Kernstück der Initiative ist die Stärkung der Inlandproduktion

Kernstück der Initiative ist die Stärkung der Inlandproduktion

Eine Kritik am Gegenentwurf des Ständerates

Gespräch mit Hans Jörg Rüegsegger, Präsident SALS-Schweiz1, Präsident Berner Bauern Verband, Riggisberg (BE) und Vorstandsmitglied des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV)

Zeit-Fragen: Mit Interesse habe ich Ihre Stellungnahme im «Schweizer Bauer» vom 19. November2 gelesen. Dort sagen Sie, dass Sie im Gegenvorschlag die Stärkung der Inlandproduktion vermissen. Ist das nicht das Kernstück der Initiative?

Hans Jörg Rüegsegger: Doch, das ist einer der Kernpunkte der Initiative. Deshalb ist die SALS kritisch gegenüber dem Gegenvorschlag.

Aber der Vorstand des Bauernverbandes wäre eventuell bereit, die Initiative zurückzuziehen zugunsten des Gegenentwurfs?

Das hängt ganz davon ab, wie die Voten der Ständeräte morgen, am 29. November 2016, lauten. Selbstverständlich hat der SBV mit Kommissionsmitgliedern der WAK-SR Kontakt gehabt. Wir werden sehen, in welche Richtung die Debatte gehen wird. Aus eigener Erfahrung als Berner Bauernverbandspräsident weiss ich, dass man im richtigen Zeitpunkt Signale senden soll, dass man verhandlungsbereit wäre. Aber für uns von der SALS, für mich ist klar, dass die Stärkung der Inlandproduktion in der Vorlage stehen muss.

Also kommt es für Sie und auch für den SBV darauf an, ob der Ständerat morgen noch mehr in Richtung Initiativtext geht? [Was er am 29.11.16 nicht getan hat; Anm. Zeit-Fragen]

Genau.

Viele offene Fragen im Gegenentwurf

Die Ständeratskommission behauptet in ihrem Bericht, ihr Gegenvorschlag lasse weniger Interpretationsspielraum offen als der Initiativtext. Aber im «Schweizer Bauer» weisen Sie darauf hin, dass bei vielen Formulierungen nicht klar wird, was gemeint ist: zum Beispiel mit der Förderung einer «stand-ortangepassten und ressourceneffizienten Lebensmittelproduktion» oder einer «auf den Markt ausgerichteten Land- und Ernährungswirtschaft».

Genau. Wo man sich in Bundesbern in weiten Kreisen einig ist: dass man die Ernährungssicherheit in die Bundesverfassung schreiben muss. Aber wie das geschehen soll … sowohl der Gegenvorschlag als auch die Initiative sind sehr offen formuliert.

Eine «standortangepasste und ressourcen-effiziente Lebensmittelproduktion» könnte je nach Auslegung eine Einladung für mehr Umweltauflagen und für die Verlagerung gewisser Produktionszweige ins Ausland bedeuten. Oder es könnte auch heissen, dass jeder Schweizer Betrieb auf Bio-Produktion umstellen muss.

Die Formulierung «auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft» könnte auch der industriellen Landwirtschaft Tür und Tor öffnen. Viele Schweizer Konsumenten schätzen zwar die kleineren Familienbetriebe, aber die Rahmenbedingungen müssen auch so sein, dass diese Betriebe überleben können!

Ein weiterer Punkt im Gegenvorschlag, zu dem wir kritisch stehen, ist die Frage der Handelsbeziehungen über die Schweizer Grenze. Da gibt es für uns ein Fragezeichen: Wie wird das ausgelegt? So, wie wir uns das vorstellen oder wie die Befürworter einer «Grenzöffnung» sich das vorstellen?

Soll damit die Türe offengelassen werden für ein Agrarabkommen mit der EU und/oder für TTIP?

Das ist durchaus möglich. Zu diesem Punkt bin ich sehr kritisch, denn im Ständerat hat es natürlich Mitglieder, die eine Grenzöffnung in diesem Sinne wollen. Wenn es im Ständerat wirklich in diese Richtung geht, die Sie vermuten – das sieht man relativ schnell.

Versorgungssicherheit für die Bevölkerung muss weltweit gewährleistet sein

Viele Leute glauben, wir hätten ja in der Schweiz keine Probleme damit, die Lebensmittel zu importieren, die wir brauchen. Sie und ich gehören zur Nachkriegsgeneration, aber es gab auch schon Zeiten, wo das nicht so sicher war. Wir wissen nicht, ob es immer so bleiben wird wie heute. Müssten wir nicht für mehr Selbstversorgung schauen?

Das ist eine wichtige Frage. Der weltweite Bedarf an Lebensmitteln steigt. Zuviel Regen – zuwenig Regen, irritierende Faktoren wie der nicht unendlich vorkommende Phosphor, das zur Verfügung stehende Süsswasser, Dürren und Wassermangel schränken in vielen Ländern die Produktion ein. Das wird noch zunehmen. Nahrungsmittelproduktion und -verteilung wird zu einem immer wichtigeren Thema. Deshalb bin ich wirklich nicht davon überzeugt, dass es die Lösung wäre, immer noch mehr Nahrungsmittel zu importieren. Denn andere Länder müssen heute schon schauen, dass sie ihre Bevölkerung ernähren können. Wir in Europa leben im Luxus – wobei es zum Beispiel in Südspanien oder Süd-italien oder in Griechenland Gegenden gibt, wo nicht alles in den Regalen liegt wie bei uns. Deshalb ist die Nahrungsmittelproduktion von grosser Bedeutung. Ich denke, dass die Nahrung sogar ein Kriegsmittel oder ein Kriegsgrund sein könnte – wenn es um den Boden geht …

… oder um das Wasser. Eigentlich müssten die Verfechter einer Marktöffnung diese Überlegungen auch in Betracht ziehen, oder?

Die schauen meistens nicht so weit. Viele haben nur die nächsten fünf oder vielleicht zehn Jahre im Horizont. Das gibt mir zu denken. Nur schon, dass wir in der Schweiz jedes Jahr sechzig- oder achtzigtausend mehr Leute haben, die brauchen Platz, die müssen ernährt werden. In China oder anderen Ländern wächst die Bevölkerung überproportional. Da wird etwas auf uns zukommen, was wir ganzheitlich betrachten müssen.

Vielen Dank, Herr Rüegsegger, für das erhellende Gespräch.          •

(Interview Marianne Wüthrich)

Die Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor (SALS-Schweiz) setzt sich für eine produzierende Landwirtschaft und eine starke Lebensmittelindustrie in der Schweiz ein. Sie vertritt die Interessen des Agrar- und Lebensmittelsektors im Umfeld zunehmender Öffnung und Internationalisierung der Agrarmärkte. Sie setzt sich gezielt gegen Freihandelsabkommen ein, welche die Schweizer Landwirtschaft bedrohen. Deswegen lehnt sie insbesondere ein Agrarfreihandelsabkommen mit der Europäischen Union ab.

2 «Gegenvorschlag soll verbessert werden». Interview mit Hans Jörg Rüegsegger, Präsident der SALS. In: Schweizer Bauer vom 19.11.2016

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