TiSA – geheim verhandeltes Abkommen mit geheimem Inhalt

TiSA – geheim verhandeltes Abkommen mit geheimem Inhalt

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Als nächstes blüht der Schweiz – wenn wir nichts dagegen unternehmen – das Hineinrutschen in sogenannte Freihandelsverträge (TTIP und TiSA), die in keiner Weise zum Wohle der Bürger abgeschlossen würden, übrigens auch nicht zum Wohle der Bürger aller anderen beteiligten Länder. Alles vom transatlantischen grossen Bruder geplant und gesteuert.
Durch irgendeinen gut informierten Internetnutzer erfuhren die interessierten Bürger vor einigen Monaten, dass die USA ein umfassendes Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen planen, «Trade in Services Agreement», kurz TiSA. Darin wollen sie möglichst viele Staaten ihrer Wahl – die «really good friends» – einbinden. In globalisierungskritischen Kreisen löst dieser Name verständlicherweise Argwohn aus. Die 23 TiSA-Länder dominieren etwa 70 % des weltweiten Dienstleistungssektors. Aber nicht nur in linken und grünen Kreisen lösen TiSA-Verhandlungen Unbehagen aus. Die ehemalige EU-Kommissarin und luxemburgische christlich-soziale Politikerin Viviane Reding sagte unlängst über TiSA: «Hier tickt eine Zeitbombe, nur hat sie noch niemand entdeckt.» (Radio SRF, 17.4.2015, Echo der Zeit)
Übrigens, die Schweiz gehört auch zu den gnädig Auserwählten, deren Dienstleistungsmarkt die USA gerne übernehmen möchten. Die geheimen Verhandlungen laufen seit dem Februar 2012 in Genf unter Führung der USA, Australiens und der EU.
Offenbar erfuhren auch unsere Parlamentarier erst spät von der Schweizer Beteiligung an den TiSA-Verhandlungen – so gut funktioniert das Geheimhaltungssystem! Jedenfalls wurde die Grüne Fraktion im Jahr 2014 aktiv: Nationalrätin Aline Trede (GP BE), mit 11 Mitunterzeichnern, wollte in drei Interpellationen vom Bundesrat wissen, auf welche rechtliche Grundlage sich die Teilnahme der Schweiz stützt, wodurch sich TiSA vom GATS unterscheidet, warum die Verhandlungen geheimgehalten werden und schliess­lich: Welche Konsequenzen hätte die Unterzeichnung von TiSA auf den Service public (geplante Liberalisierung) und welcher Gerichtsbarkeit würde die Schweiz unterstehen? (14.3102, 14.4160 und 14.4295 Interpellation Trede)
Antworten des Bundesrates:
Die rechtliche Grundlage sei das Doha-Mandat von 2002 (!), da sich TiSA «nicht grundsätzlich» von GATS (General Agreement on Trade in Services) unterscheide. – Unterscheidet es sich also oder nicht?
Auch der Rest geht in schwammigen Ausführungen unter: Geheime Verhandlungen seien gesetzlich erlaubt [sic!], alles andere steht in den Sternen, zum Beispiel: «Die Frage eines allfälligen Streitschlichtungsmechanismus im TiSA ist offen und wird zu gegebener Zeit Gegenstand der Verhandlungen sein.» (Interpellation Trede 14.3102). Das heisst im Klartext: Auf Wiedersehen vor einem US-amerikanischen sogenannten «Schiedsgericht», ganz unparteiisch natürlich!
Im übrigen wird auf die schriftlichen Eingaben der Schweiz verwiesen: 14 an der Zahl, zu finden auf der Homepage des Seco (<link www.seco.admin.ch>www.seco.admin.ch), alle ausschliess­lich in englischer Sprache, ebenso wie zwei Medienmitteilungen.
Wie war das doch gleich mit den drei Amtssprachen der Schweiz? Jeder «Haberchäs» wird in der Bundesverwaltung fleissig übersetzt; allein die TiSA-Dokumente können nur diejenigen Bürger lesen, die so «weltoffen» sind, dass sie – die schon auf deutsch sehr komplexe! – Materie mühelos auf englisch lesen können?!

Kritische Bürger bringen die Sache auf den Punkt

Zum Glück sind die Schweizer nicht so leicht zu knacken. Ein herrliches Beispiel für die kritische Meinungsbildung der Bevölkerung finden wir in einer Informationsveranstaltung des VPOD (Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste) vor 30 Basler Bus- und Tramchauffeuren, kommentiert vom Schweizer Radio. (SRF 17.4.2015, 18.00 Uhr, Echo der Zeit) Die Gewerkschafter, Referent und Zuhörer, wie auch SRF-Redaktor Massimo Agostinis bringen genau auf den Punkt, warum sie mit Recht misstrauisch sind gegenüber der Teilnahme der Schweiz an einem von den USA initiierten und weitgehend der Öffentlichkeit verheimlichten Abkommen.
Denn TiSA soll nicht nur den privaten Dienstleistungssektor liberalisieren, also die Banken- oder Versicherungsbranche, auch staatliche Dienstleistungen könnten dereguliert werden, sagte VPOD-Zentralsekretär Stefan Giger in seinem Vortrag. Dazu gehörten auch das Gesundheitswesen, die Bildung oder der öffentliche Verkehr. Das alles sind Sektoren, in denen der VPOD stark vertreten ist. Deshalb ist er zurzeit die lauteste Stimme in der Schweiz gegen das TiSA-Abkommen. Einer der anwesenden Trämler äusserte seine Beunruhigung darüber, dass schon GATS Ausgangspunkt für eine Ausweitung der Liberalisierung war, die weder für die Angestellten noch für die Endverbraucher, also die Steuerzahler gut ist.
Christian Etter, zuständig für Aussenwirtschaft im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), weist die Behauptung des VPOD weit von sich, wonach über die Hintertüre auch über staatliche Dienstleistungen wie das Bildungs- oder Gesundheitswesen verhandelt werde: «Also diese Aussage basiert auf falschen Vorstellungen.» Die Karten auf den Tisch legen darf er allerdings nicht, denn die verhandelnden Nationen haben sich strikte Geheimhaltung auferlegt. Christian Etter verweist auf die Homepage des Seco, wo alle Punkte aufgelistet sind, worüber die Schweiz nicht verhandeln will. Dazu gehören alle heutigen staatlichen Dienstleistungen wie Post, öffentlicher Verkehr, Gesundheits- und Bildungswesen und anderes.
Stefan Giger vom VPOD entgegnet, es stimme, das Seco wolle darüber nicht verhandeln, aber über die Annexe zum eigentlichen Abkommenstext würden auch Bereiche hineinkommen, welche die Schweiz nicht haben möchte. Das Seco sagt auch hier: «Falsch! Ein Annex gelte nur, wenn er auch von allen angenommen worden sei.»
TiSA werde den Handlungsspielraum der Politik zugunsten von privaten Unternehmen weiter einschränken, beharren Globalisierungskritiker. Das Problem ist: Niemand weiss, ob diese Fälle mit TiSA tatsächlich zunehmen werden. Denn worüber genau verhandelt wird, wissen nur die wenigsten. Und das ist vermutlich der grösste Schwachpunkt.
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Kommentar: Lassen wir uns die Aussagen des Seco, also des für TiSA zuständigen Staatssekretariats, noch einmal auf der Zunge zergehen (unter Berücksichtigung des Hinweises der SRF-Wirtschaftsredaktion, dass Christian Etter seine Karten nicht auf den Tisch legen darf):
«[…] es sollen unnötige, ungerechtfertigte Handelshemmnisse abgebaut werden, und die Planungssicherheit für das internationale Dienstleistungsgeschäft soll erhöht werden».
Gemeint sind Handelshemmnisse, die durch die Gesetzgebung der Nationalstaaten zum Schutz ihrer eigenen Volkswirtschaft errichtet wurden: Diesen nationalen Gesetzen sollen die Interessen der multinationalen Konzerne vorgehen; Planungssicherheit bedeutet, dass die globalisierten Grosskonzerne für Jahre im voraus ihre Investitionen planen können, ohne Gefahr zu laufen, durch entsprechende nationale Gesetze daran gehindert zu werden.
Zum Verdacht der Gewerkschaft VPOD, es werde über die Hintertüre auch über staatliche Dienstleistungen wie das Bildungs- oder Gesundheitswesen verhandelt: «Also diese Aussage basiert auf falschen Vorstellungen.»
Da das Seco ja seine Karten nicht auf den Tisch legen kann/will, bleibt im dunkeln, welche Vorstellungen hier richtig oder falsch sind.
Weder die Basler VPOD-Mitglieder noch wir wissen, was richtig oder falsch ist. Mit der Grünen Fraktion in Bern und den Basler Bus- und Tramchauffeuren müssen wir Bürger uns zu Wort melden und einen Stopp verlangen zu Verhandlungen, die sicher den globalen Grosskonzernen einen Run auf das Dienstleistungsgeschäft in der Schweiz und in vielen anderen Staaten ermöglichen würden, aber den KMU, Arbeitnehmern, Konsumenten und unserem qualitativ hochstehenden Service public nur zum Schaden sein kann.    •

Motion «TiSA. Service public ist nicht verhandelbar»

Mit der Motion «TiSA. Service public ist nicht verhandelbar» (Nr. 14.3368 vom 8. Mai 2014, noch nicht im Plenum verhandelt) richtete die Grüne Fraktion vor einem Jahr zwei sehr klare Aufforderungen an den Bundesrat:

  1. «Der Bundesrat muss garantieren, dass keine Leistungen des Service public in den TiSA-Verhandlungen offeriert werden.
  2. Der Bundesrat wird beauftragt, das Verhandlungsmandat zu TiSA des Seco zumindest den zuständigen Kommissionen [des National- und Ständerates, Anm. Zeit-Fragen] offen zu legen.»

Die Antwort des Bundesrates gibt Anlass zu höchster Beunruhigung: Nach einer Wiederholung der oben erwähnten Nebelwerfer folgt der lapidare Satz: «Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.»
Im Klartext: Der Bundesrat weigert sich erstens, den Schutz des Service public vor der Liberalisierung/Privatisierung zu gewährleisten.
Der Bundesrat beharrt zweitens auf seiner Behauptung, er habe das Mandat für seine geheimen TiSA-Verhandlungen vor 12 Jahren vom Parlament erhalten, zwar nicht für TiSA-Verhandlungen, aber für so etwas Ähnliches.
Es ist nun am National- und Ständerat, den Bundesrat auf seinen Platz zu verweisen.

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