«Merkel und Hollande sollten sich nicht daran beteiligen, Putin in eine Ecke zu stellen»

«Merkel und Hollande sollten sich nicht daran beteiligen, Putin in eine Ecke zu stellen»

von Willy Wimmer, ehemaliger Staatssekretär im deutschen Bundesministerium der Verteidigung

Mit grossem Engagement haben die europäischen Staaten das sogenannte «Genfer Treffen» mit eigentlich deeskalierenden Beschlüssen für die Ukraine betrieben. Es trat jedoch etwas ein, was wir schon in der Nacht des Janukowitsch-Sturzes in Kiew erlebt hatten.
In unbändigem Hass auf alles das, was in der Ukraine russisch ist, wollten sich Maidan-Kräfte auf den Weg zur Krim mit ihren russischen Nuklearwaffen und in die Ost­ukraine aufmachen. Die Folgen für die Krim sind uns allen noch sehr bewusst. Es ist dort zu keinem Blutvergiessen gekommen, und wir wissen alle, warum dies verhindert werden konnte.
Als im Vorfeld des Janukowitsch-Sturzes der ehemalige georgische Präsident Saakaschwili in Kiew auftauchte, konnte das für die Ukraine kein gutes Omen sein. War Herr Saakaschwili doch in der Pekinger Olympia-Nacht 2008 der erste, der glaubte, folgenlos gegen Russland und vermeintliche russische Schwäche losschlagen zu können. Er hatte die Rechnung ohne Moskau gemacht, und Georgien hat nur wegen des besonnenen und mutigen Handelns seitens des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Sarkozy nicht das Schicksal von Abchasien und Südossetien erlitten.
Genf, das waren die ehrbaren Bemühungen der Mittelmächte wie Frankreich und Deutschland – und vielleicht auch Grossbritannien –, um es in Europa nicht zum Schlimmsten kommen zu lassen. Doch der umgehende Besuch des CIA-Direktors in Kiew – und leider auch des amerikanischen Aussenministers John Kerry unmittelbar nach Beendigung des Genfer Treffens dortselbst – haben jedenfalls einen deutlichen Zusammenhang zwischen deren Besuchen und dem militärischen Losschlagen der Kiewer Machthaber gegen die Protestbewegung in der Ostukraine hergestellt.
Genf und die dortigen Überlegungen haben in Kiew niemanden interessiert, und es ist in Europa ein einmaliger Vorgang, mit Panzern, Artillerie und Kampfflugzeugen gegen Demonstranten und Hausbesetzer vorzugehen. Die lendenlahmen Erklärungen der deutschen Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, und ihres Gastes auf Rügen, des französischen Staatspräsidenten François Hollande, in Richtung Kiew zwecks dortiger Mässigung zeigen doch in aller Deutlichkeit, dass sich die Junta in Kiew taub stellt, wenn Paris und Berlin anmahnen, die Vereinbarung von Genf einzuhalten.
«His masters voice» sitzt eben in Washington, und notfalls kommt der berüchtigte Senator John McCain eben höchstpersönlich. Würde EU-Europa seine Werte ernst nehmen, stünde dieser Herr schon längst auf der Liste derjenigen, die mit Einreiseverboten belegt werden müssen. Das Vorgehen der Junta-Kräfte gegen die Ostukraine – und das kann man nach der Art und Weise des Vorgehens deutlich sehen – dient nur einem Zweck: Es soll in der Ostukraine eine Bürgerkriegslage geschaffen werden, die örtliche russische ­Potentaten zu jener Form von Abwehr veranlassen, an die in diesen Tagen aus Gründen, die 69 Jahre zurückliegen, besonders gedacht wird.
Das Muster kennen wir ebenfalls aus dem früheren Jugoslawien, als sich in Kroatien – zum Entsetzen Belgrads – örtliche Bandenführer oder andere Potentaten zu Verteidigern der serbischen Sache aufgeschwungen hatten. Zerfallserscheinungen – wie sie sich derzeit auch in der Ukraine beobachten lassen – rufen zwangsläufig derartige Kräfte auf den Plan, wie das Beispiel Kroatien hinlänglich gelehrt hat. Damals hatte Präsident Miloševic nur die Wahl zwischen einer Zukunft als Verräter der serbischen Sache, wenn er den Bandenführern in Kroatien nicht beigestanden wäre.
Er wurde in den Augen derjenigen, die ihn im Westen in dieser Ecke sehen wollten, zum Aggressor erkoren, wenn er diesen Bandenführern hätte beistehen wollen. Dieses Ergebnis soll auch in der Ostukraine erreicht werden – nichts anderem dient das aggressive Vorgehen der Junta-Kräfte in Kiew in dieser Region. Sie stehen nicht alleine, wie die «Bild»-Zeitung unter Berufung auf Erkenntnisse des Berliner Kanzleramtes in diesen Tagen erneut meldet, nachdem man schon vor Wochen entsprechende Bilder veröffentlich hatte.
Hunderte amerikanische Söldner aus den berüchtigten amerikanischen Privatarmeen unternehmen in der Ostukraine alles, um eine «Siedehitze der Konfrontation» zu schaffen. Warum belegen die Bundeskanzlerin und ihr französischer Gast nicht in Kiew und in Wa­shington jene mit Sanktionen, die die Lage in der Ukraine herbeigeführt und zu verantworten haben? Der sogenannte «Westen» hat der Russischen Föderation einen tödlichen Sprengsatz in den Vorgarten gelegt und zetert jetzt in Richtung Putin herum, damit der russische Präsident die Lunte austritt, die man selbst zwischen Scientology-Sekte und Adenauer-Stiftung gelegt hat.
Das hat sich in den Tagen vor dem Referendum vom 11. Mai in aller Deutlichkeit gezeigt. Während die deutsche Bundeskanzlerin auf einmal und nach all den Jahren, in denen es angebracht gewesen wäre, ihre Liebe zum Völkerrecht entdeckt, hatte der russische Präsident Putin aufgerufen, das Referendum zu verschieben und zunächst den Dialog zwischen allen ukrainischen Kräften zu fordern. Vernünftiger geht es nicht, und deshalb haben die Machthaber in Kiew nicht nur gegen diese Überlegungen gegiftet, sondern militärisch aus allen Rohren geschossen.
Putin hat den einzigen Vorschlag gemacht, der das Verhängnis verhindern kann. Dann stellt sich bei einem WDR-Europaforum in Berlin ausgerechnet ein ehemaliger polnischer Präsident ans Mikrofon und schwadroniert darüber, dass es sich bei der krisenhaften Entwicklung in der Ukraine um eine seit langem bestehende russische Planung handele. Präsident Emeritus Kwasniewski weiss doch besser als viele andere, wer die Kräfte des «national-sozialistischen Obergrunds» in Polen trainiert hat. Wie langfristig die amerikanischen Planungen für Polen waren, konnte er doch allein daran sehen, dass am Tage nach der Ankündigung US-Einheiten nach Polen verlegt worden sind.
Die USA können vieles, aber logistische Vorbereitungen für ein solches Vorgehen dauern viele Monate. Auf die Idee kann man nur im Warschau der Globalstrategen á la Brzezinski kommen, dass Russland die Initialzündung für den Sturz einer legitimen Regierung in Kiew in Gang gesetzt haben könnte. Das wird sich Präsident Obama nicht nehmen lassen wollen. Statt den russischen Präsidenten Putin bei seinem Ansatz zur Ost­ukraine – auch gegen die dortigen Potentaten – zu unterstützen, machen Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande das, was nicht nur der beiderseitigen Einfallslosigkeit zuzuschreiben ist.
Merkel und Hollande sollten sich aber um Europas willen nicht daran beteiligen, Putin in eine Ecke zu stellen, weil dessen Ecke grösser ist, als beiden lieb sein kann. Sie sollten Obama auf die Pelle rücken, weil ihm seine europäischen Freunde völlig abhandenkommen. Wenn Präsident Obama sich nach Presseberichten weigern soll, mit dem russischen Präsidenten Putin am D-Day in der Normandie zusammenzutreffen, dann stellt er den 6. Juni 1944 selbst in Frage.    •

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