Die artenreichen Trockenwiesen und -weiden und das Wildheu sind ein Teil unseres eindrücklichen Natur- und Kulturerbes. Jeder, der die Bergblumenpracht schon bewundert hat, wird sich auch Gedanken zum Erhalt und zur Pflege dieser Naturwunder gemacht haben. Die Schweiz liegt mit ihren vielfältigen Wildheuwiesen und ihrer Pflege weltweit an der Spitze und trägt damit auch eine internationale Verantwortung. Der Kanton Uri setzt sich hier besonders verantwortungsbewusst ein. Diese artenreichen Alpwiesen sind eine der 39 gefährdeten Kulturlandschaften der Schweiz.
Dass die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) ihren diesjährigen Preis den Wildheuern im Gebiet des Vierwaldstättersees zuerkennt, ist sehr verdientsvoll. Die Wildheuer führen seit Jahrhunderten diese kulturelle Tradition in den äusserst gefährlichen Gebirgs- und Alplandschaften fort. Es erfordert einiges an Kraft, trainierte Fähigkeiten und oft auch eine gehörige Portion Mut, was die Männer – auch unter Mithilfe der Frauen – an den steilen Wiesen und Felsborden leisten. Damit können sie zur Überbrückung von Kälteeinbrüchen das nötige Notheu für das Vieh in den Alpen oder für den ganzjährigen Heimbetrieb bereitstellen. Auch das Wild profitiert von den Wildheuern. Hier oben in den Alpen wird unregelmässig, je nach verfügbarer Arbeitskapazität, Wüchsigkeit und Witterungsverlauf, alle zwei bis drei Jahre gemäht. Es wird in den schön anzuschauenden Tristen (Heustöcken), die direkt in der Natur gelagert werden, oder als schwere Heuballen in Netzen, in über hundertjährigen, ideenreich und einfach konstruierten Seil-Transportkonstruktionen, abtransportiert.
Das Wildheuen ist Teil einer bewundernswürdigen und waghalsigen Landwirtschaftskultur, die eine reichhaltige, alpine Lebensweise der gegenseitigen Hilfe beinhaltet. Über Generationen werden in den Familien und Genossenschaften die intelligenten Techniken, Praktiken und gefühlsmässigen Erfahrungen weitergegeben. Der älteste Preisträger der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz war 89, der jüngste 16 Jahre alt: «Erstaunlicherweise werden in der Schweiz noch immer mehr als 1000 Hektaren mit der Sense gemäht. Dadurch werden wertvolle Kleinstrukturen wie Ameisenhaufen, Steine und Büsche erhalten; ausserdem können sich Kleintiere wie Eidechsen, Heuschrecken oder Wildbienen rechtzeitig in Sicherheit bringen», wie in einem der zahlreichen Informationsblätter der Stiftung (und verschiedener Naturschutzorganisationen) zu lesen ist (Bafu, www.umwelt-schweiz.ch/publikationen). Damit tragen die Wildheuer nicht nur zur Nahrungsmittelsicherheit, sondern auch zur wichtigen Artenvielfalt der Blumen und Gräser sowie Festigung des Bodens für den Lawinenschutz und zu einem wertvollen Kulturgut bei. Dass heute immer mehr mechanische Hilfsmittel, Heubläser, Gebirgs-Balkenmäher und teilweise sogar Helikopter zum Einsatz kommen, ist eine notwendige Erleichterung dieser anspruchs- und gefahrenvollen Arbeit. Angemessene finanzielle Stützungsbeiträge sind gerade auch für diese Landwirtschaft absolut notwendig. Sie sind, gemessen an den Verdienstmöglichkeiten im Unterland, bescheiden. «Entscheidend sind aber die vorhandenen Arbeitskräfte, die innere Einstellung und die öffentliche Wertschätzung des Wildheuens», schreibt Raimund Rodewald, gegenwärtiger Geschäftsleiter der SL.
Im Gespräch mit den Wildheuern und Bauern wird deutlich, wie sie mit Gottvertrauen mit der Natur ihren Lebensaufgaben verbunden sind und sich fürs Ganze des menschlichen Zusammenlebens verantwortlich fühlen. Mit den traditionsreichen religiösen «Betrufen» (überlieferten Gebetstexten), welche die Älpler durch einen Holztrichter abends singen und sich so auch über die Täler miteinander verbinden, mit den wunderschönen Wegkreuzen und Kapellen, bitten sie um Gottes Hilfe bei den vielfältigen Gefahren.
Isenthal, die kleine Berggemeinde, liegt im Kanton Uri 778 m hoch über dem Urnersee. Schon der äusserst steile Aufstieg zu Fuss, die Fahrt mit Auto oder Postauto durch die pittoreske Fels- und Waldlandschaft, mit imposantem und schwindelerregendem Blick auf den Urnersee, ist ein beeindruckendes Erlebnis. In dieser ursprünglichen Gebirgsnatur der Urschweiz haben sich die Bewohner zur Eidgenossenschaft zusammengefunden und dieses Zusammenwirken im Bundesbrief von 1291 festgehalten. Eigenständig, bescheiden und in gegenseitiger Hilfe bewältigten sie Grosses im Aufbau der direkten Demokratie und für das Gemeinwohl. Lange gab es noch keine Strasse nach Isleten und Isenthal. Der Zugang war nur mit dem Schiff über Flüelen möglich. Erst 1901, mit der Eröffnung der Dampfschiffstation, wurde unter Mithilfe der tüchtigen, italienischen Fremdarbeiter die steile, kurvenreiche Bergstrasse durch Fels und Wald nach Isenthal gebaut.
Dort oben fand am 12. August 2016 die interessante und gut besuchte Fachtagung der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) unter der Leitung von Raimund Rodewald statt. Zu Beginn wurde ehrend des einige Tage zuvor tödlich verunglückten Wildheuers gedacht. Zahlreiche Referenten von der Gemeinde, des Kantons Uri (Regierungsrätin Heidi Z’graggen), des Bundes (Landwirtschaftsamt) sowie den Fachorganisationen und Vertretern aus dem Südtirol würdigten das Wildheuen und gaben wertvolle Einblicke in die wichtige Kulturaufgabe von Nutzung und Schutz der Berglandschaften. Der Historiker Michael Blatter trug mit seinem ausgezeichneten Vortrag über die Geschichte des Wildheuens bei. Die Feldbotanikerin Mary Leibundgut berichtete mit ihrer eindrücklichen Fotoreportage über die Arbeit beim Wildheuen. Es wurde deutlich, wie sich geografische und landschaftliche Eigenheiten auch im kulturellen Zusammenleben niederschlagen.
Mit einer Podiumsdiskussion, einem von der Korporation Uri offerierten Apéro, mit einheimischem Käse, Rauchfleisch und Wein und guten Gesprächen wurde die Tagung beendet. Am Samstag war dann der Festakt auf der Alp Gitschen auf 1600 m Höhe, die mit einer Seilbahn erreichbar ist. Bei schönstem Sommerwetter fand die Preisverleihung an die 30 Wildheuer statt. Auch hier gedachte man mit einer kurzen Gedenkmesse des verunglückten Wildheuer-Kameraden. Bei Alphornklängen, Ansprachen und einer originellen Laudatio des bekannten, in der Innerschweiz verwurzelten Filmemachers Fredi Murer erfreuten sich die zahlreichen Besucher gemeinsam mit den Preisträgern an der einzigartigen Naturschönheit der Gitscheneralp. Das Gespräch mit diesen klugen und verantwortungsbewussten Wildheuern und ihren Familien war ein besonders Geschenk. Interessierte Besucher hatten am Nachmittag die Gelegenheit, vor Ort die praktische Arbeit zu verfolgen und selber Hand anzulegen. Mit einem gemeinsamen Mittagessen wurde die Veranstaltung, die vom Kanton, der Gemeinde, der Korporation, Sponsoren und Stiftern ermöglich wurde, festlich abgeschlossen. Ein bleibendes und gemeinsames Erlebnis gelebter Verantwortung fürs Ganze. •
uk. Jedes Jahr seit 2011 zeichnet die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) eine besondere Kulturlandschaft der Schweiz aus. Die Stiftung wurde 1970 mit dem Zweck der «Erhaltung, Pflege und Aufwertung der schützenswerten Landschaften» gegründet. DDr. h.c. Raimund Rodewald ist der gegenwärtige Geschäftsleiter und veröffentlicht immer wieder ausgezeichnete Publikationen zur Thematik. (Zeit-Fragen hat 2012, Nr. 29, über die Terrassenlandschaften berichtet.)
Die Stiftung konnte schon zahlreiche wertvolle Projekte realisieren und damit die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit auf den Natur- und Landschaftsschutz und deren Vielfalt richten. «Sie verfolgt das Ziel, die natürlichen und kulturellen Werte der Landschaft zu sichern, zu fördern und, wo nötig, wiederherzustellen. Hierfür setzt sie sich insbesondere durch Beratung, Gutachten, Schulung, Projektarbeiten, Publikationen und auf andere geeignete Weise ein.» Gerade im Rahmen der grossen Strukturveränderungen und Bautätigkeit ist dieses Anliegen besonders wertvoll. Die Stiftung hat gemeinnützigen Charakter und arbeitet eng mit den Behörden und Organisationen zusammen, die sich mit der Raumplanung, dem Naturschutz, dem Ortsbild- und Denkmalschutz, dem Tourismus und anderem befassen. Ihr Anliegen und das vieler anderer Organisationen ist notwendig und wird breit unterstützt.
Die Volksabstimmung zur Revision des Raumplanungsgesetzes von 2013 brachte die gemeinschaftliche Verantwortung des Schweizervolkes zum Ausdruck, sie wurde mit fast 63% angenommen. Kurt Fluri, Nationalrat und Präsident des Stiftungsrates der SL, weist trotzdem im Jahresbericht 2015 der SL darauf hin: «Der Kulturlandverlust ist ungebremst und die Verlustrate auf Grund des derzeitigen Baubooms wohl noch höher als in den Jahren zwischen 1979/85 und 2004/09. Innert 24 Jahren gingen […] rund 54 000 Hektaren Kulturland in Siedlungsflächen über.» Ende 2015 kamen nochmals 30 000 Hektaren durch weitere «Nutzungsaufgaben» hinzu, «insgesamt also 84 000 Hektaren Kulturland, was der Fläche des Kantons Jura entspricht». Dazu kommt, dass immer mehr Menschen in Grossstädten leben und der direkte Bezug zur Natur und Landwirtschaft verlorengeht. Fluri weist darauf hin, dass die Ausbreitung der Siedlungsflächen, hauptsächlich durch Haus- und Strassenbau, der Hauptgrund des Kulturlandverlustes ist.
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