Die gemeinsamen Werte der Sicherheit bekräftigen

Die gemeinsamen Werte der Sicherheit bekräftigen

Interview mit Oberst Alain Bergonzoli, Direktor der Polizeiakademie von Savatan, Schweiz

jpv. Im folgenden Gespräch äussert sich Oberst Alain Bergonzoli, Direktor der Polizeiakademie von Savatan (Waadt), zu Sicherheitsfragen, denen sich die Schweiz und ganz Europa aktuell ausgesetzt sehen, und er beschreibt die von menschlichen Werten getragenen Grundsätze für die Ausbildung der Poli­zeikräfte.
Im Anschluss an einen Besuch der Polizeiakademie Savatan, oberhalb von Saint-Maurice, hatte «Zeit-Fragen» die Gelegenheit, sich mit dem Direktor dieser wichtigsten Ausbildungsstätte für die Polizeikräfte der französischsprachigen Schweiz und des Oberwallis zu unterhalten.
Die Akademie organisiert und führt jedes Jahr eine ganzjährige Aspirantenschule für Gemeinde- und Kantonspolizisten sowie Poli­zeiinspektoren der Kantone Wallis, Waadt und Genf durch. Sie bildet somit 80 % der Sicherheitskräfte des Welschlands aus. Zudem führt sie mehrere Ausbildungskurse für Sicherheitsassistentinnen und -assistenten pro Jahr durch sowie Kurse für Personen mit einer direkten oder indirekten Beziehung zu den Bereichen Sicherheit und Justiz, Gesundheitswesen oder Feuerwehr, Ambulanzfahrer oder Feuerwehrleute. Die Akademie arbeitet eng mit der französischen Gendarmerie und weiteren Institutionen für die polizeiliche Ausbildung in Europa zusammen. Sie bietet ihre Fachkenntnisse für Kooperationsprojekte der Schweizerischen Eidgenossenschaft auf allen Kontinenten an.

Zeit-Fragen: Herr Bergonzoli, wie schätzen Sie die derzeitige Sicherheitslage in Europa ein?

Oberst Bergonzoli: Die Entwicklung der Welt, die wiederholten Krisen, unsere offensichtliche Verletzlichkeit bei den jüngsten Ereignissen – insbesondere anlässlich der tragischen Attentate, welche in Frankreich, Belgien und Deutschland im Verlauf der letzten Monate durchgeführt wurden – haben die Meinung der Öffentlichkeit erschüttert. Diese Ereignisse haben in unserer westlichen Gesellschaft Fragen aufgeworfen, manchmal auch Zweifel an der Sicherheit, die wir heute bieten.

Vom islamistischen Terrorismus ausgehende Gewalt verschont heute niemanden mehr

In unserem Land ist das Sicherheitsniveau, bedingt durch soziologische, historische, poli­tische und rechtliche Faktoren, sehr hoch: Das veranlasst uns zur Annahme, dass wir wahrscheinlich von diesen Gewaltphänomenen verschont bleiben werden. Die Wirklichkeit ist jedoch anders. Vom islamistischen Terrorismus ausgehende Gewalt verschont heute niemanden mehr. Im Herzen des kulturellen und geografischen Europas muss sich die Schweiz, wie auch ihre Nachbarn, auf den Umgang mit dieser neuen Realität vorbereiten.
Wir müssen lernen – oder erneut lernen – resilienter (belastbarer) zu werden, die Bedrohungen zu identifizieren und beim Namen zu nennen, auf alle Ursachen hinzuweisen und uns darauf vorzubereiten, möglichst viele Schwachstellen zu eliminieren.
Sicherheit lässt sich nicht verordnen, und sie ist nie endgültig erworben. Sie wird im Alltag aufgebaut und gefestigt, sie passt sich an die gesellschaftlichen Veränderungen an, wie diese auch geartet sein mögen. Sich dessen bewusst zu sein ist der Beginn eines Resilienzprozesses.

Das Grenzwachtkorps an der italienisch-schweizerischen Grenze hält sich strikt an die vorgesehenen Regelungen

Zurzeit versammeln sich Hunderte von Flüchtlingen und Migranten in Como an der italienisch-schweizerischen Grenze. In unserem Land erwarten die einen einen Militäreinsatz zur Sicherung der Tessiner Grenze, die anderen demonstrieren vor dem Bundeshaus in Bern, damit diese Menschen in der Schweiz Einlass finden. An welche Regeln soll man sich halten? Wie schätzen Sie die Situation ein?

Diese Situation ist als Folge der Migrationsbewegungen in der Europäischen Union entstanden. Für die Schweiz gibt es Alternativen zum strikten Einhalten der legalen Vorgaben. Es ist jedoch Sache der politischen Behörden, diese anzupassen, wenn sie der Meinung sind, wir befänden uns in einer Ausnahmesituation. Was das Grenzwachtkorps (GWK) betrifft – das übrigens auf einem ausgezeichneten Ausbildungsstand ist –, so hält es sich strikt an die vorgesehenen Regelungen.
Es kann sein, dass die Einschätzungen, die wir in den Medien lesen, bei uns manchmal den Eindruck erwecken, dass wir einem Streit zwischen Dialektikern beiwohnen, deren Ziel es ist, den legalen Rahmen zu beeinflussen. Wie auch immer, wir sind heute erst am Anfang dieser Entwicklungen: Es ist eine Situation, die eine gute Ausbildung der Ordnungskräfte verlangt, sowohl menschlich als auch in der Art, das Gesetz korrekt anzuwenden.

Wir werden sicherlich auf die Sicherheits­situation in der Schweiz und in unseren Nachbarländern zurückkommen. Könnten Sie uns das Konzept der Polizeiakademie Savatan darlegen?

Die Gründung der Polizeiakademie Savatan beruht nicht auf Zufall. Vor zwölf Jahren haben drei Gründe zur Schaffung unserer Insti­tution geführt. Einerseits der politische Wille, die Polizeiausbildung mit einem eidgenössischen Fachausweis zu vereinheitlichen; andererseits die aus den Sicherheitsverpflichtungen am Rande des G-8-Gipfels 2003 in Lausanne gewonnenen Erkenntnisse. Die dabei gemachten Erfahrungen hatten die Grenzen einer effizienten Zusammenarbeit zwischen Polizei, Militärpolizei und Armee auf Grund von Ausbildungsdefiziten aufgezeigt. Und schliesslich gaben zum gleichen Zeitpunkt die Armee und ihre Gebirgsinfanterie das Gelände und die Befestigungsanlagen von Savatan auf.

Sicherheitssynergie zwischen zivilen und militärischen Polizeikorps

Aus diesen Elementen entstand die Idee SYNERSEC, eine Sicherheitssynergie zwischen zivilen und militärischen Polizeikorps. Aus diesem Grund bildet die Polizeiakademie seit zwölf Jahren nicht nur die Polizeiaspiranten der Kantons- und Gemeindepolizeien der Kantone Waadt und Wallis aus, sondern auch die Mitarbeiter der Militärischen Sicherheit und der Transportpolizei sowie die meisten der Westschweizer Sicherheitsassistenten. Seit diesem Jahr kommen auch die Aspiranten der Genfer Kantonspolizei nach Savatan – einer Polizeiakademie des Rhône-Gebiets, welche nun 80 % der Grundausbildung in der Westschweiz gewährleistet.

Welche Ziele verfolgen Sie?

Die politische Behörde hat uns einen Zeitplan bis 2020/2022 gegeben: Es gilt, eine juristische Einheit für eine selbständige Akademie der Polizeiausbildung zu schaffen, welche die drei Kantone Waadt, Wallis und Genf vereint, in Partnerschaft mit dem Bund. Dieses Vorgehen soll auch die Frage des Eigentums am Gelände regeln: ein Baurecht erwerben oder Eigentümer werden und die Infrastrukturen von Savatan sowie der anderen Einrichtungen im Tal kaufen.

Sehr hohe Fachkompetenzen im Sicherheitsbereich

Welches sind die Herausforderungen dieses Vorgehens?

Ich sehe zwei Herausforderungen: Im Zusammenhang mit unserer Aufgabe besteht die erste darin, die Ausbildung ständig weiter zu verbessern. In der Schweiz überlegen wir, die Grundausbildung mit der Einführung eines dualen Ausbildungskonzepts zu stärken: Eine Entwicklung, welche die Dauer und den praktischen Ablauf der Ausbildung verlängern wird. Die zweite Herausforderung ist wirtschaftlicher Art: Der Institution soll eine gewisse Rentabilität garantiert werden. Und zwar indem wir einerseits der privaten Schweizer Wirtschaft gezielte Ausbildungen in Sicherheitsfragen anbieten und andererseits unsere Zusammenarbeit mit dem Ausland verstärken. In unserem Land verfügen wir über sehr hohe Fachkompetenzen im Sicherheitsbereich: Wir müssen sie exportieren! Die Polizeiakademie macht dies bereits mit Frankreich, Deutschland und mit Ländern in Zentraleuropa wie Rumänien, Bulgarien oder Polen. In diesem Bereich besteht noch Entwicklungspotential.

Die Wertefrage steht im Mittelpunkt

Ich hätte gerne noch einige Erläuterungen zu den drei Ausbildungsbereichen, und zwar die pädagogische, die militärische und die poli­zeiliche Ebene. Wie verbinden Sie diese? Wie werden sie in die Grundausbildung integriert?

Diese Bereiche ergänzen sich sehr gut. Wir konnten ein kohärentes Konzept aufbauen, basierend auf den Hauptelementen jedes einzelnen dieser Bereiche, und dabei stellen wir die Wertefrage in den Mittelpunkt!
Heute müssen die Polizeiaspiranten nicht mehr zwingend die Rekrutenschule absolviert haben, bevor sie eine Polizeischule beginnen. Ich persönlich bedaure dies, denn die militärische Ausbildung in der Schweiz stellt eine qualitativ sehr gute Basis mit einem massiven Mehrwert dar.
Die jüngsten Ereignisse in Frankreich, Belgien und Deutschland zeigen, wie nötig es ist, dass die Ordnungskräfte die Gewalt unter Kontrolle haben und in der Lage sind, auf alle Arten von gegnerischen Angriffen angemessen zu reagieren.
Unsere Stärke auf pädagogischer Ebene ist die angewandte Pädagogik, mit rigorosen und gut formulierten Plänen. Wir haben in unserem Land wahrscheinlich die besten Ausbildungsunterlagen Europas. Alle unsere Instruktoren und Ausbildner sind für die modernsten Unterrichtsformen vorbereitet, in denen der Lernende ins Zentrum der zu erreichenden Ziele gestellt wird. Das hervorragende Bildungsniveau unserer Aspiranten erlaubt es uns, die während dem Ausbildungsjahr festgelegten Anforderungsstandards rasch anzuheben.
In Krisensituationen beruht die Begründung der zu treffenden Massahmen auf den Komponenten der Militärdoktrin. Man muss sich dieser Tatsache bewusst sein und sie akzeptieren. Sie zu verleugnen, kann eine Schwäche bedeuten, wenn ein Polizist, der in einer akuten Krisensituation reagieren muss, nicht über gute Grundlagen verfügt und sich einem stark bewaffneten und militarisierten Gegner gegenübersieht.

Die Ausbildung muss sich auf gesicherte, praktische Erfahrungswerte stützen

Im polizeilichen Bereich stützen wir uns auf die vor Ort gesammelten Erfahrungen. Die Zeit des Theorieunterrichts in Klassenzimmern sowie Schiessständen, die eigentlich für sportliche Aktivitäten vorgesehen sind, ist vorüber. Die Ausbildung muss sich auf gesicherte, praktische Erfahrungswerte stützen. Die Schulung der Fähigkeiten zur Lageüberwachung, selbst erlebte Fälle aus der Praxis unter juristischen, technischen, taktischen, ethischen und psychologischen Gesichtspunkten zu analysieren, um dann während der gesamten Aspirantenschule in den Unterrichtsfächern die Konsequenzen daraus ziehen zu können.
Heutzutage können sich im Kofferraum gewisser Autos Kalaschnikows verbergen. Der Polizist muss in der Lage sein, die subtilsten Einsatztaktiken zu beherrschen. Taktiken und Techniken, die nicht improvisiert, nur erlernt werden können! Der Polizist im Einsatz muss deshalb über eine in diesem Bereich vertiefte Grundausbildung verfügen. Er muss ein komplexes berufliches Agieren in einem, der operativen Realität nahen, pädagogischen Umfeld erwerben.

Jederzeit fähig und bereit sein, massiven Gewaltphänomenen entgegenzutreten

Was beinhaltet diese «operative Realität»?

Die Tatsachen sind da. Man muss heute jederzeit fähig und bereit sein, massiven Gewaltphänomenen entgegenzutreten. Die Realität sind immer entschlossener auftretende bewaffnete Delinquenten, Angreifer mit blinder Tötungsabsicht oder Terroristen, die selektive Ziele gegen Personen oder Einrichtungen verfolgen. Die Antwort auf solche Ereignisse ist ein schneller, präziser Einsatz, der imstande ist, der Bedrohung ein Ende zu setzen.

Wie bereiten Sie die Aspiranten auf diese Realitäten vor?

Das Wichtigste ist das Vermitteln von Werten. In der Polizeiakademie Savatan leiten uns die Werte in allem, was wir unternehmen, unabhängig vom Unterrichtsthema. Der Text des Eides fasst eigentlich alles zusammen! [vgl. Kasten «Polizisten-Eide»] Es ist meine Rolle, dessen richtiges Verständnis zu gewährleisten: Wie kann er in der Praxis umgesetzt werden? Das, was der Bürger vom zukünftigen Polizisten erwartet, sind sein sinnvoller Einsatz, das Einhalten von Versprechen, der Sinn für Disziplin, der Respekt vor der Hierarchie und vor dem Sinn seines Auftrags, das Verständnis für das, was die Uniform darstellt: die vom Staat delegierte und «geliehene» Autorität …
Ein Polizist kann die Ordnung nicht durchsetzen, ohne sich selber an die Ordnung zu halten!
Natürlich entwickeln wir auch den Wert der Zusammengehörigkeit, der über dem individuellen Verhalten stehen muss. Das Kunststück besteht darin, diese Werte zu verbinden, ohne sie gegeneinander auszuspielen. Man kann dies mit dem Salzen eines Gerichts illustrieren: zu viel, und es wird ungeniessbar, zu wenig, und es ist fade, gerade richtig, und das Gericht schmeckt ausgezeichnet! Die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen all diesen Werten ist unser tägliches Anliegen. Es ist die Arbeit eines ganzen Teams.

Die grundlegendste Aufgabe der Polizei: schützen und dienen

Welche Qualitäten muss ein guter Polizist heute haben?

Zusammen mit dem Urteilsvermögen wird der Mut wieder zur wichtigsten Qualität. Sein eigenes Leben zu riskieren, um das Leben anderer zu schützen, erfordert Selbstlosigkeit und sehr viel Mut. Andere sind der Ansicht, dass die Beziehungsebene Vorrang gegenüber allen anderen Qualitäten hat. Ich nicht. Damit wir uns aber richtig verstehen – ich will diese Qualitäten nicht gegeneinander ausspielen. Ich stelle jedoch fest, dass mir die jüngsten Ereignisse leider Recht geben. Erinnern wir uns an die grundlegendste Aufgabe der Polizei: schützen und dienen. Der Polizist muss untadelig sein in seiner Art, den Einhalt der Gesetze einzufordern und durch sein Handeln den Bürger dazu zu bringen, den Sinn seines Handelns sofort zu verstehen.

Sollte man nach den Ereignissen von Paris, Brüssel, Istanbul oder Nizza die Ausbildung der Polizisten nicht überdenken?

Diese Attentate sind Vorboten eines langen und schwierigen Kampfes. Es wird Zeit brauchen, dieses Phänomen zu bekämpfen. Es muss wohl eher mit Jahren als mit Tagen gerechnet werden. Für unsere Gesellschaft, die in der Unmittelbarkeit lebt, wird dies mühsam sein. Die heutige Situation verdeutlicht die Notwendigkeit, alle möglichen Synergien zwischen den verschiedenen Polizeikräften auszubauen. In diesem Punkt ist das deutsche Modell interessant: Es erlaubt eine Erhöhung der Kräfte, gewährleistet gleichzeitig die Autonomie der Bundesländer und garantiert den Einsatz zentralisierter Ressourcen, um eine starke Wirkung zu erzeugen.

Der Kampf gegen den Terrorismus erfordert Prävention, Schutz und Intervention

Welche Massnahmen müssen Ihrer Meinung nach zur Bekämpfung des Terrorismus getroffen werden?

Wie der Kampf gegen ein starkes Virus erfordert der Kampf gegen den Terrorismus drei Arten von Massnahmen: Prävention, Schutz und Intervention.
In der Prävention ist die Schweiz mit ihrer föderalistischen Struktur sehr leistungsstark. Sie kennt ihre Bürger und deren Anliegen. Das Aufspüren von Personen, die mit den gesellschaftlichen Werten gebrochen haben, ist dadurch im Prinzip einfacher. Bei einer terroristischen Bedrohung müssen neben der Informationsbeschaffung gewisse feindliche Aktionen durch Verstärkung der Schutzmassnahmen abgewendet werden können. Auch wenn wir in der Lage sind, uns in diesem Bereich zu steigern, so liegt die Grenze bei den limitierten Beständen, die langfri­stig eingesetzt werden können. Bezüglich der Interventionsmöglichkeiten ist die Schweiz im internationalen Vergleich gut ausgerüstet. Um dieses Niveau zu erhöhen, müssen wir die persönliche Ausrüstung, die Bewaffnung, die Munition sowie in einigen speziellen Bereichen die Ausbildung überdenken.

Woran denken Sie da?

Bei der polizeilichen Aktivität finden wir das Konzept der «Erst-Einsatzkräfte» wieder. Ein Konzept, das im Widerspruch steht zu den Abriegelungsdispositiven (Sicherheitsbereich, Beobachtung und so weiter), die in Erwartung des Einsatzes von Spezialeinsatzkommandos (SEK), wie zum Beispiel in der Deutschschweiz Skorpion (Stadtpolizei Zürich) oder Enzian (Kantonspolizei Bern).
Dieses Konzept ist sicherlich die passende Antwort auf die heutige Bedrohung. Es hat jedoch zahlreiche und unterschiedliche Folgen: Der Mensch muss bei der Rekrutierung in bezug auf seine Grund- und Weiterbildung neu eingeschätzt werden. Es bedingt auch, die Ausrüstung und die Bewaffnung neu anzupassen. Es führt zum Überdenken der territorialen Vernetzung der Sicherheitskräfte. Es erfordert auch die Stärkung der Handlungskultur, mit einer Fokussierung der Herzen und des Geistes auf das Primat der Mission. Und schliesslich bedingt dieses Konzept eine Neupositionierung der Hierarchie, bei der Entscheidungsfreudigkeit und Handlungsbereitschaft im Vordergrund stehen müssen.

Die Krisen von morgen werden anderer Art sein

Welches sind weitere zukünftige Bedrohungen?

Es ist heute klar, dass weitere Phänomene die Sicherheit unseres Landes und seiner Bevölkerung bedrohen: Cyberkriminalität und Störungen der öffentlichen Ordnung.
Cyberbedrohungen und Cyberkriminalität sind bereits Realität. Sie verursachen unserer Gesellschaft enorme Kosten und Verluste. Der Polizist von morgen, wo immer er auch eingesetzt wird, muss solche Angriffe auf Bürger, Firmen und Institutionen verstehen, sie kennen und in der Lage sein, darauf zu reagieren. Dazu ist eine Ausbildung nötig, die auf die Realitäten der virtuellen Welt eingeht.
Was die Störungen der öffentlichen Ordnung angeht, sind diese in unserem Land zum Glück noch wenig verbreitet. Aber sind wir wirklich davor geschützt und wenn ja, wie lange noch? Auch hier ist eine entsprechende Ausbildung der Polizisten unabdingbar. Um so mehr, als unser Land über keine für solche Einsätze vorgesehenen ständigen Sicherheitskräfte verfügt.
Die Polizeiakademie Savatan und der «Groupement romand de maintien de l’ordre» (GMO) [Westschweizer Gruppe zur Aufrechterhaltung der Ordnung] haben die Notwendigkeit erkannt, genügend Zeit in die Vorbereitung des Personals und des Kaders für diese heikle Aufgabe des Aufrechterhaltens der öffentlichen Ordnung zu investieren. Bereits 2003 zeigte der G-8-Gipfel in Evian in aller Deutlichkeit, wie notwendig die professionelle Vorbereitung des Umgangs mit Störungen der öffentlichen Ordnung ist.
Die Krisen von morgen werden anderer Art sein. Die Fachleute für öffentliche Ordnung sind sich dessen bewusst: Das gesellschaftliche Gleichgewicht ist nie endgültig. Am Schluss sind immer die Ordnungskräfte für die schwierige Aufgabe zuständig, den sozialen Frieden wiederherzustellen, wenn dieser zerstört ist. Für die Polizei bedeutet der Einsatz von Gewalt immer eine riesige Verantwortung.
Ich stelle deshalb mit Genugtuung fest, dass die Partnerschaft der Polizeiakademie Savatan mit dem «Centre national d’entraînement des forces de gendarmerie» (CNEFG) [Nationales Zentrum für die Schulung der staatlichen ­Polizeikräfte] im französischen Saint-Astier ein gutes Beispiel für Austausch und Synergien ist. Seit 2012 machen die Praktika unserer Aspirantenschulen im CNEFG die beiderseitige Bereitschaft deutlich, solche Ausbildungen ausbauen zu wollen.

Lehren aus der Kölner Silvesternacht

Im Zusammenhang mit der Störung der öffentlichen Ordnung denke ich an ein Beispiel aus Deutschland: In der Silvesternacht 2015/16 sind in Köln und weiteren deutschen Städten Frauen von zahlreichen Migranten auf organisierte Art und Weise massiv sexuell belästigt worden. Die Polizei hatte von den politischen Behörden die Weisung erhalten, nicht einzugreifen. Dies auch, als der Kölner Dom mit Feuerwerk beschossen und mit Fäkalien verschmiert wurde, während im Innern ein Gottesdienst gefeiert wurde. Werden damit nicht Grundwerte in Frage gestellt. Wäre eine solche Situation in der Schweiz auch möglich?

Gemäss verschiedenen gut informierten deutschen Tageszeitungen sollen etwa 2000 Männer, meist maghrebinischer Herkunft, in der Neujahrsnacht 2015/16 mehr als 1200 Frauen in Köln, Hamburg und weiteren deutschen Städten angegriffen haben. Dies ist eine schockierende Situation sowohl auf Grund des Ausmasses der begangenen Delikte als auch auf Grund der extremen Gewalt, die zum Ausdruck gekommen ist. Diese fast irreal erscheinende Situation zeigt die Herausforderungen, denen sich unsere westlichen Gesellschaften auf Grund der neuen Realitäten gegenüber sehen. Wie soll man aktive Prävention, glaubwürdige Abschreckung und den Verhältnissen angemessene Repression in einem so chaotischen Umfeld wie dem oben beschriebenen vereinen können?  
Es geht hier nicht nur um Sicherheit. Es geht auch nicht nur um strategische Entscheidungen, welche die Polizeikräfte umsetzen müssen. Es geht um eine gesellschaftliche Aufgabe. Sie beruht auf einer einzigen grossen Herausforderung: das Gleichgewicht im gesellschaftlichen Zusammenleben weiterzuentwickeln.
Heute muss die Polizei in ihre Überlegungen – und somit auch in die Ausbildung der neuen Mannschaften – Bedrohungen und Risiken miteinbeziehen, die noch vor wenigen Monaten undenkbar waren … Ein Beispiel: Dieses Jahr mussten die für öffentliche Sommerveranstaltungen verantwortlichen Behörden in ganz Europa Betonblocks auf den Zufahrtswegen zu gewissen Veranstaltungen plazieren, um das Risiko eines «verrückten Lastwagens» zu verhindern (Tragödie von Nizza).
In der Schweiz sind wir zurzeit vor solchen gewalttätigen Ereignissen verschont. Trotzdem dürfen wir den Kopf nicht in den Sand stecken: Wir müssen vorsorgen und abschrecken. Auf der repressiven Ebene brauchen wir angemessene Interventionspläne, um das Entstehen chaotischer Situationen zu verhindern. Je nach Landesregion müssen wir jedoch feststellen, dass unsere operativen Möglichkeiten den Herausforderungen solch neuer Einsatzarten wenig angepasst sind – in bezug auf die Ausbildung der Polizisten wie auch im Bereich des Personalbedarfs und der Ausrüstung.

Der Schweizerbürger kann sich mobilisieren, wenn er die Gefahr erkennt

Denken Sie, dass die Schweizer Bevölkerung auf die aktuellen Bedrohungen vorbereitet ist?

Unser Land ist von den beiden letzten Weltkriegen verschont geblieben und erlebt seit mehreren Jahren eine in seiner Geschichte beispiellose Periode der Stabilität. Diese Situation hat eine von der ganzen Welt beneidete wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht. Wir kennen die Spannungen respektive die sozialen Brüche nicht, die viele unserer Nachbarländer erleben.
Diese beinahe idyllische Situation kann in unserer Bevölkerung ein Gefühl von ewigem Frieden hervorrufen. Die Vorstellung von Konflikt oder massiver Verschlechterung der Situation erscheint vielen völlig abstrus. Man könnte somit annehmen, dass der Mitbürger in einer akuten Krise unfähig wäre, die richtigen Reaktionen und Verhaltensweisen einzunehmen.
Ich denke jedoch, dass der Schweizerbürger sich mobilisieren kann, wenn er die Gefahr erkennt, und dass er dann sogar bewundernswert resilient werden kann. Dies darf uns aber nicht davon abhalten, uns zu hinterfragen und uns sorgfältig vorzubereiten.
Die gegenwärtigen Bedrohungen sind überall, die Front hingegen ist nirgends. Der Gegner wird als sich ständig verändernd und hybrid eingeschätzt. Er kann in den Zentren unserer Städte zuschlagen, dort, wo niemand sein Auftauchen und seinen Angriff voraussah.
Die heutigen Kriege sind übrigens neuartig und rechtfertigen es, dass wir die Öffentlichkeit aktivieren und unsere gemeinsamen Werte der Verteidigung und des Schutzes bekräftigen.
Es handelt sich nicht um eine Rückzugshaltung, sondern um eine Position der Wachsamkeit und des Widerstands. Eine Position, die sich in einer ganzheitlichen Sicherheitskonzeption ausdrückt, das heisst der Sicherheit des Staats und seiner Bevölkerung. Eine Position, die angemessene Mittel benötigt, sowohl in der Politik als auch im Bereich der Sicherheit und des Militärs.
Unser Land muss sich erinnern und handeln.

Herr Oberst Bergonzoli, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.    •

(Interview Jean-Paul Vuilleumier)

«Der Polizist handelt so, wie er ausgebildet worden ist. Man muss ihn deshalb so ausbilden, wie er handeln soll»

Das Wort des Direktors

Der Gesellschaft dienen und den Bürger schützen!

Das ist der schwierige, aber wertvolle Beruf, auf den die Polizeiakademie Savatan die Männer und Frauen vorbereitet, die sich dafür entschieden haben.
Polizeikräfte sind heute eine Notwendigkeit. Unser gesellschaftliches Umfeld ist geprägt von komplexen und unvorhergesehenen Situationen. Der Polizist befindet sich im Zentrum der Gesellschaft, unserer Gesellschaft.
Um ein guter Polizist zu sein, muss man sicherlich fachliche Kompetenzen erwerben. Es reicht aber nicht, ein Experte der Kriminalpolizei zu sein, der bürgernahen Polizei oder der Funkstreife, ein Spezialist im Schiessen oder im Strassenverkehrsgesetz … man muss vor allem jederzeit situativ richtig reagieren können. Der zukünftige Polizist muss sich deshalb die für seine Integration in die Gesellschaft unerlässlichen kulturellen Werkzeuge aneignen.
Neben dem Know-how, das in der Instruktion erteilt wird, erhält der zukünftige Polizist im gesamten Verlauf seiner Ausbildung eine Lebensart vermittelt. Es sind Werte wie individuelle Verantwortung sowie Mut und Sinn für das Gemeinwohl. In einem Wort, eine echte Polizeikultur, die ganz von der «Reflaktion» geprägt ist, das heisst Reflexion vor Aktion.
Wenn der Polizeiaspirant, Gendarm oder Inspektor zum ersten Mal seine Uniform trägt, steht er bewusst zu diesen Werten, die sein Handeln beeinflussen werden. Vom ersten Moment an in der Akademie wird der Aspirant diese Werte verinnerlichen.
Morgen wird die Verantwortung des zukünftigen Polizisten sehr real sein. Denn unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger haben bezüglich ihrer Sicherheit enorme Erwartungen an die Rolle, die Verantwortung und das Engagement der Polizisten.
Morgen muss der zukünftige Polizist die Kraft haben, an seine Überzeugungen zu glauben, aus den gewählten und akzeptierten Werten zu schöpfen, die Kraft, verhältnismässig zu handeln, die Kraft, unter allen Umständen menschlich zu bleiben.
Morgen wird der zukünftige Polizist einem bestehenden Korps beitreten. Einem Korps, in dem die Prinzipien immer die gleichen sind: Loyalität und «Militarität».
Die Loyalität seiner Hierarchie gegenüber ist nicht ein Akt des Zugeständnisses: Sie muss sich natürlich ausdrücken, mit Stolz und Kohäsion.
Und «Militarität» heisst Selbstlosigkeit, Verfügbarkeit, Zusammenhalt und Unerschütterlichkeit. Es handelt sich um eine moralische Haltung, die dazu führt, dass der einzelne sich stärker für den Dienst an Personen und Vaterland einsetzt.
Am Ende seiner Ausbildung an der Polizeiakademie Savatan wird der Polizeiaspirant, der Polizist oder der Inspektor das Wie seines Berufs kennen. Aber noch viel mehr wird er vom Warum seines Engagements geprägt sein: der Gesellschaft dienen und den Bürger schützen.

Alain Bergonzoli,
Oberst

Polizisten-Eide

Walliser Eid

«Ich schwöre, im Namen Gottes, der Verfassung treu zu sein, meinen Vorgesetzten zu gehorchen, bei allem, was meinen Dienst betrifft, zu dem ich berufen bin, alle Aufgaben, die mir durch die Gesetze und Dienstreglemente auferlegt sind, zu erfüllen, die Geheimnisse, die mir anvertraut werden, für mich zu behalten, alle Geschenke, die mir im Zusammenhang mit meiner Dienstausübung angeboten werden, zurückzuweisen, und das Gewaltmonopol, das mir anvertraut ist, einzig für den Erhalt der Ordnung und der Befolgung der Gesetze zu nutzen.»

Waadtländer Eid

«Sie versprechen der Bundesverfassung und der Verfassung des Kantons Waadt treu zu sein.
Sie versprechen bei jeder Gelegenheit und mit all ihrer Kraft die Rechte, die Freiheit und die Unabhängigkeit des Landes zu erhalten und zu verteidigen, seine Ehre und seine Entwicklung zu fördern sowie alles was ihm zum Schaden und zum Nachteil gereichen könnte zu vermeiden oder zu verhindern.
Sie versprechen auch, ihr Amt gewissenhaft auszuführen und die ihnen auferlegten Aufgaben mit Eifer, Ausdauer und Loyalität zu erfüllen, sich strikt an die Gesetze zu halten, eine strenge Disziplin zu sichern und einzuhalten, den Befehlen ihrer Vorgesetzten genau und pünktlich zu gehorchen und schliesslich auch das Amtsgeheimnis uneingeschränkt einzuhalten.»
(Übersetzung Zeit-Fragen)

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