von Heini Hofmann
Nach sieben Jahrzehnten gedachte die Welt der Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Kaum im Fokus standen dabei die mutigen Fluchthelfer. Unter ihnen gibt es bekannte Namen, aber auch solche, die vergessen gingen, wie zum Beispiel der Künstler und Menschenfreund Hans Beutler aus Büren an der Aare, der es nicht einmal zu einem Eintrag ins Schweizer Lexikon schaffte.
Gewisse Parallelen zu anderen Fluchthelfern und Judenrettern des Zweiten Weltkriegs, die ohne Rücksicht auf das eigene Leben und die eigene Laufbahn handelten, sind unverkennbar: Der 1938 seines Postens enthobene St. Galler Polizeikommandant Paul Grüninger, der über 3000 Flüchtlingen das Leben rettete und für diese Guttat noch verurteilt wurde, ist erst 1993 postum rehabilitiert worden. Im Anschluss daran benannte man in Jerusalem eine Strasse nach ihm, und in der Schweiz wurde seine tapfere Tat nun sogar verfilmt.
Ähnlich erging es Carl Lutz von der Ausserrhoder Gemeinde Walzenhausen. Der Diplomat hatte als Vizekonsul in Budapest die grösste Rettungsaktion von Juden geleitet und dabei viele Tausende gerettet, wurde aber bei seiner Rückkehr in die Schweiz von Bern gerügt. Immerhin ernannte ihn die Gemeinde vor seinem Tod dann noch zum Ehrenbürger; doch der Dank der Eidgenossenschaft erfolgte erst zwanzig Jahre nach seinem Tod und fünfzig Jahre nach Kriegsende.
Anders beim bernischen Künstler und Philanthropen Hans Beutler, der über 5000 Juden, meist Kinder, vor Verfolgung und Tod rettete. Er wurde zwar nicht bestraft dafür; denn er tat dies als Schweizer im Ausland. Doch im Gegensatz zu Paul Grüninger und Carl Lutz wurde er bis heute von der offiziellen Schweiz nie belobigt.
Erst ein Jahrzehnt nach seinem Tod erinnerte man sich lediglich in seiner Gemeinde, in der er geboren und verstorben ist, nochmals an diesen grossen Philanthropen. -Politiker und ein Vertreter des Roten Kreuzes sprachen Worte der Anerkennung. Doch dann blieb es wieder still um Hans Beutler, so still, dass 2013 sogar sein 100. Geburtstag und 2014 sein 20. Todestag vergessen gingen.
«Unter dem Bogen» in Büren an der Aare, direkt neben dem imposanten Schloss der Bezirksverwaltung, da wo sein Vater, verheiratet mit einer französischen Hugenottin, eine Velowerkstatt führte, erblickte Hans Beutler am 3. Mai 1913 das Licht der Welt. Seine Kindheit war von Krankheit überschattet. Ein Sanatoriumsaufenthalt drängte ihn in die Vereinsamung, wo er sich in Kinder- und Märchenbücher flüchtete.
Um ihn aus der Isolation zu holen, schickten ihn die Eltern zu den Pfadfindern, wo er aufblühte und später sogar eine Führungsrolle übernahm. In den Vorkriegsjahren leitete er das internationale Pfadizentrum in Kandersteg, und in der Pfadfinderbewegung schloss er, als v/o Mutti, viele Freundschaften, so unter anderem mit dem späteren Reiseschriftsteller René Gardi.
Der im Welschland erlernte Beruf als Grafiker weckte in ihm die Lust zu künstlerischem Schaffen als Zeichner und Maler. Stift, Tuschfeder, Pinsel und Linolschnittmesser waren seine Arbeitsinstrumente, die er mit ideensprudelnder Leichtigkeit führte. 1939 gelang ihm mit einer Kartenserie «600 Jahre Schlacht bei Laupen» der Durchbruch. Dem Ruf der Schweizerischen Nationalspende folgte er gerne, da deren Zielsetzung zur Linderung der Leiden des Krieges auch seiner Intention entsprach. Unvergessliche Sujets zur Soldatenweihnacht bis hin zur Gestaltung des Weihnachtsbriefes von General Guisan machten ihn landesweit bekannt.
Zeitlebens war der talentierte und vielseitige Künstler für verschiedene Verlage als Buch- und Zeitschriften-Illustrator tätig, und dies auch noch in den letzten, von schmerzhafter Krankheit überschatteten Jahren. Neben farb-intensiven Ölbildern und Aquarellen beeindrucken seine Feder- und Schabzeichnungen, welch letztere er mit alten Grammophonnadeln in überfärbtes Papier zauberte. Seine Bilder malte er auf alles, was ihm gerade zur Verfügung stand: auf Holzbretter, alte Kartons, ja sogar auf die Rückseite gebrauchter Couverts …
Doch in Hans Beutlers Brust wohnte noch eine zweite Seele – sein Helferwille. Dieser wurde durch das Kriegsgeschehen noch ausgeprägter und drängte ihn zu Taten. So übernahm er 1942 in Davesco im Tessin die Leitung eines Interniertenlagers für Jugendliche. Hier fiel sein pädagogisches Naturtalent auf. Dies wiederum bewog den damaligen Leiter des Kinderhilfswerks des Schweizerischen Roten Kreuzes, Rodolfo Olgiati, ihm die Leitung eines Kinderheims in Frankreich anzuvertrauen, womit er Rotkreuz-Delegierter wurde.
Seine Ankunft 1943 im Cevennendorf Le Chambon-sur-Lignon auf dem Plateau Central im Département Haute-Loire (Lignon ist der Name des ersten Zuflusses zur Loire) erfolgte während der deutschen Besetzung Frankreichs. Im einstigen Hugenottendorf wussten die Leute, was es heisst, verfolgt zu werden. So standen denn, dank aufopferndem Engagement von Hans Beutler, bald einmal ganze fünf Kinderheime, dazu Lehrwerkstätten und ein (geschenktes) Bauerngehöft von 57 Hektaren zur Verfügung, in denen französische, spanische, englische und belgische Kriegswaisen Unterschlupf fanden.
Mit Hilfe vieler einheimischer Flüchtlingshelfer sind im Verlauf des Kriegs in Le Chambon-sur-Lignon, das später zum Symbol der von der Schweiz aus geleisteten freiwilligen Hilfe für unschuldige Kriegsopfer wurde, über 5000 jüdische Kinder und Erwachsene versteckt und vor Verfolgung und Deportation gerettet worden. Leider gelang dies nicht in allen Fällen; so wurde Hans Beutler Zeuge einer grausamen Vernichtungsaktion in jener Gegend. Nach Kriegsende übernahm das Französische Rote Kreuz diese Kinderheime; auf die grosse Erfahrung des allen lieb gewordenen «Monsieur Bötleer» wollte man jedoch nicht verzichten.
Zurück in die Schweiz kam Hans Beutler erst 1956; doch er verblieb weiter im Dienst des Roten Kreuzes, für das er, ohne seine Person je in den Vordergrund zu stellen, manchen Impuls lieferte. So war er Mitbegründer des Schweizer Jugendrotkreuzes, und zum 100-Jahr-Jubiläum des Roten Kreuzes lancierte er die allerersten Autocars für Behinderte, finanziert – ganz nach seiner Auffassung von engagierter Hilfe – aus selbstverdienten Batzen Jugendlicher.
Nach dem gleichen Selbsthilfeprinzip re§alisierte er – als Gemeinschaftswerk des Jugendrotkreuzes und der Gewerbeschulen der ganzen Schweiz – mit der Casa Henry Dunant in Varazze an der italienischen Mittelmeerküste ein weiteres Vorzeigeprojekt: Lehrlinge und Gewerbeschüler verzauberten – in stolzen 60 000 Arbeitsstunden – verlotterte Gebäulichkeiten in ein florierendes Kurszentrum für Jugendliche. Erst die letzten Lebensjahre vor seinem Tod 1994 verbrachte Hans Beutler wieder in Büren an der Aare.
Sammeln war eine weitere, grosse Leidenschaft des «Monsieur Bötleer». Das wussten seine vielen Schützlinge aus der Zeit von Le Chambon-sur-Lignon, die inzwischen in aller Herren Ländern lebten und ihm aus Dankbarkeit von überall her die von ihm gesuchten Objekte zukommen liessen: Kinder- und Märchenbücher aus verschiedensten Sprach- und Kulturkreisen, kunstvoll verzierte Ostereier sowie Kinderspielzeuge – und vor allem Weihnachtskrippen vom ganzen Erdkreis.
Zum Glück fanden diese einzigartigen Sammlungen noch zu seinen Lebzeiten eine neue, in einer Stiftung zusammengefasste und der Öffentlichkeit zugängliche Bleibe im Krippen- und Spielzeugmuseum in Bubendorf/BL1. Zu diesem Schritt hatte sich Hans Beutler entschlossen, weil er sich im Städtchen Büren an der Aare zu wenig verstanden fühlte. So war es denn auch Bubendorf, das 2013 seines 100. Geburtstages mit einer Sonderausstellung gedachte.
Hocherfreut waren seine Freunde, als 1981 Hans Beutler den Kulturpreis der Stadt und Region Grenchen zugesprochen erhielt. In der Laudatio wurden sein «aussergewöhnliches Wirken im Dienste der Humanität» und seine «reiche Tätigkeit als Kunstmaler, Grafiker, Illustrator und Sammler wertvollen Kulturgutes» geehrt.
Der begnadete Künstler und grosse Menschenfreund mit seinem gewinnenden Naturell, einem Gemisch aus bernischer Behäbigkeit und französischer Weltoffenheit, hat sein Künstlertum restlos in den Dienst sozialer Helfertätigkeit gestellt. Sein Leben war in Stille gelebte Nächstenliebe.
Ein salomonischer Rat hatte ihn in jungen Jahren den entscheidenden Schritt tun lassen. «Stelle dir vor», sagte damals ein Pfadifreund zu ihm, «du wärest ein grosser Maler und stündest, einem Michelangelo gleich, in einem riesigen Saal hoch oben auf einem Gerüst, und unten in einer Ecke sei eine Tür, an die es klopft. Bist du ein grosser Maler, bleibst du auf dem Gerüst und malst weiter. Bist du aber ein Stümper, dann steigst du hinunter und öffnest die Tür.
Es könnte aber auch sein, dass du kein Stümper bist und trotzdem denkst, du solltest die Tür öffnen, weil jemand deine Hilfe braucht. Dann geh’ und öffne die Tür – denn dann kommst du in eine unerhörte Landschaft voll von Überraschungen und neuen Aufgaben, die du nicht gesucht hast, die dich aber weitertragen.» Hans Beutler ist hinuntergestiegen!
Unzählige verdanken ihm Gutes, viele sogar das Leben. Doch so bescheiden wie er selber war, so verkannt blieben seine guten Taten. Das Land selber liess ihm bis heute keine offizielle Ehrung zukommen, und das einzige, was in Büren an der Aare noch an ihn erinnert, ist ein bescheidener Gedenkhinweis «Unter dem Bogen», wo er geboren wurde. •
1 Krippen- und Spielzeugmuseum im alten Dorfschulhaus Bubendorf/BL: Alljährliche Krippenausstellung (Anfang November bis Mitte Januar, Eintritt gratis) mit Exponaten von Hans Beutler, -jeweils sonntags 14.00 bis 17.00 Uhr, Führungen auf Anfrage, <link http: www.museum-bubendorf.ch>www.museum-bubendorf.ch oder Tel.: 061 931 32 92.
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