Interview mit Prof. Dr. Rainer Schweizer, ehem. Ordinarius für Öffentliches Recht einschliesslich Europa- und Völkerrecht, Universität St. Gallen
Vorbemerkung: Den Fragen gehen Zitate aus den Erläuterungen des Bundesrates im Abstimmungsbüchlein voraus.
Abstimmungsbüchlein S. 10: «Die Annahme der Initiative würde zu einer Einschränkung der unternehmerischen Freiheit und der Wettbewerbsfähigkeit führen. Die bundesnahen Unternehmen dürften bei der Grundversorgung nicht nach Gewinn streben, was die Innovation und die Entwicklung hemmt. Das würde den Service public schwächen.»
Zeit-Fragen: Stimmt es, dass die Innovation und die Entwicklung von SBB, Post und Swisscom bei einem Ja zur Initiative eingeschränkt wären? Oder anders formuliert: Müssten sie ihre gesamten Erträge ausschliesslich für bessere Dienstleistungen, also für billigere Zugbillets und Päckli, mehr bediente Bahnschalter und die Wiedereröffnung der geschlossenen Postämter verwenden?
Prof. Rainer Schweizer: Es gibt verschiedene private und öffentliche Unternehmen, welche nach Gewinnen streben, aber aus bestimmten Gründen die Gewinne nicht ausschütten. Der Gesetzgeber, der den Verfassungstext umsetzt, kann sehr wohl festlegen, wie die Gewinne zu verwenden sind, nämlich zum einen zur Senkung der Preise für die Leistungen des Service public für die Landesbewohner, zum anderen aber notwendigerweise auch für die inhaltlichen, technischen und betrieblichen Innovationen und Entwicklungen. Dass zum Beispiel von der SBB vielfältige Angebote jetzt über Internet und iPhone nutzbar sind, ist im Sinne und konform mit dem Initiativtext. Dasselbe gilt für die grossen Investitionen, welche die Swisscom in den Netzausbau steckt. Die Initiative kann so umgesetzt werden, dass solche Bestrebungen nicht behindert, sondern durch die Konzentration der Mittel gefördert werden.
Abstimmungsbüchlein S. 7: Die Initiative fordert, «im Bereich der Grundversorgung keine fiskalischen Interessen zu verfolgen». Damit soll sichergestellt werden, «dass Gewinne der bundesnahen Unternehmen aus der Grundversorgung nicht in Form von Dividenden an den Bund ausgeschüttet werden».
Müssten also bei einem Ja zur Initiative die Aktiengesellschaften in andere Rechtsformen umgewandelt werden?
Das ist keineswegs notwendig; es genügen gewisse Anpassungen in den Bundesgesetzen und Verordnungen.
Abstimmungsbüchlein, S. 6/7: «Gemäss dem Initiativtext wäre die Quersubventionierung anderer Bereiche* untersagt. Ob die Quersubventionierung innerhalb des Bundes, innerhalb der bundesnahen Unternehmen oder von den Unternehmen zum Bund gemeint ist, geht aus dem Initiativtext nicht hervor.»
*Im Initiativtext steht «anderer Verwaltungsbereiche», was im Abstimmungsbüchlein eine Verfälschung des Initiativtextes darstellt.
Welche Quersubventionierungen will die Initiative verbieten?
Unzulässig sollen «Quersubventionierungen in andere Verwaltungsbereiche» mit anderen Zwecken sein, also zum Beispiel von der Post in Logistikbetriebe der Armee.
Abstimmungsbüchlein, S. 6: «Beim Service public sind Quersubventionierungen üblich. Indem weniger rentable Dienstleistungen über Erträge aus rentablen Dienstleistungen finanziert werden, erhalten alle die gleichen Leistungen zum gleichen Preis und in gleicher Qualität: So kostet ein A-Post-Brief an jeden Ort in der Schweiz gleich viel.»
Also hat der Bundesrat doch verstanden, welche Quersubventionierungen die Initiative erlauben will?
Der Bundesrat gibt mit dieser Erläuterung ein zutreffendes Beispiel für die erlaubte «Quersubventionierung» innerhalb der ganzen Palette von Postleistungen. Das Postgesetz schreibt im übrigen schon heute in Art. 19 vor, dass die Erträge, welche die Post aus den reservierten Dienstleistungen erwirtschaftet, nicht für Quersubventionierungen für Leistungen ausserhalb der Grundversorgung verwendet werden dürfen.
Abstimmungsbüchlein, S. 10: «Die bundesnahen Unternehmen hätten zudem bei einer Annahme der Initiative strengere Rechnungslegungspflichten einzuhalten. Sie müssten in ihrer Buchhaltung die Grundversorgungsleistungen von den übrigen Leistungen abgrenzen.»
Wäre eine solche Abgrenzung im Sinne der Transparenz nicht ohnehin wünschenswert?
Solche Angaben in den Rechnungen wären sehr sinnvoll. So haben die Poststellen heute einen Gemischtwarenverkauf, dessen Rentabilität zu kennen lohnend wäre.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Schweizer. •
(Interview Marianne Wüthrich)
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