Willkür ist noch lange kein Konzept, das zur Befriedung führt

Willkür ist noch lange kein Konzept, das zur Befriedung führt

von Willy Wimmer, ehemaliger Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium und Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE

Mazedonien, wer? Das war vor Wochenfrist die Frage vieler, als die Meldungen über das Aufflammen von Kämpfen mit zahlreichen Toten und Verletzten in einer mazedonischen Stadt die Wochenendnachrichten bei uns bestimmten. Über die Jahre ist Mazedonien in den Schlagschatten der west­europäischen Aufmerksamkeit geraten. Das war einmal anders, als nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzung um den Kosovo Kämpfe zur weiteren Trennung von Volksgruppen im südlichen Anrainer-Staat Mazedonien losgebrochen waren. Damals kamen wieder die Gedanken an Grossalbanien auf, denn es war fast ohne Zweifel, dass die albanischen Kämpfer in Mazedonien die offene und heimliche militärische Unterstützung der US-Army und der sonstigen amerikanischen Regierungsstellen genossen. Bewaffnet und ausgebildet waren diese Kräfte von denjenigen, die mittels der kosovarischen UÇK schon ihre Interessen bis hin zum Ausbruch des Krieges um den Kosovo durchzusetzen wussten. Damit wurden für jedermann mehrere Zielvorgaben deutlich:

  1. Die Entwicklung und die künftige staatliche Struktur für jeden einzelnen der Balkan-Staaten hing nur von dem Willen einer Macht ab: den USA;
  2. Aufgabe der Europäer war es, sich nachhaltig wechselseitig in den Haaren zu liegen und den amerikanischen Plänen dienstbar und gefügig zu sein;
  3. nur ja keine befriedende Lösung im Ausgleich von Interessen zu erlauben, denn man weiss letztlich nie …;
  4. die Struktur des Balkans so zu gestalten, dass jeder feststellbare oder vermutete Einfluss der Russischen Föderation in dieser Region und bis zur Adria sich in Luft auflösen sollte;
  5. wie wir es schon zurzeit der Wehrmacht auf dem Balkan erfahren durften, hing es im wesentlichen davon ab, welche Volksgruppe auf dem Balkan sich eine vermeintlich mächtige Aussenbasis für ihre eigenen Interessen verschaffen konnte, um gegen andere die eigenen Interessen und die des mächtigen Verbündeten gebündelt zu sehen. Die Nachbarn konnten und mussten die Leidtragenden sein;
  6. nach Möglichkeit das Modell umzusetzen, das mit grossem Erfolg die baltischen Staaten gegenüber ihren Minderheiten durchboxen. Deren Beispiel besteht darin, den eigenen Minderheiten keine dem europäischen Standard vergleichbare innerstaatliche Rechtsposition zuzugestehen. Jeder Versuch, von aussen, eine Verbesserung der Rechts­position für die Minderheiten zu erzielen, wird dann zur «russischen Gefahr» umgespritzt und die eigene baltische Ignoranz unter den Schutz von Artikel 5 des Nato-Vertrages gestellt. Das haben die baltischen Staaten zur europäischen Perfektion getrieben, aber das geht auch an anderer Stelle;
  7. für Mazedonien unter allen Umständen den Zustand der «sichtbaren Fragilität» aufrechtzuerhalten. Dieser besteht darin, dass der griechische Nachbar seinen Verwandten noch nicht einmal einen gesicherten Staatsnamen zugesteht und damit den Eindruck international verstärkt, dass der Kuchen endgültig jedenfalls nicht verteilt zu sein scheint.

Die staatsnahen Medien in unseren Ländern hatten jedenfalls die blutigen Ereignisse in dem Balkanstaat nicht auf dem Schirm, und das geneigte Publikum konnte anschliessend auch nicht erwarten, über die tatsächlichen und vermeintlichen Ursachen der Kämpfe aufgeklärt zu werden. Angeblich geht es um die Bekämpfung der Korruption, derer sich wohl jeder auf dem Balkan verdächtig gemacht hat. Aber das ist für Nato- und EU-Konsorten kein Grund zur Einflussnahme, weil jeder auf dem Globus weiss, mit welcher Inbrunst man sich gerade die ukrainische Korruption an die Brust gezogen hat. Nachdem ein deutscher Bundesaussenminister die Heroinproduktion in Afghanistan zum Grundpfeiler der wirtschaftlichen Entwicklung dieses Gemeinwesen umfunktioniert hatte, sollte man Beteuerungen dieser Art seitens europäischer Spitzenvertreter ohnehin keinen Glauben mehr schenken. Die Leute, die sich hinter solchen Slogans versammeln und auf die Strassen gehen, sollten eines wissen: Sie laufen hinter den Argumenten aus medienwirksamen Zettelkästen her, an die selbst die Autoren nicht glauben.
Wahrscheinlicher ist es schon, was man darüber hört, dass die Kämpfe Einfluss nehmen sollen auf die wohl doch nicht so beigesetzten Pläne für den Bau einer russischen Pipeline zur Gasversorgung des südlichen Europas. Die Perspektivlosigkeit, in die Nato, EU und die Welt nach Lehman-Brothers gerade diese Staaten gestürzt hat, macht sie natürlich und verständlicherweise süchtig bei russischen finanziellen Avancen. Warum im Glauben an westliche Hoffnungslosigkeit verelenden, wenn die Sonne wieder – wie in alten Zeiten – im Osten aufgeht? Die mazedonischen Kämpfe sind unter diesen Umständen die ersten Signale einer Auseinandersetzung an einer neuen Front. Das machen auch die Äusserungen des serbischen Präsidenten Nikolic zum Kosovo und zu seiner Rückgewinnung deutlich. Die Bruchlinien auf dem Balkan verlaufen künftig nach einem neuen Muster. Wer hat auf welche Seite gesetzt, und wer wird erfolgreich sein? Moskau kommt zurück, denn es war nie weg.    •

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