«Geheime Verträge stehen im Widerspruch zu unserem Staatswesen.»

«Geheime Verträge stehen im Widerspruch zu unserem Staatswesen.»

Interview mit Nationalrat Lukas Reimann, SVP

Zeit-Fragen: Was finden Sie an diesen geplanten Abkommen problematisch?

Nationalrat Lukas Reimann: Es sind vor allem zwei Sachen, die mich hier beschäftigen. Viele Leute haben das Gefühl, es sei ein neues Freihandelsabkommen, bei dem es um den Abbau von Zöllen oder von Handelshemmnissen geht. Das ist es jedoch nicht. Es ist kein Freihandelsabkommen. Unter Umständen könnte man sonst auch dafür sein.

Was ist es denn dann?

Es ist ein Abkommen, um nicht-tarifäre Handelshemmnisse abzubauen. Das ist gefährlich, weil dann amerikanische Konzerne zum Beispiel gegen den Staat klagen können. Es gibt zwar noch keine klar definierte Gerichtsbarkeit, aber wie es am Schluss herauskommen wird, wissen wir nicht. Es kann sein, dass der Datenschutz und gar der Verbraucherschutz in der Schweiz ein Handelshemmnis darstellen, genauso wie das vom Volk demokratisch beschlossene Gentech-Moratorium in der Landwirtschaft oder unsere hohen Tierschutzbestimmungen. Damit sind letztlich die Souveränität unseres Landes und die direkte Mitbestimmung des Bürgers, so absurd es klingen mag, ein Handelshemmnis. Dagegen kann dann geklagt werden. Wenn wir den Vertrag unterzeichnet haben, dann gilt der Vertrag und nicht mehr die Schweizer direkte Demokratie. Damit wird die direkte Demokratie ausgehebelt. Das Volk kann dann mehrmals dagegen abstimmen, wenn das gemäss dem Vertrag ein Handelshemmnis ist, wird die direkte Demokratie ausgesetzt.

Das wäre ein totaler Eingriff in unser Staatswesen von aussen?

Ja, das ist es, was mir Sorgen macht. Wenn das Schweizervolk sich dafür ausspricht, dann kann es das. Aber es kann nicht sein, dass durch so einen Vertrag Schweizer Errungenschaften, Schweizer Volksentscheide obsolet werden. Nehmen wir mal die Landwirtschaft. Es ist doch für unsere Landwirtschaft ein grosser Vorteil, wenn wir saubere Nahrungsmittel haben und für uns Bürger erst recht. Wenn der Vertrag nachher sagt, die Qualitätsstandards in der Schweiz, das ist ein Handelshemmnis, dann müssten wir das alles schlucken.

Das würde sich dann auf ganz viele Bereiche ausdehnen?

Das kann man überhaupt noch nicht abschätzen, wo das überall hineinspielen würde. Aber man kann fast in jedem Bereich nachher sagen, das ist ein Handelshemmnis. Es wäre sogar möglich, dass wir die gesamten sozialen Errungenschaften wie Arbeiterschutz und ähnliches verlieren könnten.

Wer entscheidet bei Streitigkeiten? Wie sieht das aus mit der Frage der Gerichtsbarkeit?

Es wird sicher kein Schweizer Gericht sein, das entscheidet. Im besten Fall ist es ein neues internationales Gremium. Es wird ein gemischter Ausschuss sein, der nach Mehrheitsprinzip entscheiden wird. Dann stimmen in einem Streitfall am Schluss 10 US-Amerikaner und 7 Europäer dafür und vielleicht 3 Europäer dagegen. Dann ist der Fall entschieden, ohne dass die andere Position nur den Hauch einer Chance hatte. Die Schweizer Position wäre nicht vertreten.

Bisher gibt es keine offene Diskussion. Man weiss nur sehr wenig, aber das, was man weiss, ist nicht sonderlich positiv. Wie sehen Sie diese Geheimhaltung?

Das stimmt, die Verhandlungen sind völlig intransparent. Die vom Volk gewählten Parlamentarier, National- und Ständerat, werden nicht einmal informiert. Wir werden am Schluss vor vollendete Tatsachen gestellt und können dann nur noch ja oder nein sagen. Das entspricht nicht im geringsten meinem Demokratieverständnis. Wenn einmal etwas durchsickert, dann ist es nicht offiziell. Die Art und Weise dieses Vorgehens erweckt natürlich Misstrauen. Wenn man die Dinge nicht offenlegt, dann legt das den Schluss nahe, dass sie etwas zu verbergen haben und deshalb alles hinter verschlossenen Türen verhandeln wollen. Ich bekomme häufig Mails, in denen die Menschen fragen, was TTIP ist und ob das unser Land betreffe. Und es betrifft natürlich auch unser Land.

Bei den TTIP-Verhandlungen ist die Schweiz nicht dabei. Die Verhandlungen führen die USA, Kanada und die EU. Was heisst das für unser Land?

Bundesrat Schneider-Amman hat gesagt, die Schweiz habe teilweise einen Beobachterstatus, jedoch ohne Mitsprache. Er ist der Meinung, die Schweiz müsse sich daran beteiligen, denn der USA-Markt sei für die Schweiz nicht unwichtig. Die Schweiz müsse das mitunterzeichnen, sonst gebe das möglicherweise einen Importstopp für Schweizer Produkte. Wir müssten uns also jetzt wehren und versuchen, unsere Position einzubringen. Sonst werden wir vor vollendete Tatsachen gestellt.

Das ist ja fast Erpressung. Wenn die Schweiz hier beitreten würde, gibt es dann ein Referendum?

Die AUNS hatte die Initiative Staatsverträge vors Volk lanciert. Wäre diese Initiative angenommen worden, dann wäre es ganz klar, dieser Vertrag muss vors Volk. Jetzt ist es ein Abwägen, und der Bundesrat hat viel Spielraum. Er kann bei den Abkommen immer entscheiden, ob es wichtig oder nicht so wichtig ist. Wenn er sagt, es ist eigentlich nicht so wichtig, dann wird dieser Vertrag nicht einmal dem fakultativen Referendum unterstellt. So ein wichtiger Vertrag müsste aber zwingend dem obligatorischen Referendum unterstellt werden. Hier muss das Volk darüber entscheiden können. Das steht auch in der Verfassung: Wenn man internationalen Organisationen beitritt, muss das zwingend dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Faktisch käme das einem Beitritt zu einer internationalen Organisation gleich.

Welche Argumentation führt der Bundesrat?

Der Bundesrat tut so, als ob es ein Freihandelsabkommen sei, was es aber überhaupt nicht ist. Diese Abkommen sind nicht dem Referendum unterstellt. Linke Parteien wollten beim Freihandelsabkommen mit China das Referendum ergreifen. Ich war dafür, dass das Volk entscheiden können soll. Die Mehrheit hat es nicht gewollt, deshalb wird es nie eine Abstimmung über Freihandelsabkommen mit China geben. Die Gefahr ist, dass sie diese Verträge mit den USA und der EU am Schweizer Volk vorbeischleusen wollen.
Wenn wir uns nochmals die Frage nach der Gerichtsbarkeit im Rahmen von TTIP oder auch TiSA stellen, sind das nicht am Schluss fremde Richter, die hier entscheiden werden?
Ganz klar, am Ende gilt amerikanische Rechtsprechung. Mit diesen Verträgen werden über fast alle wichtigen Bereiche fremde Richter das letzte Wort haben. Das Abkommen ist so breit angelegt, dass es, wie vorhin gesagt, den Datenschutz, den Konsumentenschutz, das Arbeitnehmerrecht usw. tangieren kann. Das kann dazu führen, dass Errungenschaften zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger, die wir als selbstverständlich ansehen, über den Haufen geworfen werden. Das könnte so weit gehen, dass am Schluss die AHV ein Handelshemmnis für private Versicherer darstellt. Das kann man sehr weit ausdehnen. Je nach dem, was in dem Vertrag steht, kann ein amerikanischer Grosskonzern auf die Idee kommen, in der Schweiz eine Altersvorsorge anzubieten. Wenn der Vertrag so etwas zulässt, dann geht die Grundlage unseres friedlichen demokratischen Zusammenlebens verloren.

Bei TiSA ist die Schweiz bei den Verhandlungen mit am Tisch. Ist die Ausgangslage dadurch besser?

Dahinter steckt der lang gehegte Wunsch der Schweizer Wirtschaft, Dienstleistungen auf dem EU-Markt anzubieten. Die EU hat das immer verknüpft mit der Frage des Bankgeheimnisses und angeboten, gegen Aufheben des Bankgeheimnisses den Zugang zu gewähren. Das war für die Schweiz damals nicht verhandelbar. Heute ist das Bankgeheimnis aufgehoben, aber eine Gegenleistung ist nicht erfolgt und wurde unverständlicherweise auch nie im Gegenzug eingefordert von der Schweiz. Wenn wir das jetzt schon fallen lassen, dann sollen sie uns den Zugang zum Dienstleistungsmarkt geben. Die Schweiz hat es erneut versucht, jedoch hat die EU abgewehrt, man habe jetzt kein Interesse mehr daran. Für die grossen Unternehmen der Schweiz ist das kein Problem, aber für die kleineren KMU, die etwas im grenznahen Raum anbieten wollen, ist das ganz schwierig. Die Schweiz sollte schon Zugang haben zu den Dienstleistungen, aber mit TiSA ist das der falsche Weg.

Wie könnte das denn aussehen?

Wenn, dann müsste das die Schweiz mit den europäischen Staaten aushandeln und nicht mit den USA als grossem Dach über allem hinweg.

Was geschieht mit unseren gemeinwohlorientierten Errungenschaften wie Wasserversorgung, Stromversorgung, Post usw.? Bis jetzt ist es gelungen, möglichst viel von unserer Wasserenergie in staatlicher Hand zu behalten. Das wäre alles gestorben, wenn wir bei TiSA einsteigen?

Die Schweiz ist eines der Wasserschlösser auf dieser Welt, und wir wissen, dass Wasser immer rarer wird. Da haben die internationalen Kräfte ein Interesse daran, mit internationalen Verträgen darauf Zugriff zu bekommen, das zu steuern oder im besten Fall für sie aufzukaufen. Sie werden sicher versuchen, mit TiSA darauf Zugriff zu erhalten. Wenn wir sehen, wie sich die USA in den letzten Jahren gegenüber der Schweiz verhalten haben, dann gibt es für mich keinen Grund, ihnen nur ein kleines bisschen entgegenzukommen und ihnen einen Zugriff zu geben. Man weiss auch, was passiert, wenn man mit den Amerikanern Verträge abschliesst. Wir halten uns dann daran, aber für sie gilt weiterhin das amerikanische Recht, und wir haben uns dann gefälligst daran zu halten. Solche Zustände müssen wir verhindern, es geht schon heute ziemlich weit. Aus meiner Sicht dürfte man dort erst gar nicht verhandeln. Ich sehe bis jetzt keine Vorteile für die Schweiz. Ich sehe aber eine Gefahr. Wenn es tatsächlich zu einem Abschluss zwischen der EU und den USA kommen sollte, wird die Schweiz wieder vor vollendete Tatsachen gestellt. Dann heisst es natürlich, jetzt hätten wir keine andere Wahl.

Wie ist der Stand der Verhandlungen dort?

Man gibt uns keine Auskunft. Wir haben schon mehrmals diejenigen gefragt, die an den Verhandlungen für die Schweiz dabei sind, was sie eigentlich dort einbringen. Aber man bekommt keine Antwort. Wir als vom Volk gewählte Parlamentarier werden nicht informiert, und das ist schlecht. Es ist eine Geheimniskrämerei in der Schweiz und damit wird das Prinzip der direkten Demokratie mit Füssen getreten.

Stellt sich hier auch die Frage nach dem Referendum?

Das Vorgehen ist wie bei TTIP. Es wird als Freihandelsabkommen deklariert. Davon gibt es ganz viele. Das sei nichts Besonderes, so die Argumentation. Dass man die Freihandelsabkommen mit China nicht dem Referendum unterstellt hat, rächt sich jetzt. Ich habe damals dafür gestimmt, damit das Volk darüber abstimmen könne, leider ohne Erfolg. Das Volk muss darüber abstimmen können, die Debatte muss stattfinden, und das Volk muss wissen, worum es überhaupt geht und welche Folgen es für den Bürger und für unser Staatswesen hat. Ich will eine Politik für und mit dem Bürger statt ohne und gegen ihn!
Der ganze Ablauf ist eines souveränen Staates nicht würdig.
Es ist die Aufgabe von Freiheit, Souveränität und Demokratie. Das sind die Grundpfeiler des Erfolgsmodells Schweiz. Die Stärke unseres Landes ist die Mitbestimmung, die genossenschaftliche Organisation, der Aufbau unseres Staates von unten nach oben, der Bürgersinn und damit verbunden eine grosse Transparenz in politischen Abläufen. Wenn im geheimen Verträge geschlossen werden, steht das von Anfang an im Widerspruch zu unserem Staatswesen. Das alles dürfen wir unter keinen Umständen über Bord werfen. Diese Grundwerte werden jetzt schon von den USA und von Brüssel immer wieder angegriffen. In Tat und Wahrheit ist das der Todesstoss für unsere Demokratie.

Warum werden solche Abkommen überhaupt lanciert und verhandelt?

Wir sind in einem weltweiten Konflikt, und darin ist die Schweiz ein neutrales Land. Das bedeutet doch, dass die Schweiz für alle Regionen in der Welt offen ist. Und so sollte es auch bleiben. Wir können mit gutem Gewissen mit allen reden, mit den Russen, mit den USA, mit den Chinesen. Mein Eindruck ist, dass sie uns für eine einzelne Allianz gewinnen wollen. Das Kräftemessen zwischen den Grossmächten spitzt sich zu und in der Situation darf sich die Schweiz nicht zu sehr an eine der Grossmächte anbinden. Und diese Abkommen gehen ganz klar in Richtung USA. Hier stösst man andere gute Handelspartner vor den Kopf. Ziel scheint zu sein, die Schweiz Richtung USA zu ziehen, den neutralen Status aufzulösen, damit sie Teil der westlichen Allianz wird. Man muss den ganzen Ablauf auch in diesem globalen Rahmen sehen. Auch will die USA damit verhindern, dass die Länder Abkommen mit andern Staaten wie China oder auch Russland abschliessen können. Es geht also auch um eine internationale Positionierung. Hier gilt es für die Schweiz, den neutralen, weltoffenen Standpunkt zu bewahren und sich nicht auf die eine oder andere Seite zu schlagen.

Herr Nationalrat Reimann, vielen Dank für das Gespräch.     •
(Interview Thomas Kaiser)

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