«Wir nähern uns, in meiner Einschätzung, einer globalen Katastrophe»

«Wir nähern uns, in meiner Einschätzung, einer globalen Katastrophe»

Interview von world-economy.eu mit Willy Wimmer

World Economy: Was erleben wir hier gerade? Ist es eine globale Geschichte – die Türkei, der Putschversuch, die Flüchtlinge? Wer ist schuld, wer hat das geplant, sind das Einzelfälle, oder wird es sich für uns zu einer globalen Katastrophe ausweiten?

Willy Wimmer: Wir nähern uns, in meiner Einschätzung, einer globalen Katastrophe, weil alle Linien, die dahin führen, vor vielen Jahren gelegt worden sind. Und es hat etwas damit zu tun, dass der Charakter der Nato völlig verändert worden ist, und zwar gegen den Willen der Völker und der Staaten, die mal vor vielen Jahren einem Nato-Vertrag zugestimmt haben. Die Nato hatte einen Charakter als Verteidigungs-Organisation, aber die letzten 25–26 Jahre sind dazu benutzt worden, aus der Nato eine Aggressionsmaschine zu machen. Das Interessante ist, dass die Parlamente der Mitgliedsstaaten einer solchen Vertragsänderung überhaupt nicht zugestimmt haben. Allerdings ist es keine vertragliche Situation, mit der wir es hier zu tun haben, sondern wir haben in den zurückliegenden 25–26 Jahren alles dafür getan, die Welt in Brand zu setzen, und stehen jetzt vor den Grenzen der Russischen Föderation mit einer Nato, die zu einer Aggressionsmaschine geworden ist.
Das macht deutlich, womit wir es zu tun haben. Und da spielt die Türkei natürlich eine grosse Rolle, weil sie mitten in dem Gürtel zwischen Afghanistan und Mali liegt, den die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich – auch mit unserer Hilfe – in Schutt und Asche legen. Also, vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht Bestandteil einer Gesamtentwicklung, mit der wir es zu tun haben und deren Ende nicht absehbar ist.

Die Türkei ist Mitglied der Nato. In welche Richtung kann sich das jetzt entwickeln? Nach dem Putsch, vielleicht wegen dem Putsch, könnte es sein, dass die Türkei das Bündnis verlässt?

Wir müssen sehen, dass die türkische Politik in den zurückliegenden Jahren einen Schlingerkurs gefahren ist. Innenpolitisch deutet alles darauf hin, sich von der Türkischen Republik nach Atatürks Modell zu lösen. Das war mit der Politik des jetzigen Präsidenten Erdogan und der Islamisierung verbunden. Das ist das eine – und das andere: Die Türkische Republik hat ihre Beziehungen zu Israel auf den Kopf gestellt, und seitdem deuten auch die internationalen Signale gegenüber Präsident Erdogan auf Minus.
Dann hat sich die Türkische Republik zusammen mit Israel und anderen über Syrien hergemacht und die Tragödie in Syrien wesentlich mitverursacht – das muss man nüchtern sehen. Und dann hat die Türkische Republik offensichtlich einen – im Nato-Zusammenhang – strategischen Fehler begangen: indem sie sich um bessere Beziehungen zur Russischen Föderation bemüht hat. Etwas, was jeder Europäer verstehen kann, aber die Amerikaner nicht tolerieren. Und deswegen haben wir diese Situation, wie sie sich heute abspielt.

In den letzten zwei Tagen hatten wir zwei syrische Flüchtlinge, die Attentate in Deutschland verübt haben. Erleben wir eine Ohnmacht der deutschen Regierung, oder ist es eine grundsätzliche Sache, dass wir inzwischen nirgends sicher leben können?

Das ist offensichtlich das Bild, das mit diesen Anschlägen und diesen Taten vermittelt werden soll. Man muss das Gesamtbild sehen. Wir haben unsere Chance nach 1990, Frieden in die Welt – auch nach Afghanistan und Mali, auch in diese Region – zu tragen, bewusst nicht umgesetzt. Wir haben sie nicht realisiert, obwohl wir die Chancen hatten. Jetzt haben wir eine Sicherheitssituation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die eigene Bundesregierung im vergangenen Jahr Gesetze, die zum Schutz des deutschen Territoriums und der deutschen Bevölkerung gegeben worden sind, nicht nur sträflich miss­achtet, sondern ausser Kraft gesetzt hat.
Wir haben Hunderttausende von Leuten in unserem Land, von denen wir nicht wissen, wer sie sind. Und man kann das auf einen Punkt zurückführen: Wenn man sich an den Amtseid der Bundeskanzlerin erinnert, sie hat zum Wohle des deutschen Volkes beizutragen, dort steht nirgends, dass sie das Sicherheitsrisiko für die in Deutschland lebenden Menschen erhöhen darf. Das macht gut deutlich, in welcher Situation wir uns befinden, und man kann nur Schlimmes für die vor uns liegende Zeit erwarten.

Wären Sie jetzt wieder Staatssekretär im Verteidigungsministerium, welche Schritte würden Sie unternehmen, damit es in Deutschland wieder etwas ruhiger wird?

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich könnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, Mitglied dieser Bundesregierung zu sein.

Herr Wimmer, vielen Dank für dieses Gespräch.    •

Quelle: <link http: www.world-economy.eu pro-contra details article naehern-wir-uns-einer-globalen-katastrophe>www.world-economy.eu/pro-contra/details/article/naehern-wir-uns-einer-globalen-katastrophe/ vom 26.7.2016

Willy Wimmer: Nato-Awacs in Abschuss von russischem Kampfjet über Syrien involviert

km. Es gebe Hinweise dafür, dass nicht die türkische Regierung und Präsident Erdogan, sondern Kräfte der Luftwaffe, die später im Putschversuch verwickelt waren, die Federführung beim Abschuss des russischen Kampfjets über der türkisch-syrischen Grenze hatten. Das äusserte Willy Wimmer, ehemaliger Staatssekretär im deutschen Verteidigungsministerium, in einem Interview mit dem russischen Nachrichtenportal sputniknews vom 29. Juli (<link de.sputniknews.com politik nato-abschuss-russischer-kampfjet.html>de.sputniknews.com/politik/20160729/311815695/nato-abschuss-russischer-kampfjet.html). Dabei seien sie wohl von Nato-Aufklärungsflugzeugen unterstützt worden: «Nach meinen Erkenntnissen  waren sowohl eine amerikanische als auch eine saudische Awacs-Maschine involviert. Flugzeuge wie dieses russische Kampfflugzeug holt man nicht einfach so vom Himmel. Sie müssen dahin geführt werden. Und das geht nur mit Awacs.» Wimmer erinnerte daran, dass der Abschuss rechtswidrig und kein Unfall war: «Was dort abgelaufen ist, hat in keinster Weise den international verbindlichen Regeln entsprochen. Man hat das russische Flugzeug runtergeholt, weil man es runterholen wollte.» Als Motiv für die Aktion vermutet Wimmer, dass die bis dahin guten türkisch-russischen Beziehungen gestört werden sollten.
Direkt auf den Hintergrund des Putschversuches in der Türkei angesprochen, sagte Wimmer: «Wenn ich mich mit meinen türkischen Freunden unterhalte, können die in bezug auf alle Putsche in der Türkei seit 1945 gar nicht verstehen, dass wir fragen, wer dahintersteckt. Wenn man die Politik der letzten Jahre betrachtet, geht es den Vereinigten Staaten seit geraumer Zeit darum, der Russischen Föderation wirklich an die Wäsche zu gehen, ökonomisch und politisch. Wenn dann ein so wichtiges Land wie die Türkei ausschert und eigene Interessen in bezug auf Russland verfolgt, dann müssen die USA handeln. So ist es aus meiner Sicht klar, dass die amerikanische Seite im türkischen Militär ihre Finger im Spiel hat. Da ist es nur logisch, dass es einen Putsch in der Türkei gibt, damit die Politik Washingtons gegenüber Russland nicht gefährdet wird.»

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