Wenn Pressefreiheit höheren Interessen weichen muss

Wenn Pressefreiheit höheren Interessen weichen muss

von Stefan Haderer*

«Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.» – Dieses Zitat, fälschlicherweise verschiedenen Autoren und Philosophen zugeschrieben, stammt wahrscheinlich von US-Senator Hiram Johnson und scheint heute aktueller denn je. Bahnbrechende Errungenschaften in der Kommunikationstechnologie haben die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts revolutioniert. Gleichzeitig verdeutlichen sie aber die Kehrseite dieser Entwicklungen. Was vor wenigen Jahren noch als dystopische Zukunftsszenarien in Romanen beschrieben wurde, ist längst Realität geworden: die Kontrolle und Speicherung von Daten und Gesprächen mittels Google und Facebook zum Beispiel oder die Monopolisierung von Wissen durch die Online-Enzyklopädie Wikipedia.
Neue soziale Medien wie Facebook und Twitter beeinflussen die Medienlandschaft und das Konsumverhalten stark. Mit ihnen hat auch die Zensur von Inhalten gravierend zugenommen. Dies zeigt sich – um auf Johnsons Zitat zurückzukommen – besonders deutlich in Zeiten globaler Krisen, die Eu­ropa und seine Nachbarn seit fünf Jahren erschüttern. Die Konflikte im Nahen Osten und in Osteuropa sowie die Flüchtlingskatastrophe und ihre Auswirkungen machen jedem kritischen Leser klar, dass der Begriff «Pressefreiheit» relativiert werden muss, denn eine einseitige Berichterstattung hat mittlerweile in vielen sozialen Medien und Qualitätszeitungen jede Form von Vielstimmigkeit ersetzt.
Zensurverbot bedeutet nicht Ideologieverbot. Politische und wirtschaftliche Eliten haben die Macht von medialen Diskursen schon längst erkannt, lange bevor sich etwa der französische Philosoph Michel Foucault auf wissenschaftlicher Ebene damit auseinandersetzte. Und sie machen sich diese zunutze. Durch eine scharfe «Blattlinie» der Redaktionsteams werden Medien zweckentfremdet, da sie nicht länger der gesellschaftlichen Information und Aufklärung dienen, sondern sich einer Stimmungsmache verschreiben. Von dieser profitieren in erster Linie Eliten, Wirtschaftslobbys und Parteien. Von Fakten und objektiver Reportage bleibt für den Leser am Ende nur mehr wenig übrig.
Mit beschönigenden Begriffen, die fernab jeder Lebensrealität liegen, wird versucht, den Grossteil der Bevölkerung für ein geopolitisches Vorhaben zu gewinnen. Sei es nun der «Arabische Frühling», der ukrainische «Euromaidan» oder Slogans wie «Ich bin Charlie» und «Refugees welcome», die sich über soziale Medien schlagartig verbreiten – es wird dadurch eine (pseudo-)moralische Linie vorgegeben, der die Masse zu folgen hat. Eine Masse, wohlgemerkt, die die eigentlichen Zusammenhänge dieser Entwicklungen oft gar nicht kennt oder kennen soll.
Jedem Experten war zum Beispiel auf Grund der kulturellen und historischen Umstände in Nordafrika und im Nahen Osten klar, dass mit dem «Arabischen Frühling» keine blühende Demokratisierung in diesen Ländern stattfinden würde. Vielmehr ging es hier um die Entmachtung unliebsam gewordener Staatschefs, mit denen westliche Regierungen noch Tage zuvor sympathisierten. Plötzlich war in diversen Medien von «Diktatoren» und «Terrorregimen» die Rede, während man bewaffnete Rebellen als «Helden» feierte.
Ein weiteres, vielleicht wesentlicheres Merkmal einseitiger Berichterstattung und eine neue Art von Pressezensur ist die Diffamierung von Kritikern, die sich der vorgegebenen medialen Meinung nicht anschliessen. Als «Putin-Versteher», «Assad-Freunde» oder «Verschwörungstheoretiker» gebrandmarkt, sollen diese Stimmen nicht zu Wort kommen. Doch damit wird die Gesellschaft letztlich einer wesentlichen Freiheit – nämlich sich einem Thema kritisch anzunähern – beraubt. Eine neue Form der Zensur, die Zensur der freien und unabhängigen Gedanken, wird somit geschaffen.
Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in New York und den Attentaten in Europa wurde die Überwachung von Staatsbürgern in den USA und innerhalb der EU verschärft. Gerechtfertigt werden Vorratsdatenspeicherung und NSA-Abhörskandale mit dem «Krieg gegen den Terror». Dass dieser Krieg, den auch die deutsche Bundesregierung vorbehaltslos unterstützt, ein aussichtsloser ist, beweist das seit über einem Jahrzehnt anhaltende Chaos in Afghanistan und im Irak.
Mit der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten im Jahr 2008 kam es zu weiteren Einschnitten in der europäischen Medienlandschaft, die sich vormals oft skeptisch über die amerikanische Aussenpolitik geäussert hatten. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Obama besiegelte nicht nur die engen Bande zwischen Europa und den USA, sondern auch die konsequente Pro-US-Linie der meisten «Qualitäts»-zeitungen. In den Redaktionen begann man bewusst, amerika-kritische Stimmen auszublenden – sofern man diese nicht als «Verschwörungstheoretiker» verhöhnte und sie einer links- oder rechtsradikalen Partei-Affinität bezichtigte. Ein reflektierter Blick auf das weltpolitische Handeln, das zum Grossteil von der militärischen Supermacht USA mitbestimmt wird, ist damit nur begrenzt möglich.
Pressefreiheit ist ein unerlässliches Menschenrecht. Natürlich soll sie gewisse Regeln – wie die Achtung der Menschenwürde und religiöser Toleranz sowie das Verbot von Rassismus und Verhetzung – einhalten. Wenn jedoch Zeitungen und soziale Medien in Krisenzeiten dazu missbraucht werden, ideologische Standpunkte zu vertreten, und durch einseitige Berichterstattung die Gesellschaft spalten, kann man nicht länger von Freiheit sprechen. Dann verfehlt Pressefreiheit nämlich ihr eigentliches Ziel der Information und Aufklärung und wird zu einem reinen Machtinstrument, das Überwachung und Kontrolle bezweckt. Soziale Kritik wird demnach im Keim erstickt.    •

*    Stefan Haderer ist Kultur- und Sozial­anthropologe und Politikwissenschaftler in Wien.

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