Staatsrechtliche Überlegungen zur Initiative «Schutz der Ehe»

Staatsrechtliche Überlegungen zur Initiative «Schutz der Ehe»

mw. Nach Artikel 8 Absatz 2 der Bundesverfassung ist jede Diskriminierung verboten, so auch in Bezug auf die Lebensform. Staatsrechts-Professor Andreas Glaser, der vom Initiativkomitee als Gutachter beigezogen wurde, kommt zum Schluss, dass die Initiative «Schutz der Ehe» nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstösst. Denn auch im Fall eines Jas zur Initiative «garantiert Art. 13 Satz 1 KV [Kantonsverfassung] weiterhin das Recht jedes Menschen, die Form des partnerschaftlichen Zusammenlebens frei zu wählen.» Zudem fehlt es an einer Diskriminierungsabsicht seitens der Initianten: «Es geht ihnen nicht um die Schlechterstellung anderer Lebensformen, sondern um eine Hervorhebung der gesellschaftlich erwünschten Funktion der Ehe durch eine exklusive Begriffsverwendung für eine dauerhafte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau.» (Gutachten Glaser, S. 12/13)1

Initiative bekräftigt das Grundrecht auf Ehe und Familie

Kantonale Volksinitiativen sind nur gültig, wenn sie nicht in Widerspruch zu übergeordnetem Recht stehen. In Bezug auf die Initiative «Schutz der Ehe» stellte sich vor allem die Frage, ob deren Inhalt im Widerspruch zur Kompetenz des Bundes für das Zivilrecht (Art. 122 Abs. 1 der Bundesverfassung) steht. Das Eherecht ist im schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) festgelegt; da haben sich die Kantone nicht einzuschalten. Beim Initiativtext handelt es sich gemäss Professor Glaser jedoch nicht um Zivilrecht (Privatrecht), sondern um ein Grundrecht, also eine öffentlich-rechtliche Norm. (Gutachten Glaser, S. 8)
Grundrechte sind Teil des öffentlichen Rechts, weil sie dem einzelnen Menschen einen Rechtsanspruch gegen den Staat auf Schutz der menschlichen Person und ihrer Würde geben. So ist der Schutz von Ehe und Familie ein in der Bundesverfassung (Artikel 14) garantierter Rechtsanspruch gegen den Staat (Bund, Kanton und Gemeinde). (Im Gegensatz dazu bestehen privatrechtliche Ansprüche zum Beispiel gegenüber einem Vertragspartner oder auch gegenüber dem Ehegatten).
Es ist nichts Aussergewöhnliches, dass in den Kantonsverfassungen Grundrechte stehen, die auch von der Bundesverfassung garantiert werden. So finden wir zum Beispiel in Artikel 9 der Zürcher Kantonsverfassung das Menschenrecht «Die Würde des Menschen ist unantastbar» und in Artikel 11 «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich».
Indem diese zentralen Grundrechte in der kantonalen Verfassung aufgeführt werden, wird deren grosse Bedeutung durch den Zürcher Gesetzgeber betont. Genau dies bezwecken die Initianten, wenn sie den Grundsatz «Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» in die Verfassung schreiben wollen.

Spielraum des kantonalen Gesetzgebers

Der Zürcher Regierungsrat schreibt im Abstimmungsbüchlein, die Initiative «Schutz der Ehe» sei unter anderem auch «aus rechtlichen Gründen abzulehnen», weil die Festschreibung des Ehebegriffs auf die Bundesebene gehöre. Zeit-Fragen hat Staatsrechtsprofessor Andreas Glaser gefragt: «Ist diese Aussage rechtlich haltbar?» Prof. Andreas Glaser: «Sie weisen ja zu Recht auf den Widerspruch hin, der auf den ersten Blick entsteht. Die Initiative ist gültig, denn sie verstösst nicht gegen Bundesrecht. Wenn man es aber weiter versteht, meint der Regierungsrat wohl, dass es rechtspolitisch wenig sinnvoll ist, den Ehebegriff für das kantonale Recht zu definieren. Massgeblich ist hier nämlich für praktisch alle relevanten Bereiche das ZGB. Auf der anderen Seite besteht durchaus in der Grundrechtsperspektive ein kantonaler Spielraum, insbesondere was auch Fördermassnahmen des Kantons betreffen würde.»

In dubio pro populo (Im Zweifel für das Volk)

Besonders bemerkenswert sind die Ausführungen des Schweizerischen Bundesgerichts zur Verpflichtung der Behörden, die Texte von Volksinitiativen so zu interpretieren, dass sie nicht leichthin als rechtswidrig, sondern möglichst für gültig erklärt werden können: «Es ist von verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten jene zu wählen, welche einerseits dem Sinn und Zweck einer Initiative am besten entspricht und zu einem vernünftigen Ergebnis führt und welche anderseits im Sinne der verfassungskonformen Auslegung mit dem übergeordneten Recht von Bund und Kanton vereinbar erscheint.» (Bundesgerichtsentscheid BGE 139 I 292, Erwägung 5.7, S. 296) Oder mit den Worten Professor Glasers: «Solange eine Volksinitiative nicht klarerweise als unzulässig erscheint, ist sie als gültig zu erklären und der Volksabstimmung zu unterstellen.» Und er ergänzt: «Das Bundesgericht verfährt dabei ausdrücklich nach dem Grundsatz ‹in dubio pro populo› und wählt mit Blick auf die Vereinbarkeit mit dem übergeordneten Recht jeweils die für die Initianten günstigste Auslegungsalternative.» (Gutachten Glaser, S. 59)
Gut zu wissen! Das gibt uns Bürgern in Zukunft mehr Standfestigkeit gegenüber kantonalen Behörden, die dazu neigen, Volksinitiativen, die ihnen nicht in den Kram passen, mit ausholenden und hochgeschraubten «Begründungen» für ungültig zu erklären …    •

1    Prof. Dr. Andreas Glaser, Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht an der Universität Zürich, Gutachten zur Gültigkeit der kantonalen Volksinitiative «Schutz der Ehe» vom 22. Dezember 2014

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