Wer hat in unserem Land das Sagen?

Wer hat in unserem Land das Sagen?

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Das Volk, der Souverän hat in der direktdemokratischen Schweiz das Sagen, so Ständerat Ivo Bischofberger und mit ihm viele andere Stände- und Nationalräte, als es um die Frage ging, ob über den Souverän ein Schweizer Verfassungsgericht gesetzt werden soll. Mit dieser Begründung hat das Parlament im Jahre 2012 – wie in früherer Zeit schon das Volk – die Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesebene klar abgelehnt.

Der Souverän als oberste staatliche Gewalt – dieser Grundpfeiler der schweizerischen Staatsstruktur – wird seit einigen Jahren von gewissen Kreisen in Politik und Justiz mit zunehmender Schärfe in Frage gestellt.

Die Schweizer Gerichte und Verwaltungsbehörden wieder auf diesen Grundpfeiler zu verpflichten, dazu ist die «Selbstbestimmungsinitiative» ergriffen worden, für die zurzeit die Unterschriften gesammelt werden (Ablauf der Sammelfrist: 10.09.2016). Aus dieser Überlegung heraus verlangt die Initiative, dass die Bundesverfassung für die rechtsanwendenden Behörden über dem Völkerrecht stehen soll, selbstverständlich mit Ausnahme der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Mit «Völkerrecht» sind internationale Abkommen wie zum Beispiel die Bilateralen Verträge mit der EU gemeint oder die EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention), die neu verhandelt werden müssten, damit vom Souverän gesetztes Recht überhaupt zur Anwendung kommen kann.

Die Initiative sei ein «Frontalangriff auf unsere Grundrechte» und führe zur «Handlungsunfähigkeit der Schweiz», so der Frontalangriff der Gegner.

Um die Haltlosigkeit dieser Behauptungen politisch einordnen zu können, muss man die Vorgeschichte der Initiative kennen.

Zur EMRK: Wie Nationalrat Lukas Reimann im Interview erklärt, ist die EMRK nach den Greueln des Zweiten Weltkriegs entstanden, und der zu ihrer Durchsetzung eingerichtete EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) nahm damals zu Kriegsverbrechen und ganz elementaren Menschenrechtsverletzungen Stellung. Die Schweiz hat sie 1974 unterzeichnet. Damals diskutierte das Parlament, ob die EMRK dem fakultativen Referendum unterstellt werden soll und entschied sich dagegen, weil alle Grundrechte, die in diesem wichtigen internationalen Vertrag stehen, bereits in der Bundesverfassung verankert sind und in der Schweiz seit langem angewendet werden. Heute hat der EGMR seine Rechtsprechung ausgedehnt auf alles und jedes, so Lukas Reimann, und mischt sich auf unhaltbare Weise in die innerstaatliche Gesetzgebung und Rechtsprechung ein. Kein Schweizer, auch die Initianten nicht, will die EMRK kündigen, denn deren Inhalt entspricht auch schweizerischer Rechtsauffassung. Mit der Selbstbestimmungsinitiative geht es einzig und allein darum, die ausufernde Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs mit Hilfe eines auszuhandelnden Zusatzprotokolls zu stoppen, wobei sich vermutlich verschiedene andere Staaten gerne anschliessen werden.

Zu den Bilateralen Verträgen mit der EU: Die Schweiz soll keine völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehen, die der Bundesverfassung widersprechen, so fordert die Initiative. Im Fall eines Widerspruchs soll sie sich zum Beispiel nicht mehr wie bisher neuem EU-Recht und der laufenden Rechtsprechung des EuGH (Europäischer Gerichtshof, oberstes Gericht der EU) unterziehen, sondern die Bilateralen Verträge an die Bundesverfassung anpassen. Dies würde nicht zur «Handlungsunfähigkeit der Schweiz» führen, wie die Gegner der Initiative behaupten – ganz im Gegenteil: Die Schweiz würde endlich wieder echt handlungsfähig, als selbstbestimmender, souveräner Staat. Auf der Grundlage der direkten Demokratie. Falls aber mit der beklagten «Handlungsunfähigkeit» gemeint sein sollte, dass das Schweizer Stimmvolk weiterhin die immer engere Einbindung und schliesslich den Beitritt in die EU verhindern kann und wird, dann ist dagegen nichts einzuwenden.

Mit der «Selbstbestimmungsinitiative» sollen die schiefen Balken im Schweizer Haus wieder zu einem festen Fundament gerichtet werden. Unsere Behörden und Gerichte wieder auf die Erfüllung ihrer verfassungsmässigen Aufgaben zu verpflichten, dazu sind wir Bürger aufgerufen.

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