Russland, der Westen und der Krieg in Syrien

Russland, der Westen und der Krieg in Syrien

von Karl Müller

Eines zu Beginn: Im Sommer 2013, als sich die USA gemeinsam mit einer «Koalition der Willigen» anschickten, Syrien direkt militärisch anzugreifen, wandte sich Papst Franziskus in Rom in einer zentralen Gebetswache für den Frieden an die Menschenmenge auf dem Petersplatz: «Möge das Waffenrasseln aufhören! Krieg bedeutet immer das Scheitern des Friedens, er ist immer eine Niederlage für die Menschheit.» An der tiefen Wahrheit dieser Aussage hat sich auch zwei Jahre später mit dem militärischen Eingreifen Russlands in das syrische Kriegsgeschehen nichts geändert.
Und dennoch: Das Klagen westlicher Medien und Politiker über das Eingreifen Russ­lands in den Krieg ist heuchlerisch – und die Wahrheit bleibt dabei auf der Strecke. Aber diese Heuchelei richtet sich nicht nur (erneut) gegen Russland, sie richtet sich auch gegen all jene, die den Krieg in Syrien beenden wollen und wissen, dass es dafür eine gemeinsame Anstrengung der – und hier ist das Wort passend – Weltgemeinschaft braucht.

Eine Aufgabe für die Weltgemeinschaft

Das sieht nicht nur die russische Regierung so – die Rede des russischen Präsidenten vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 28. September 2015 in New York, die Bemühungen der russischen Präsidentschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im September 2015, der Resolutionsentwurf Russ­lands für den Sicherheitsrat vom 1. Oktober 2015, die auch in deutscher Sprache nachlesbaren Stellungnahmen aus dem Aussenministerium Russlands belegen dies. Auch besonnene Stimmen aus dem Westen sind dieser Meinung. Aber diese Stimmen müssen sehr hart kämpfen und drohen fast unterzugehen im Hagel der Propaganda des neuen Kalten Krieges. Man muss nur an einem beliebigen Tag der Woche die Medien studieren, um zu sehen, wo die Linien verlaufen.

Nicht nur Medien mit transatlantischem Hintergrund …

Beispiel 22. Oktober 2015: Am Morgen nach dem Besuch des syrischen Präsidenten in Moskau kommentieren die deutschen Tageszeitungen wie gleichgeschaltet erneut mit sehr bissigen Zeilen. Ob vermeintlich konservative «Welt» oder vermeintlich linksalternative «tageszeitung», ob vermeintlich linksliberale «Süddeutsche Zeitung» oder vermeintlich wirtschaftsliberales «Handelsblatt» – allesamt lassen sie kein einziges gutes Haar am Versuch des russischen Präsidenten, gemeinsam mit dem amtierenden Präsidenten Syriens Fortschritte in Richtung Beendigung des Bürgerkrieges in diesem geschundenen Land zu erzielen. Die Vorwürfe gehen sogar so weit, Russland nun auch noch für das Flüchtlingsproblem im Nahen Osten verantwortlich zu machen. Wer denkt denn schon beim Lesen dieser Kommentare daran, dass er es hier mit Medien zu tun hat, die in transatlantische Netzwerke eingebunden sind.

… sondern auch Stimmen für eine Zusammenarbeit mit Russland

Wenig später aber hört man im Deutschlandfunk etwas andere Töne, nicht vom Sender selbst, sondern von dessen Interview­partnern. Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg findet: «Ohne Assad ist das Syrien-Problem wohl nicht zu lösen. Davon ist nicht nur Wladimir Putin fest überzeugt; auch im Westen setzt sich diese Erkenntnis offenbar immer häufiger durch.» Erläuternd fügt Hippler hinzu: «Die Opposition, die Aufständischen sind völlig zersplittert, gehen sich teilweise gegenseitig an die Gurgel. Dann haben wir den IS noch im Hintergrund lauern. Das heisst, der Abtritt der Diktatur ist ohne eine politische Alternative, wer die Regierung übernehmen kann, natürlich mehr Wortgeklingel als ein politisches Konzept.» Am selben Morgen kommt auch Harald Kujat im Deutschlandfunk zu Wort. Kujat war Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr und hatte den Vorsitz des Militärausschusses der Nato inne. Ganz anders als die Zeitungen des Tages erkennt er im militärischen Eingreifen Russlands in Syrien Zeichen der Hoffnung: «Ich denke, dass wir im Augenblick eine Entwicklung haben, bei der man zumindest den Eindruck haben kann, dass sich die Vernunft durchsetzt.» Einige Tage zuvor, am 10. Oktober, hatte der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr im Deutschlandradio Kultur ausführlich zu Syrien Stellung genommen. Kujat, darauf angesprochen, dass die Nato Russlands Syrien-Offensive scharf kritisiert, mahnte. «Ich würde hier mehr Gelassenheit empfehlen.» Konkret geht er auf die Behauptung der türkischen Regierung ein, russische Flugzeuge hätten türkischen Luftraum verletzt. Die Nato hatte mit scharfen Tönen reagiert. Kujat hingegen: «Ich empfehle, nicht zu eskalieren – weder verbal, noch militärisch. Insbesondere die Türkei neigt dazu, die Nato immer wieder in eine solche Situation zu bringen, dass die Nato erklären muss, wir sind solidarisch mit der Türkei, wir werden die Türkei verteidigen. Ich denke, man sollte vorsichtig sein mit solchen Äusserungen. Wie gesagt, verbal abrüsten, das ist im Augenblick das Gebot der Stunde.» Russland, so Kujat weiter, habe «überhaupt kein Interesse, die Türkei anzugreifen».

Ex-General Kujat: Forderung nach sofortigem Rücktritt von Assad ist abwegig

Zudem gebe es gemeinsame Interessen des Westens und Russlands in Syrien: die Bekämpfung des IS. Dafür aber brauche man auch Bodentruppen, und die könne alleine der regierende Präsident Assad bereitstellen. Die Forderung aus dem Westen, zuerst müsse Assad abtreten, hält Kujat für abwegig. Zudem stehe sie im Gegensatz zur Beschlusslage internationaler Konferenzen: «Das war eine Position, auf die man sich 2012 [in Genf] schon weitgehend verständigt hatte. Also es ist überhaupt keine völlig neue Situation. Man muss eigentlich nur zurückgehen zu dem, was damals vernünftigerweise verabredet war.»
Kujat ist kein Sprachrohr der russischen Regierung. Auch ihr unterstellt er handfeste Interessen in Syrien. Aber für ihn scheint der Kampf gegen den IS Vorrang zu haben, die Beendigung des Krieges in Syrien: «Man kann den IS aus Syrien vertreiben.» Gemeinsam mit Russland könne dies erreicht werden, nachdem der Westen die Dinge Jahre lang hat treiben lassen – das sagt auch Kujat.
Um so mehr bleibt die Frage, warum westliche Medien und Politiker auch mit Blick auf Syrien eine antirussische Propaganda losgetreten haben. Hat für die bislang tonangebenden Politiker und Medien des Westens der Kampf gegen Russland Vorrang vor dem Kampf gegen den IS? Hat der Westen gar das Vorrücken des IS aktiv gefördert? Die Hinweise darauf sind vielfältig. Dass die türkische und manche arabische Regierungen zu den Förderern des IS gehören, ist mittlerweile eine anerkannte Tatsache. Welchen Anteil haben die Regierungen der westlichen Staaten?

In multipolarer Welt: Gleichberechtigter Dialog der Staaten am Verhandlungstisch

Ist es nicht eine rechtliche und moralische Bankrotterklärung, mit einem Regime wie dem IS im geheimen gemeinsame Sache zu machen – nur um die eigene Machtpolitik und die eigenen imperialen Ziele durchzusetzen? Müsste nicht die dafür verantwortliche Kaste aus Politik und Medien geschlossen ins Glied treten und einer anderen Politik Platz machen, die sich an den Werten orientiert, die für die Weltgemeinschaft und das Völkerrecht einmal massgeblich waren? Noch ist die Welt weit entfernt davon. Noch sind die alten Mächte nicht bereit zu akzeptieren, dass die Welt dabei ist, multipolar zu werden. Und dass in einer multipolaren Welt nur ein Weg zu akzeptieren ist: der des gleichberechtigten und ehrlichen Dialogs der Staaten und ihrer Regierungen am Verhandlungstisch. Dann hätte auch der Aufruf des Papstes, «Möge das Waffenrasseln aufhören!», eine Chance auf Verwirklichung.    •

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