von Dr. iur. Marianne Wüthrich
Studentenaustausch gab es hierzulande schon immer, denn die Schweiz war und ist ein weltoffenes Land. In früheren Jahrhunderten absolvierten sogar viele Schweizer ihr ganzes Studium in einem der Nachbarländer und machten dort ihren Universitätsabschluss. In der Schweiz kommt es zudem häufig vor, dass Kommilitonen aus der Romandie oder dem Tessin ein oder zwei Semester an einer Deutschschweizer Uni studieren und umgekehrt. Heute ist es nicht anders: Der Studentenaustausch findet statt wie eh und je. Der Unterschied ist nur, dass inzwischen die EU-Bürokratie sich der Sache angenommen und eine Riesenorganisation in Gang gesetzt hat; mit Milliarden von Euro, die von einem Land ins andere und – nach Hinterlassung eines beträchtlichen Betrages im Kässeli der Brüsseler Zentrale – wieder zurückströmen. Unter dem ambitiösen Namen «Erasmus» segelt ein Programm, das eigentlich nichts anderes beinhaltet als den Studentenaustausch zwischen den Ländern zu fördern, und zwar mit dem Hintergedanken, «nach dem Vertrag von Lissabon die ‹Beteiligung junger Menschen am demokratischen Leben in Europa› zu fördern.»1 Oder im Klartext: die jungen Menschen von ihren Heimatländern zu entwurzeln und sie zu Teilchen eines zentralistischen Einheitsstaates zu trimmen. «Erasmus» ist die Abkürzung für «European Community Action Scheme for the Mobility of University Students», also ein Mobilitäts-Förderungsprogramm. Die Anlehnung an den grossen Humanisten ist wohl beabsichtigt, wenn auch ziemlich vermessen.
Was hat denn «Erasmus» mit der Schweiz zu tun, werden Sie sich vielleicht fragen; die Schweiz ist ja gar nicht Mitglied der EU. Recht haben Sie – aber Sie kennen unsere Bundesverwaltung nicht! Selbstverständlich musste die Schweiz unbedingt an «Erasmus» andocken. Konkret bedeutet das: Die Schweiz hat bisher viele Millionen hineingesteckt, damit unsere Studenten mit einem Stipendium ein Semester an einer ausländischen Universität studieren konnten, und gleichzeitig (beträchtlich mehr) Studenten aus einem EU-Land in der Schweiz. Bis zum abrupten Ende.
Am 26. Februar 2014 teilte das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI mit, die Europäische Kommission habe die Schweiz von der Teilnahme am Programm Erasmus+ ausgeschlossen. Im Jahr 2014 (also im selben Jahr) könne die Schweiz nicht mehr als «Programmland», sondern nur noch als «Drittland» teilnehmen.2 Ein ziemlich rüdes Vorgehen einem Staat gegenüber, der seine Zeche bisher immer pünktlich bezahlt hat. «Fristlose Kündigung» heisst so etwas für den Rechtskundigen und ist nur bei schwerwiegenden Vergehen des Vertragspartners zulässig. Welches schweren Rechtsbruches hat sich denn die Schweiz als «Erasmus»-Vertragspartner schuldig gemacht? Als Begründung gibt die EU-Kommission laut SBFI an: «Die Verhandlungen mit der EU in bezug auf die Assoziierung sind im Gefolge der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative derzeit sistiert; die EU verweist auf das Prinzip der Personenfreizügigkeit als Schlüsselbestandteil der bilateralen Verträge.» Das heisst, die EU-Kommission reagierte ausserordentlich rasch auf die Eidgenössische Volksabstimmung vom 9. Februar 2014 und verkündete der Schweiz zwei Wochen später ihre frei erfundenen neuen Spielregeln: Die Personenfreizügigkeit wird als unabdingbare Voraussetzung dafür erklärt, dass die Schweiz bei «Erasmus» weiterhin mitmachen darf. Konkret sollte der Bundesrat zuerst das Freizügigkeitsabkommen mit Kroatien unterzeichnen, was mit «Erasmus» nichts zu tun hat. Ein merkwürdiges Vertragsgebaren dem souveränen Staat Schweiz gegenüber, finden Sie nicht? Was der alte Trotzkist Cohn-Bendit Ende Februar von sich gab – «Die Schweizer werden auf Knien wieder zu uns kommen und sehen, dass sie Europa einfach brauchen»3 – ist so dumm, dass wir es nicht beachten müssen. Nur eine Randbemerkung dazu: Wenn es das ist, was die EU-Machthaber von einem souveränen Vertragspartner wollen, dann lassen wir es lieber.
Unter einem bilateralen Abkommen zwischen gleichwertigen Partnern stellen wir uns eigentlich vor, dass die Vertragsbedingungen von beiden Beteiligten auf Augenhöhe ausgehandelt werden, und zwar vor dem Inkrafttreten des Vertrags. Kommt dazu, dass die Schweiz am 9. Februar 2014 in keiner Weise gegen den bilateralen Vertrag über die Personenfreizügigkeit verstossen hat. Das Schweizervolk hat lediglich beschlossen, diese Frage künftig neu regeln zu wollen. Wie jeder weiss, ist die Schweiz ein sehr zuverlässiger Vertragspartner und hält sich selbstverständlich an die vertraglichen Kündigungsklauseln, wenn sie ein Abkommen kündigen will.
Seit der Volksabstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative und dem Hinauswurf der Schweiz aus «Erasmus» sind inzwischen zehn Monate ins Land gegangen. In dieser Zeit haben sich einige interessante Fakten ergeben.
Zunächst hat der Bundesrat entdeckt, dass er die Gelder, die er bisher in den Erasmus-Topf in Brüssel bezahlen musste, ebensogut direkt an die Schweizer Studenten bezahlen kann. Für die Austauschwilligen ergeben sich dadurch keine Nachteile;4 für unsere Bundeskasse ist es sogar ein Vorteil, denn logischerweise kosten die Stipendien ohne Umweg über Brüssel weniger.
Übrigens gehen auch die ausländischen Studenten, die ein Semester an einer Schweizer Uni absolvieren wollen, nicht leer aus, denn auch sie erhalten vom Bund Stipendien – trotz Rausschmiss aus «Erasmus». Wie immer zeigt sich die Schweiz auch hier grosszügig: Während sich im Jahr 2012/13 2970 Schweizer an Erasmus beteiligten, nahmen 3897 ausländische Studenten einen Platz in der Schweiz in Anspruch, das sind rund 1000 mehr.5
Bereits Anfang März 2014 stellte sich ausserdem heraus, dass der Bundesrat offenbar nicht unglücklich war über das Scheitern der Schweizer Beteiligung an der neuen «Erasmus»-Etappe 2014–2020. Denn nachdem National- und Ständerat bereits die vereinbarten 185 Millionen Franken bewilligt hatten, forderte die EU plötzlich mehr als doppelt so viel.6 Bundesrat Schneider-Ammann wird deshalb ganz froh sein, die Bundesgelder im Rahmen einer eigenständigen Lösung zuteilen zu können.
Am Ende eines Jahres ohne Erasmus stellen wir fest: Wir brauchen tatsächlich kein Monsterabkommen aus Brüssel, damit unsere Studenten ein Auslandsemester machen und umgekehrt die ausländischen Studenten in der Schweiz studieren können. Gemäss der Tagespresse zum Jahresende haben im vergangenen Jahr die einzelnen Schweizer Hochschulen bilaterale Abkommen mit den einzelnen Hochschulen im Ausland ausgehandelt. Unter dem neuschweizerischen Namen «Swiss-European Mobility»-Programm wurden über 200 Einzelabsprachen mit anderen Universitäten geschlossen, was einen enorm hohen «Kommunikationsaufwand» erfordert habe.7
Vielleicht ist es in Zeiten unbeschränkter und grenzenloser Kommunikation im virtuellen Netz kein Schaden für die Menschheit, wenn wir ab und zu auf die direkte Beziehungsaufnahme per Telefon zurückgreifen und wenn die Staatsbeamten und die beteiligten Studenten auch einmal persönlich mit Herrn A. oder Frau B. zu tun haben, statt nur eine Nummer in einem bürokratischen Raster anzuklicken und selbst eine Nummer zu sein.
Und was die Bemühung Brüssels betrifft, mehr «mobility» unter den europäischen Studenten hinzukriegen, pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Weder «Erasmus» noch «Bologna» sind mobility-tauglich, obwohl sie angeblich zu diesem Zweck erfunden wurden. Denn die Anrechnung von Kursen an der Gast-Uni ist nach wie vor sehr unsicher.8 Aber wie gesagt: Hauptziel der Übung ist ja ein ganz anderes: Viele Akademiker heranzuziehen, die dereinst die Vereinigten Staaten von Europa anführen sollen. •
1 Europäische Kommission, Erasmus+ Programmleitfaden, gültig ab dem 1. Januar 2014, S. 9
2 SBFI, Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative und ihre Auswirkungen auf die Beteiligung der Schweiz an Erasmus+, Information vom 26. Februar 2014
3 <link http: www.swissinfo.ch>www.swissinfo.ch vom 27.2.2014
4 <link http: www.swissinfo.ch>www.swissinfo.ch vom 27.2.2014
5 <link http: www.moneycab.com mcc>www.moneycab.com/mcc/2014/03/07
6 «Was über Erasmus verschwiegen wird», Basler Zeitung vom 6.3.2014
7 «Austausch auch ohne Erasmus», Neue Zürcher Zeitung vom 29.12.2014
8 «Partysemester für Elitekinder», Weltwoche 10/2014 vom 5.3.2014
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