Sprachen- und Bildungspolitik als imperialistische Machtpolitik

Sprachen- und Bildungspolitik als imperialistische Machtpolitik

hofm. Welche Sprachen in einem Land offiziell gesprochen werden, ist eine Frage der Sprachenpolitik. In der Schweiz ist die Sprachenpolitik durch die Landesverfassung, ausführlicher noch durch das Sprachengesetz geregelt. Dort heisst es, dass die vier Landessprachen der Schweiz gleich zu behandeln seien, und zwar unabhängig von der Grösse, der wirtschaftlichen und politischen Macht der Sprachregionen. In der Gleichbehandlung der Landessprachen kommt ein noch fundamentalerer Wert zum Ausdruck, nämlich der Respekt vor der Freiheit und Würde der Menschen, die in ihren Sprachen leben und in ihnen eine kulturelle Heimat haben. Welche Sprachen in den Schulen neben der Muttersprache gelernt werden, ist ebenfalls eine Sache der Sprachenpolitik und, weil sie das Bildungswesen betrifft, auch der Bildungspolitik. Deutlich wurde das in der Debatte um die Einführung des Frühenglisch. Sie hat gezeigt, wie eng Sprachen- und Bildungspolitik miteinander zusammenhängen. Beide gehören in die Regelungskompetenz der souveränen Rechtsstaaten und – wie im Falle der direkt-demokratischen, föderalistischen Schweiz – in die Regelungskompetenz der Kantone. Über sprach- und bildungspolitische Fragen konkret zu entscheiden, obliegt daher den Bürgern in den Kantonen; und so ist es auf der Grundlage des ausgeprägten Föderalismus in der Schweiz gelungen, die Vielfalt der Sprachen und Kulturen zu erhalten und, was keineswegs selbstverständlich ist, den inneren Zusammenhalt und den Sprachfrieden zu sichern.

Dass es im internationalen Verkehr jedoch Staaten gibt, die anderen Ländern mit Macht, Geld und aggressivem Marketing ihre Sprache, ihre Werte und ihre Kultur von aussen aufzuzwingen versuchen, ist vielen nicht bewusst. Ziel ist es dabei, die sprachliche und kulturelle Identität der anderen herabzuwürdigen und zu schwächen, um die eigene – im Dienste imperialistischer Machtausübung – als überlegen erscheinen zu lassen. Das zeigt der in Dänemark forschende und lehrende Sprachwissenschafter Robert Phillipson in seinem Buch «Linguistic Imperialism», welches im vergangenen Jahr neu aufgelegt worden ist. Bei der Lektüre wird vieles klarer, was die aktuellen Kompetenz-Reformen im Sprachunterricht (und darüber hinaus) betrifft; sie sind nämlich keine nationalen Erfindungen, sondern von aussen in die Länder hereingetragen.
Wie das geht und zu welchem Zweck das dient, zeigt Phillipson anhand der kolonialistischen beziehungsweise post-kolonialistischen Sprachenpolitik der angelsächsischen Länder. So zitiert er vertrauliche britische Regierungsberichte, aus denen hervorgeht, dass die britischen Interessen zu sichern seien, indem man in die akademische Infrastruktur der früheren Kolonien investiere und die englische Sprache verbreite. Dabei gehe es darum, Englisch als Sprache der akademischen «Eliten» und damit als «überlegene» Sprache zu etablieren. Regierungsnahe und private Stiftungen in den USA hätten in der Zeit von 1950–1970 grosse Summen aufgewendet, vielleicht die grössten in der Geschichte, die je für die Verbreitung einer Sprache ausgegeben worden seien, schreibt Phillipson. Die Verbreitung des Englischen sei so als Mittel aussenpolitischer Machtausübung gebraucht worden.

Denn wer in internationalen Beziehungen seiner Sprache Geltung verschaffen kann, hat Vorteile im regionalen oder globalen Wettbewerb um wirtschaftlichen Einfluss und ­politische Macht; damit spricht er die äusserst problematische Verquickung von «auswärtiger Sprach-, Kultur- und Bildungspolitik» mit Aussenpolitik an.
Als Anfang der 1990er Jahre die kommunistischen Regimes in Osteuropa zusammengebrochen waren, ergriffen die angelsächsischen Länder die Gelegenheit, Englisch in einer Region zu verbreiten, in der sie bis dahin nur geringen Einfluss hatten. Der britische Aussenminister Douglas Hurd proklamierte damals, alles zu tun, um Englisch in Osteuropa zur führenden Fremdsprache zu machen. Im Jahrbuch des British Council 1991/92 ist zu lesen: Man habe schnell und unkonventionell reagiert, um zu verbreiten, wofür England steht, nämlich für liberale Demokratie, freien Markt und vor allem für die englische Sprache.
So wurde die englische Sprache mit Assoziationen wie «Freiheit», «Demokratie» und «westlicher Marktliberalität» versehen, und dieses Sprachimage wurde durch Sprach­unterricht verbreitet. Und mit dem Englischunterricht kamen auch Unterrichtsmethoden, die mit Attributen wie «modern», «selbstgesteuert», «demokratisch» verbunden waren und meist in Gegensatz zum angeblich «fremdgesteuerten», sogenannten «Frontal»unterricht gesetzt wurden.
In einem anderen Buch, das in diesem Zusammenhang zu empfehlen ist, «Globalization and Language Teaching», kommt der aus Sri Lanka stammende, in den USA lehrende Linguist Suresh Canagarajah zu Wort. Er kennt den Sachverhalt aus eigener Erfahrung. Unterrichtsmethoden, schreibt er, seien keineswegs wertfreie Werkzeuge, die allein durch empirische Forschung für die praktische Anwendung entwickelt und überprüft werden, es seien vielmehr kulturelle und ideologische Konstrukte mit politischen und ökonomischen Konsequenzen. Unterrichtsmethoden beeinflussten die Aktivitäten im Unterricht, die sozialen Beziehungen, die Art des Denkens, die Strategien des Lernens und so weiter, und zwar nach Massgabe derer, die sie in die Schulen anderer Länder und Kulturen tragen, um einen «cultural change» herbeizuführen. Die Verbreitung von Unterrichtsmethoden kann laut Canagarajah als ein «Angriff» auf kulturell andere Arten des Denkens, des Lernens und der sozialen Interaktion betrachtet werden; und sie können als Versuch angesehen werden, einheitliche Werte und Praktiken zu verbreiten.
Für Canagarajah ist klar, dass diese Einflussnahme von den wirtschaftsstarken, mächtigen Industrienationen wie den USA, England, Frankreich, Deutschland und so weiter ausgeht, die ihre wirtschaftliche und technologische Überlegenheit nutzen, um weniger entwickelten Ländern, Schwellen- oder Dritte-Welt-Ländern durch Sprachunterricht ihr Denken und ihre Werte aufzuzwingen. Viele Lehrerinnen und Lehrer in diesen Ländern glauben, dass die Unterrichtsmethoden, die in wissenschaftlichen Hochglanz-Journalen, in Lehrer-Weiterbildungsprogrammen und durch professionell daherkommende Organisationen verbreitet werden, moderner, effektiver, demokratischer seien.
Vieles von dem, was heute an kompetenz­orientierten Bildungsreformen von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) oder der EU her kommt, kann in Art und Bedeutung nach der Lektüre der beiden Bücher besser eingeschätzt werden.    •

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