«Strategien des Lebens»

«Strategien des Lebens»

«Vorsorge in der Tierwelt»

thk. Der Bildband «Strategien des Lebens – Vorsorge in der Tierwelt», herausgegeben von der Schweizer Versicherungsgenossenschaft «Mobiliar» in Kooperation mit dem Zürcher Zoo, bringt seinen Lesern ein grosses Stück (tierische) Lebensrealität näher. Schon die Titel der einzelnen Kapitel, «Schöner wohnen im Tierreich», «Alles dreht sich um die Brut» oder «Leben und Überleben in der Masse», dokumentieren, dass Tierisches und Menschliches in manchen Bereichen nicht sehr weit auseinanderliegen.
Tiere, so wie auch der vernunftbegabte Mensch, orientieren sich grundsätzlich an der Umwelt und ihrer Realität und ziehen aus ihrer Erfahrung meist gemeinsam ihre Schlüsse. Ein Vorteil der Tiere ist: Sie können nicht von privaten oder politischen Interessen manipuliert werden, sondern verlassen sich nur auf sich selbst, ihren Instinkt, ihre Erfahrungen und ihre Artgenossen. Dabei stellt sich beim Lesen schnell einmal die Frage, was wir Menschen von den Tieren lernen können, die in freier Wildbahn einer Unmenge von Bedrohungen ausgesetzt sind. Ein Streifzug durch das vorliegende Werk gibt uns die Antwort: sehr viel.
Tiere haben über die lange Zeit ihrer Existenz komplexe Strategien entwickelt, die ihr gemeinsames Überleben sichern. Der CEO der Schweizer «Mobiliar», Markus Hongler, bringt es im Vorwort des Bildbandes denn auch auf den Punkt: «Genaugenommen ist die Natur ein einziges wunderbares ‹Versicherungsunternehmen›». Die Bedrohungen, denen Tiere ausgesetzt sind, sind mannigfaltig und meist lebensgefährlich, um so wichtiger ist es, dass jedes Lebewesen einen ihm angemessenen Lebensschutz entwickeln kann. «Jede Tierart pflegt ihre eigene Vorsorge, genau ausgerichtet auf ihre ganz spezifischen Bedürfnisse, um in der rauhen Natur zu überleben.»
Und wie verhalten wir Menschen uns? Manchmal meint man zu entdecken, dass dieses gesunde und natürliche Mass an Realitätssinn, das dem Menschen im höchsten Masse eigen ist, durch ein Zuviel an Wohlstand und Sorglosigkeit in den letzten Jahrzehnten verlorengegangen ist. (vgl. Kasten)
So leben die Menschen in unserem Land häufig noch sorgenfrei in den Tag hinein. Sie sind sich kaum bewusst, dass das, was wir heute an positiven Errungenschaften besitzen, wie eine ausreichende Ernährung, eine erfolgreiche Medizin, eine gute Schulbildung, eine bestens funktionierende Demokratie, ein friedliches Zusammenleben, sowohl mit viel Einsatz und Herzblut als auch unter grössten Anstrengungen und Entbehrungen – letztlich auch unter Gefährdung der eigenen Existenz – von unseren Vorfahren erkämpft wurde. Sie haben uns als ihre Nachkommenschaft dieses äusserst wertvolle Erbe im Vertrauen übergeben, dass wir es erhalten, pflegen sowie gegen äussere und innere Angriffe verteidigen.
In der Tierwelt hat das Erhalten des Lebens höchste Priorität. Alex Rübel, Direktor des Zürcher Zoos, der tagtäglich in enger Verbindung mit seinen Tieren steht, berichtet im Vorwort aus erster Hand: «Unzählige Verhaltensmuster sind darauf angelegt, diese Risiken auszuschalten oder mindestens zu minimieren.» Der Erhalt der Art ist das oberste Gebot. «Der erste Kreis», so Alex Rübel, «dreht sich um das Sozialverhalten, das Familienleben, die Begegnung mit den Artgenossen, die Fortpflanzung und die Jungenaufzucht. Der zweite Kreis dreht sich um die Futterbeschaffung. Im dritten Kreis, den wir – was den Aufwand betrifft – oft unterschätzen, geht es um Fremdvermeidung, also darum, sozusagen vorzusorgen, dass man selbst oder die eigene Nachkommenschaft keinen Schaden nimmt.» Erinnert das nicht an einige Grundsätze, die für das Zusammenleben der Menschen auch bestimmend sind: Das Generationenmodell, das Milizsystem, unser direktdemokratisches Gemeinwesen im Sinne der Gemeindeautonomie, die umfassende Schulbildung, den Jugendschutz, die nachhaltige Landwirtschaft, die militärische Landesverteidigung …?
Was immer wieder der Überzeugungsarbeit bei uns Menschen bedarf, scheint für manche Tiere wie hier Blutbrustpavianen selbstverständlich: «Je besser sie [Gruppe von Tieren] organisiert und auch auf Überraschungen vorbereitet ist, desto erfolgreicher gestaltet sich das Leben der einzelnen Individuen und das der ganzen Gruppe.»
In unzähligen Beispielen erzählt die Verfasserin Claudia Schnieper in sehr ansprechenden Texten, verbunden mit prächtigen Fotografien, vom Leben der Tiere, vom kleinsten Insekt bis zum 15 Meter langen Grauwal, einem Säugetier in unseren Meeren, das ein ausgeprägtes Sozialverhalten zeigt.
Wer sich von der Tierwelt inspirieren lassen und von anderen grossen oder kleinen Erdbewohnern lernen möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Ob es um Vögel, Insekten, Fische oder um die uns allen bekannten «Mungga» (Murmeltiere) geht, alle Tiere haben etwas Faszinierendes und sind Teil der Schöpfung.     •

«Wir Menschen haben uns von unseren Wurzeln in der Natur entfernt, neue Risiken bedrohen unser Leben und das unserer Familien. Es bleibt uns aber nicht verwehrt, diese neuen Risiken gut einzuschätzen und uns gegen sie abzusichern. Was sich in der Evolution über Millionen von Jahren entwickelt und bewährt hat, kann so schlecht nicht sein. Warum schauen wir nicht, wie die Tiere vorsorgen […] in allen Bereichen des Lebens? […] Denn es gilt noch immer: Vorsorgen ist besser als heilen.»

Alex Rübel, Direktor des Zürcher Zoos

Tiere haben raffinierte Strategien entwickelt, um Leben zu erhalten und weiterzugeben. Die einen investieren in Prunk und Pracht, die andern in solide Bauwerke. Sie ziehen mehrere tausend Kilometer weit und fasten monatelang, damit ihre Nachkommen unter optimalen Bedingungen aufwachsen. Mit Vorräten und Tiefschlaf wird der Kälte und nahrungsarmen Zeiten getrotzt. Ob in den Alpen oder im tropischen Regenwald: Vorsorge hat sich auch im Tierreich als Überlebensstrategie bewährt. Unter Umständen macht es Sinn, sich in der Masse zu organisieren, um Fressfeinden ein Schnippchen zu schlagen. Andere sparen Energie mit einzigartigen Fortbewegungstechniken oder nehmen‘s zum gleichen Zweck einfach möglichst gemütlich. Und wenn das alles nicht genügt, öffnet Mutter Natur die Trickkiste: schwindeln und bluffen ist erlaubt, wenn es darum geht, die eigene Haut zu retten …

Klappentext des Buches

Murmeltiere leben in Grossfamilien

Es gibt verschiedene gute Gründe, sich mit Artgenossen zu einer Wohngemeinschaft zusammenzuschliessen. Pflanzenfresser müssen auf den Einfallsreichtum der Raubtiere eine ebenbürtige Antwort finden, sonst stehen sie nicht nur als Einzeltier, sondern auch als Art über kurz oder lang auf der Verliererseite. Es gilt, auf jede Angriffsstrategie eine entsprechende Verteidigung zu entwickeln. Die sicherste Methode, sich vor Angreifern zu schützen, besteht darin, von ihnen nicht entdeckt zu werden. Zahlreiche Tiere ziehen sich zu diesem Zweck in einen stillen Winkel zurück, wo sie ausserdem vor Wind und Wetter geschützt sind. Mehr investieren Beutetiere, die sich aus Sicherheitsgründen einen Unterschlupf oder eine Schutzhülle schaffen, sei dies eine Höhle, ein Schneckenhaus, der Köcher einer Fliegenlarve, eine Muschelschale oder ein Schildkrötenpanzer.

Unterirdische Labyrinthe

Alpenmurmeltiere verbringen einen Grossteil ihres Lebens unter der Erde. Es sind ausgesprochene Graber mit muskulösem, gedrungenem Körperbau und langen, dicken Krallen, die vom Wühlen abgestumpft sind. Mit den vierzehigen Vorderpfoten werden Erde und Steine gelockert und anschliessend mit den fünfzehigen Hinterfüssen rückwärts geschleudert und aus dem Bau befördert. Grosse Steinbrocken hebeln die «Munggen» oft mit den Zähnen los. So entstehen nicht selten gewaltige unterirdische Anlagen, deren Grösse sich am Aushubmaterial einigermassen abschätzen lässt, das vor den Röhreneingängen zu beachtlichen Hügeln anwächst.
In die unterirdischen Röhren und Kessel kann ihnen ihr gefährlichster Fressfeind, der Steinadler, nicht folgen. Spezielle Wächter, die ihre Artgenossen pfeifend warnen, gibt es bei den Murmeltieren allerdings nicht, obwohl dies hartnäckig behauptet wird: Wenn Gefahr im Anzug ist, pfeifen vor allem jene Tiere, die sich vor einem Baueingang befinden und sich sofort in Sicherheit bringen können, während die anderen um ihr Leben rennen. Mit unterschiedlichen Pfeifsignalen informieren sie ihre Artgenossen über den Gefährdungsgrad und vermutlich auch über die Identität des Angreifers. Obwohl sich Steinadler in rasendem Sturzflug auf ein anvisiertes Ziel stürzen, haben Murmeltiere deshalb grosse Chancen, ihre Haut zu retten.
Familiengruppen von bis zu zwanzig Mitgliedern teilen sich einen Bau. Etwa Ende September verschwinden sie für sechs bis sieben Monate unter die Erdoberfläche und kuscheln sich in den mit Heu ausgepolsterten Schlafkesseln eng zusammen. Davon profitieren vor allem die Jungen und nicht optimal ernährten erwachsenen Tiere, die den Sommer über zuwenig Fett speichern konnten, um den Kältetod zu vermeiden. Die Körpertemperaur kann im Extremfall bis auf 1,8 Grad Celsius herunterfallen, steigt aber in regelmässigen Abständen kurze Zeit auf fast 40 Grad an. Um die Jungen kümmern sich übrigens in erster Linie die Väter und die männlichen Geschwister. Für Walter Arnold, der Alpenmurmeltiere im Nationalpark Berchtesgaden und im Averstal in Graubünden erforscht hat, war dies eine Überraschung: «Ganz im Gegensatz zu den Männchen der meisten Säugetiere sind Murmeltierväter also sehr fürsorglich um das Wohlergehen ihres Nachwuchses bemüht, und ältere Brüder scheinen in diese Rolle schon als Helfer hineinzuwachsen. Ein Murmeltierweibchen wäre mit der Aufgabe, für die Jungen auch noch während der Überwinterung zu sorgen, nach der anstrengenden Trag- und Säugezeit völlig überfordert. Selbst ein Elternpaar hat es, auf sich alleine gestellt, noch sehr schwer, die Jungen über den Winter zu bringen. Erst die Überwinterung in der Grossfamilie, in der sich die energetischen Kosten des Wärmens der Jungtiere auf viele verwandte Tiere verteilen, sichert Murmeltieren das Überleben strenger Winter im Hochgebirge.»

Auszug aus dem Buch Strategien des Lebens S. 59/60

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