«Wir sind eine Welt der Gleichen, und wir sollten uns das nicht nehmen lassen»

«Wir sind eine Welt der Gleichen, und wir sollten uns das nicht nehmen lassen»

von Willy Wimmer

Am 24. und 25. November 2015 war die serbische Hauptstadt Belgrad der Treffpunkt einer internationalen wissenschaftlichen Konferenz unter dem Titel «Jalta, Potsdam, Helsinki, Belgrad: Auf der Suche nach einer Sicherheitsordnung». Die Zusammenkunft der Wissenschaftler, Diplomaten, Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus über 20 Ländern Europas und der Welt war dem 70. Jahrestag der Konferenzen von Jalta und Potsdam (1945) gewidmet. Die Veranstalter waren das Belgrade Forum for a World of Equals und zwei russische Organisationen: das Center of National Glory und der Fund of Saint Andrew. Der Text gibt die dortige Rede von Willy Wimmer wieder.

Hochverehrter Herr Staatspräsident,
Herr stellvertretender Ministerpräsident Dacic,
meine Herren Co-Vorsitzenden,
für die serbische Seite, Herr Jovanovic,
für die russische Seite, Herr Jakunin

Es besteht kein Zweifel. Die Welt ist im Umbruch. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass der Name der Stadt Belgrad mit diesem Umbruch verbunden ist. Vielleicht ist Belgrad sogar das erste europäische und damit für uns sichtbare Signal für diesen Umbruch. Es war Belgrad, das mitten im Frieden Ziel von Nato-Bomben geworden ist. Belgrad sollte der Schlüssel zur unipolaren Welt sein.
Und heute? Wir treffen uns in Belgrad. Wir müssen uns fragen, ob Belgrad uns Hoffnung oder Antworten auf unsere Fragen gibt? Oder ist unser Treffen in Belgrad nur ein Zwischenschritt auf dem Weg in eine noch grössere Katastrophe für uns in Europa und darüber hinaus?
Fast scheint es so, dass es eine gewisse Art von Hoffnung gibt. Diese Hoffnung, ob wir es wollen oder nicht, ist mit dem Auftreten der Russischen Föderation im syrischen Konflikt verbunden. Ich will aus Zeitgründen nicht auf den Grund eingehen, warum es diesen schrecklichen Bürgerkrieg mit Millionen Opfern gibt. Bevor Syrien als Land vollends ausgelöscht werden konnte, hat die Russische Föderation in Übereinstimmung mit allen geltenden Regeln des Völkerrechtes entschieden, in den Konflikt einzugreifen. Sie hat dies an der Seite der legitimen Regierung getan, und zum ersten Male seit gut vier Jahren scheint der Bürgerkrieg nicht uferlos zu werden. Die Mächte reden miteinander.
Dieses entschlossene russische Vorgehen nach dem Motto «bis hierher und nicht weiter» haben wir bereits nach dem von anderen Kräften unterstützten Putsch in der Ukraine gesehen. Wenn wir nach gut zwei Jahren die damalige Entwicklung in der Ukraine betrachten, hat die Russische Föderation uns alle in Europa und vielleicht sogar darüber hinaus vor dem grossen Krieg bewahrt. Es war offenkundig, dass andere über den Putsch ihre Vorteile in Zusammenhang mit der Krim suchen wollten. Auch und gerade wegen der Rolle der Krim in Zusammenhang mit der Entwicklung in Syrien. Wenn dies in Übereinstimmung mit den geltenden Regeln des Völkerrechtes zu einer Volksabstimmung mit anschliessender Aufnahme der Krim in den Staatsverband der Russischen Föderation geführt hat, dann sollte man sich an anderer Stelle fragen, warum man die Ukraine in den Putsch getrieben hat.
Dabei müssen wir Belgrad im Auge behalten und der Russischen Föderation den Erfolg in Syrien wünschen, ohne den es für uns alle sehr dunkel wird. Es hat nicht nur etwas mit den allgemein akzeptierten Regeln des Völkerrechtes zu tun. Die sollten mit dem Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien endgültig beseitigt werden. Dabei ist man gezielt gegen die Charta der Vereinten Nationen vorgegangen und wollte sie genau so zerstören, wie man später die chinesische Botschaft in Belgrad vor einer absehbaren Beendigung des Jugoslawien-Krieges gezielt durch einen angeblich «einsamen Bomber» zerstört hat.
Das war nicht irgendein Ereignis. Mit den Bomben auf eine friedliche Stadt sollte von der Charta der Vereinten Nationen über die Schlussakte von Helsinki bis hin zu dem Wiener Übereinkommen für diplomatische Verhandlungen alles das zerstört werden, was es uns möglich gemacht hat, das Ende des Kalten Krieges und – ich sage das als Deutscher – das Ende der Teilung unseres Landes zu erreichen. Wir haben zu keinem Zeitpunkt in unserer europäischen Geschichte über derart viele völkerrechtlich allgemein akzeptierte Regeln verfügt, um mit kleinen und grösseren Schwierigkeiten fertig zu werden. Weg damit, das war das Motto aus Übersee.
Wenn wir 1990 an das «gemeinsame Haus Europa» denken konnten und der Ansicht waren, der Krieg werde uns auf Dauer erspart, dann währte diese Hoffnung nicht lange. Der Krieg wurde wieder mit dem Angriff auf einen Gründungsstaat der Vereinten Nationen und Pfeiler der Helsinki-Bewegung eine bittere Realität. Wenn es Francois Hollande, Wladimir Putin und Angela Merkel in Zusammenhang mit Minsk II nicht gegeben hätte, dann hätten wir vermutlich schon den grossen Krieg. Die Botschaft ist eindeutig. Nur der Respekt vor den geltenden Regeln des Völkerrechtes und die friedliche Konfliktbeilegung sichern uns unser Überleben und unseren Kindern eine Zukunft.
Diese Konferenz hier schlägt einen grossen Bogen und geht bis auf Jalta zurück. Da ist man natürlich versucht, tiefer zu bohren, und dann kommen Orte mit Jahreszahlen dazu, die früher liegen, 1914 oder 1919. Aber auch das scheint keine Lösung zu sein. Wir müssen an das Jahr 1871 und die Gründung des Deutschen Reiches denken. Wir haben es alle in diesem Frühjahr gehört. Seit diesem Zeitpunkt war es angeblich das Ziel amerikanischer ­Politik, eine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland zu hintertreiben. Wir sind alle gut beraten, an das Ende der napoleonischen Kriege zu denken. Nach den mörderischen Entwicklungen im Dreissigjährigen Krieg und den Kriegszügen Napoleons in Europa sollte derartiges nicht mehr vorkommen. Dafür gab es die Idee des russischen Zaren Alexander und des österreichischen Kanzlers Metternich, friedliche Konfliktlösung auf der Basis einer «Heiligen Allianz» zu betreiben. Es war ein frühes Helsinki. Ich werde natürlich nicht vergessen, was man mir im Weissen Haus 1988 sagte: dass selbst der militärische Aufbau der Sowjetunion in Eu­ropa nichts anderes sei als das Bemühen dieses Landes, die Konsequenzen aus dem Vorgehen von Napoleon bis Hitler zu ziehen.
Was hindert uns eigentlich, unsere Länder zu lieben und gleichzeitig unsere Nachbarn zu achten? Belgrad sagt es doch mit dem Motto des Belgrader Forums: Wir sind eine Welt der Gleichen, und wir sollten uns das nicht nehmen lassen.    •

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