Die Aufgaben der neuen US-Regierung

Die Aufgaben der neuen US-Regierung

von Myret Zaki, Chefredaktorin der Westschweizer Wirtschaftszeitung «Bilan»

Im Vorfeld der amerikanischen Präsidentschaftswahlen haben unzählige Stellungnahmen – fälschlicherweise – zum Ausdruck gebracht, dass Hillary Clintons Anständigkeit, Dossierkenntnisse und politische Erfahrung zweifelsfrei ermöglichen würden, die Wahl zu gewinnen. Im Gegensatz dazu schien allen klar, dass Donald Trump auf Grund seiner schlechten Vorbereitung in Sachfragen, seiner «maskulinen Sprache» und seiner politischen Unerfahrenheit keinerlei Chancen auf den Sieg hätte.
Diese sehr schulmeisterlichen Überlegungen sind weit an der Realität vorbeigegangen. Offensichtlich ging es weder darum, einen Funktionär oder Technokraten zu finden, noch einen gut vernetzten Kandidaten mit Erfahrung. Für eine Führungspersönlichkeit ist es sicher von Vorteil, seine Dossiers gut zu kennen, respektvoll und vorbildhaft zu sein; aber dies sind in Wirklichkeit nur optionale Eigenschaften zu dem, was die Wählerinnen und Wähler an dringenden Änderungen wirklich erwarten.
Was hingegen absolut notwendig erscheint – vor allem im Zusammenhang mit dem heutigen Amerika –, ist die dringendsten Probleme des Landes aufzuzeigen (Krieg, Immigration, finanzpolitische Fehlentwicklung), und zwar lieber mit Nachdruck und unabhängig davon, ob alle Anstandsregeln eingehalten werden.
Das heisst kraftvolle und charakterstarke Kommunikation mit Charisma, begleitet vom echten Willen, Änderungen herbeizuführen, sich vom verbrauchten und nicht mehr legitimierten Establishment abzusetzen und die Anliegen grosser Teile der Bevölkerung, die zu lange vernachlässigt wurden, wirklich zu erfassen. Vor allem jedoch, angesichts der Dringlichkeit, bedeutet dies, auf Political correctness und unecht wirkende PR-Sprache zu verzichten. Das wirkliche Kunststück, das Trump gelang, ist, dass ein rechtsgerichteter Milliardär ohne humanitäre oder soziale Ader die einfachen Bevölkerungsklassen für sich gewinnen konnte, weil sie den Eindruck hatten, dass er sie besser versteht als die netten progressiven und von sich eingenommen Demokraten, die alle Geschlechter und Minderheiten respektieren und eine zuvorkommende und aseptische Sprache führen.

Was hinterlässt Barack Obama?

In Wirklichkeit ist es nicht so sehr eine Anti-Clinton-Stimmung, sondern eine Anti-Obama-Stimmung, die diese Wahl massgeblich beeinflusst hat. Das Wahlergebnis ist eine klare Missbilligung des abtretenden Präsidenten, in dem Sinne, dass die Werte und die Politik, die er verkörpert und auf Grund derer er eine intensive Pro-Clinton-Kampagne geführt hat, die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler nicht mehr interessieren. Daran interessiert sind höchstens noch die selbstzufriedenen Eliten Manhattans oder San Franciscos. Weder als Demokrat noch als Republikaner kann man sich heute noch der Illusion hingeben, dass Silicon Valley und Brooklyn in irgendwelcher Art Amerika repräsentieren.
Im weiteren steckt auch die Kriegspolitik des Friedens-Nobelpreisträgers Barack Obama in der Sackgasse. Der Demokrat, dem gewisse Kriegsgurgeln hierzulande und anderswo sogar noch seinen militärischen «Rückzug» in der übrigen Welt vorgeworfen haben, ist in Wirklichkeit der Präsident, unter dem noch mehr Ermordungen durch Drohnen durchgeführt wurden als in der Ära Bush, und er ist bis zum Hals in die Kriege im Nahen Osten verstrickt, wo er, kurz nach dem Rückzug der US-Truppen aus dem Irak, zuerst versteckt, dann ganz offen dschihadistische Gruppen unterstützt hat (Islamischer Staat, Syrien, Irak, Afghanistan, Libyen).
Diese Politik kann nicht mit den Flüchtlingsströmen und den dschihadistischen Attentaten, die den Westen treffen, entschuldigt werden. Was den neuen Kalten Krieg mit Putins Russland betrifft, dessen geopolitische Spannungen in der Ukraine und in der Krim nur die Spitze des Eisbergs darstellen, so ist dieser vielleicht die grösste Gefahr für die amerikanische Hegemonie in der Welt. Russ­land blockiert die amerikanischen Ansprüche im Nahen Osten. China bietet Putin seine Unterstützung im Uno-Sicherheitsrat an, und der Einfluss dieser zwei Mächte bewirkt, dass sich weitere Länder um sie gruppieren, die nicht oder kaum noch auf die amerikanischen Interessen Rücksicht nehmen (Iran, Syrien, Ägypten, Türkei, Philippinen … sowie mehrere lateinamerikanische Staaten).
Die pazifischen und transatlantischen Freihandelsabkommen sind blockiert. Zu einem Zeitpunkt, in dem die US-Verschuldung 20 000 Milliarden Dollar erreicht hat, 44 Millionen Amerikaner seit 2008 auf Suppenküchen angewiesen sind und die angepasste Arbeitslosenquote – die auch die entmutigten Langzeitarbeitslosen einschliesst – eher bei 25% als bei den offiziellen 5% liegt, ist es vielleicht Zeit, dass die USA ihre forcierten Expansionswünsche begraben und sich endlich den Problemen im eigenen Land zuwenden.
Täuschen wir uns nicht. Das Auftauchen von Donald Trump ist keineswegs eine Garantie, dass nun alle aussen- und innenpolitischen Probleme der USA gelöst werden. Aber die Hoffnung, den Kalten Krieg mit Russland zu beenden, die amerikanischen Grenzen besser zu schützen und das politische Establishment durchzuschütteln, hat vorläufig gereicht, um ihm weitgehende Vollmachten zu übertragen.    •

Quelle: Bilan vom 9.11.2016

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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