzeptanz einer deutschen Führung in Mitteleuropa […] erleichtert. Mit seinem entschiedenen Einsatz übernahm Deutschland eine historische Mission, die von einigen recht tief verwurzelten westeuropäischen Auffassungen erheblich abweicht […].
[…] Der deutsche Verteidigungsminister gehörte zu den ersten, die den fünfzigsten Jahrestag der Nato-Gründung [1999] als das passende symbolische Datum für eine Ausdehnung des Bündnisses nach Osten vorschlugen. […]
Sollte die von den Vereinigten Staaten in die Wege geleitete Nato-Erweiterung ins Stocken geraten, wäre das das Ende einer umfassenden amerikanischen Politik für ganz Eurasien. Ein solches Scheitern würde die amerikanische Führungsrolle diskreditieren, es würde den Plan eines expandierenden Europas zunichte machen, die Mitteleuropäer demoralisieren und möglicherweise die gegenwärtig schlummernden oder verkümmernden geopolitischen Gelüste Russlands in Mitteleuropa neu entzünden. […]
Amerikas zentrales geostrategisches Ziel in Europa lässt sich also ganz einfach zusammenfassen: Durch eine glaubwürdige transatlantische Partnerschaft muss der Brückenkopf der USA auf dem eurasischen Kontinent so gefestigt werden, dass ein wachsendes Europa ein brauchbares Sprungbrett werden kann, von dem aus sich eine internationale Ordnung der Demokratie und Zusammenarbeit nach Eurasien hinein ausbreiten kann.»

Auszüge aus Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft, deutsche Übersetzung 1999,
Seite 100ff., englischsprachiges Original 1997

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