Wir Bürger müssen der Souveränität unserer Kantone Sorge tragen

Wir Bürger müssen der Souveränität unserer Kantone Sorge tragen

Stärkung des Föderalismus tut not

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

In regelmässigen Abständen tauchen in den Medien Bekenntnisse von Politologen auf, die das Ende der föderalistischen Schweiz mit ihren 26 Kantonen herbeizuführen trachten. Ihre Argumentationslinien ähneln sich wie ein Ei dem anderen: Die Kantonsgrenzen seien längst obsolet, wird da etwa behauptet, weil viele Schweizer im einen Kanton arbeiten und im Nachbarkanton wohnen, oder weil manche in einen anderen Kanton umziehen. Vieles müsse heute ohnehin über die Kantonsgrenzen hinweg geregelt werden, durch Konkordate, also Verträge zwischen einzelnen Kantonen, oder über die Regierungskonferenzen (Konferenz der Kantone KdK) und ihre Unterkonferenzen wie EDK (Erziehungsdirektorenkonferenz), GDK (Gesundheitsdirektorenkonferenz) usw. Da wäre es doch praktischer, die Kantone in sechs oder sieben Grossregionen zusammenzufassen.
Cui bono? Wem dient diese Schiene?

Was stimmt: Es werden tatsächlich immer mehr angestammte kantonale Hoheitsbereiche durch den Bund beschnitten, durch neue Verfassungsbestimmungen und Bundesgesetze, insbesondere im Bildungs- und Gesundheitsbereich, aber auch in der Regionalplanung und anderswo. Das geht bis zur Förderung des Musikunterrichts oder der Tagesschulen, was nun wirklich nicht in die Hand des Bundes gehört.
Was auch stimmt: Vor 20 Jahren entstand wie aus heiterem Himmel die KdK, dann ihre Unterkonferenzen, die seither mit wachsender Dichte möglichst allen Kantonen ihre im stillen Kämmerlein ausgebrüteten Projekte aufzudrängen bestrebt sind, oft ohne Referendumsmöglichkeit.
Diese Entwicklung ist nicht unabwendbar. Vielmehr sind wir Bürger aufgerufen, uns gegen die zunehmende Entmachtung unserer Kantone einzusetzen. Wir sind der Souverän, an uns liegt es, gegen die immer häufigeren Zentralisierungsvorlagen mit Nein zu stimmen.

Regierungskonferenzen für die Steuerung der Schweiz von Bern bzw. von Brüssel aus

Die selbsternannten Regierungskonferenzen in der Schweiz sind ein Abbild der EU-Ministerkonferenzen. Sie sind ein Jahr nach dem EWR-Nein (1993) erfunden worden, um rasche Einheitslösungen auszuhecken und flächendeckend einzuführen. Die zentralistische EU will nicht 27 schweizerische Ansprechpartner (Bund und Kantone). Sie will einen Ansprechpartner, dem sie den Tarif durchgeben kann, und die Kantone haben diesen Tarif dann umzusetzen. So hat Bundesrätin Widmer-Schlumpf kürzlich eine Erklärung unterschrieben, in der sie sich verpflichtete, die Unternehmenssteuern in der Schweiz zu «harmonisieren». Sie hat wohl vergessen, dass der Bund dafür gar nicht zuständig ist, denn die Unternehmenssteuern sind Sache der Kantone. Nun wird Widmer-Schlumpf den Vorstand der FDK (Finanzdirektorenkonferenz) beauftragen, für die Vereinheitlichung der kantonalen Steuern für Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz zu sorgen. Die FDK wird in Absprache mit Bern etwas fabrizieren, was sie dann als zuständige Regierungsräte in ihrem Kanton durchzusetzen versuchen.
Man sieht: Mit Föderalismus haben die Regierungskonferenzen nichts zu tun, und mit direkter Demokratie erst recht nicht. Eigentlich gibt es sie gar nicht, denn sie wurden weder vom Souverän bestellt noch mit einem Mandat versehen. Wir Bürger haben nämlich die Regierungsräte als Exekutivmitglieder in unserem Kanton gewählt, also mit dem Auftrag, die kantonale Verwaltung zu leiten und die Beschlüsse von Parlament und Volk auszuführen. (vgl. dazu «Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) – Herrschaft der Exekutiven statt Föderalismus und Demokratie», Zeit-Fragen Nr. 34 vom 5.11.2013)
Wir, die Bürger in den Kantonen, müssen also keinen einzigen Beschluss dieser demokratisch nicht legitimierten Gremien akzeptieren, sondern unsere starken politischen Rechte nutzen, um die Herrschaften im «Haus der Kantone» in ihre Schranken zu weisen.

Keine Schweiz der Regionen – wir wollen unsere Kantone behalten

Seit der Ablehnung des EWR-Beitritts durch das Schweizervolk und durch eine grosse Mehrheit der Stände (16½ Nein gegen 6½ Ja) am 6. Dezember 1992 ist den EU-beitrittswilligen Schweizer Politikern, Politologen sowie der Bundesverwaltung und den Diplomaten klar: Die Schweizer wollen nicht in die EU, heute erst recht nicht, wenn wir den Zustand unseres Landes in jeder Beziehung vergleichen mit dem Zustand der EU-Staaten. Deshalb mussten sich die EU-Turbos etwas anderes einfallen lassen. Das Ständemehr würden sie schon lange gerne abschaffen, und den Ständerat wollen sie schon ebenso lange «reformieren», sprich den grossen Kantonen mehr Ständeräte zuschanzen als den kleinen. Zum Glück unterstehen derlei Umbrüche in unserem föderalistischen System dem obligatorischen Referendum, müssten also von Volk und Ständen angenommen werden. Weil das nie und nimmer möglich ist, spukt seit 20 Jahren die Idee herum, mehrere Kantone zu Grossregionen zusammenzufassen; dann bräuchte man den Ständerat eigentlich nicht mehr und das Ständemehr auch nicht. Und die ganze Schweiz wäre dann besser steuerbar. Wir Schweizer wollen das aber nicht.
Aktuelles Beispiel: Die Kantone Basel-Stadt und Basel-Land haben am 28. September 2014 ein weiteres Mal über die Fusion ihrer beiden Kantone bzw. über die Bestellung eines gemeinsamen Verfassungsrates abgestimmt. Dass die Stadtbasler zustimmen würden, war ziemlich sicher, denn sie leiden an Platzmangel und würden sich schon lange gern den Nachbarkanton mit seinem grossen Territorium einverleiben. Aber die Baselbieter? Die wollen ihre Unabhängigkeit von der Stadt Basel, die sie sich 1833 errungen haben, heute noch erhalten. Also musste man sie zuerst umkrempeln. Nachdem «Experten» und Medien jahrelang versucht hatten, einen Spaltpilz zwischen die «fortschrittlichen» Bezirke in Stadtnähe und die «Hinterwäldler» in den ländlicheren Gebieten des Baselbiets zu setzen, zeigte sich am Abstimmungssonntag, dass diese Spaltung eine reine Erfindung war: Über 68 % im Kanton Basel-Land stimmten nein zur Grossregion, keine einzige der 86 Gemeinden stimmte zu!

Wozu Grossregionen?

Hier lassen wir das Bundesamt für Statistik (BfS) zu Wort kommen. In diesem Amt der Bundesverwaltung mit seinem harmlos klingenden Namen sitzt eine Truppe von EU-Turbos, die ihre Hausaufgaben machen – allerdings nicht für diejenigen, die ihren Lohn zahlen, also die Schweizer Steuerzahler, sondern direkt für Brüssel.

«Die 7 Grossregionen der Schweiz
Im Zuge der europäischen Integration [sic!] wurden auf Basis der Kantone die 7 Grossregionen geschaffen, die für regionale und internationale Vergleiche dienen. Diese Regionen sind mit den NUTS 21 von Eurostat (Statistikamt der europäischen Union) deckungsgleich und seit 1997 für die Schweizer Statistik verbindlich [sic!]. Sie sind aber keine echten institutionellen Einheiten.

Grossregionalisierung ist nicht nur ein Thema der Statistik, sondern auch ein grundlegender Entwicklungstrend in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft [sic!]. Unternehmen, Verbände und andere Gruppierungen organisieren sich mehr und mehr in grossregionalen Bezügen. Arbeitsmärkte und Pendlereinzugsgebiete weiten sich aus. Die Raumbeobachtung muss vermehrt auch grossregionale Prozesse berücksichtigen.»

So sollen gemäss BfS die Grossregionen zusammengesetzt werden: Genferseeregion (Genf, Waadt, Wallis), Espace Mittelland (Bern, Fribourg, Jura, Neuchâtel, Solothurn), Nordwestschweiz (Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt), Zürich (Zürich), Ostschweiz (Appenzell A. Rh, Appenzell I. Rh, Glarus, Graubünden, St. Gallen, Schaffhausen, Thurgau), Zentralschweiz (Luzern, Nidwalden, Obwalden, Schwyz, Uri, Zug), Tessin (Tessin).
Anmerkung: Da werden Kantone miteinander verquickt – ähnlich wie zu Napoleons Zeiten in der Helvetik –, die gar nicht zusammengehören wollen: zum Beispiel Basel-Land und Basel-Stadt, aber auch Waadt und Genf, die auch schon vergeblich über eine Fusion abgestimmt haben. Ganz zu schweigen vom Jura, der vermutlich nicht wieder zu Bern zurück will, nachdem er sich endlich von ihm trennen konnte.

Fazit

Wir Schweizer haben es mit unseren starken direktdemokratischen Mitteln in der Hand, Gegensteuer zu geben. Wir können mit Nein stimmen zu jedem Bundesgesetz und zu jeder Änderung der Bundesverfassung, die immer noch mehr Bereiche zentralistisch regeln will und damit tief in die Kerngebiete der Kantone hineingreift. Wir können verlangen, dass über die Bereiche, welche unsere kantonalen Regierungsräte in der KdK, der EDK, der GDK, der FDK usw. untereinander abmachen, Volksabstimmungen stattfinden, wenn das Thema für uns von Belang ist, wie zum Beispiel der Lehrplan 21. Wir können von unseren National- und Ständeräten verlangen, dass sie die Bundesräte auf ihre Pflicht zurückbinden, die Interessen der Schweiz und unserer Bevölkerung zu vertreten, auch gegenüber Brüssel und Washington.    •

1    «Die Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS) (Nomenclature des Unités Territoriales Statistiques) wurde 1981 durch Eurostat erarbeitet. […] Die Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS) gilt nur für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Eurostat hat aber in Übereinstimmung mit den beitrittswilligen Kandidatenländern, den übrigen Ländern des europäischen Wirtschaftsraums (EWR) sowie der Schweiz eine Systematik statistischer Regionen definiert.» www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/international/11/geo/analyse_regionen/11.html

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