Regional produzieren, was regional produziert werden kann

Regional produzieren, was regional produziert werden kann

Eidgenössische Volksabstimmung vom 24. September 2017

Pressekonferenz zu Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität in Bern

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Am 7. September 2017 haben die Allianz für Ernährungssouveränität und Uniterre zu einer gemeinsamen Pressekonferenz in Bern eingeladen. Themen waren die kommende Volksabstimmung und die Information zu ihrer eigenen Volksinitiative «für Ernährungssouveränität», die schätzungsweise Ende 2018 zur Abstimmung kommen wird.

Die Vollversammlung von Uniterre hatte bereits vor einigen Wochen Stimmfreigabe zur Vorlage vom 24. September beschlossen, um die Bauern nicht zu spalten und in der Hoffnung auf spätere Unterstützung durch den Schweizerischen Bauernverband (SBV) bei ihrer eigenen Abstimmungskampagne. Die Allianz für Ernährungssouveränität dagegen hat an ihrer Generalversammlung vom 23. August 2017 deutlich nein gesagt zur Abstimmungsvorlage «Ernährungssicherheit» (die diesem Namen in keiner Weise gerecht wird).1 

An der Pressekonferenz referierten Pierre-André Tombez, Präsident der Allianz für Ernährungssouveränität, und Rudi Berli, Sekretär Uniterre. Trotz – oder gerade wegen? – der Abwesenheit der grossen Medienhäuser entstand anschliessend eine lebhafte und inhaltsreiche Diskussion, in der sich nach gut eidgenössischer Art jeder in seiner Sprache (französisch oder schweizerdeutsch) äusserte.

Einige wichtige Ergebnisse aus den Referaten und der Diskussion sollen hier wiedergegeben werden.

«Mehr Markt mit gleichzeitig mehr Nachhaltigkeit ist nicht möglich»

Pierre-André Tombez kritisierte als erstes Absatz c) der Abstimmungsvorlage «Ernährungssicherheit», der «eine auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft» fordert. Am Beispiel der Zuckerrüben, welche in der Schweiz seit langem produziert und verarbeitet werden, die aber zunehmend mit der billigen Konkurrenz aus dem Ausland zu kämpfen haben, zeigte der Referent die verheerende Wirkung der einseitigen Ausrichtung auf den Markt anhand einer neueren Äusserung des Bundesrates auf: «Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ist die Zuckerwirtschaft gefordert, vom Zuckerrübenanbau über den Transport bis zur Verarbeitung die durchschnittlichen Kosten je produzierte Einheit zu reduzieren.»2 Dazu Pierre-André Tombez: «Der Bundesrat hat eindeutig gewählt, welchen Markt er bevorzugt, nämlich denjenigen der Wettbewerbsfähigkeit, des Liberalismus bis zum Gehtnichtmehr.»

Als zweiten Kritikpunkt an der Abstimmungsvorlage vom 24. September (der an den ersten nahtlos anschliesst) nennt Pierre-André Tombez die «grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen, die zur nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft beitragen» sollen (Absatz d der Abstimmungsvorlage) und fügt die Interpretation des Bundesrates bei, wonach «eine massvolle und schrittweise Öffnung des schweizerischen Lebensmittelmarkts für Importe» der Exportindustrie nützen würde und «Wohlfahrtsgewinne für die gesamte Volkswirtschaft» mit sich brächte.

«Wie ist es möglich, einen ‹Beitrag zur nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft› so zu interpretieren?» fragte der Referent. Wo doch der steigende Preisdruck «zu immer verrückteren Auswüchsen führt: Der Skandal mit den kontaminierten Eiern ist uns noch frisch in Erinnerung. Wenn jedes Glied in der Produktionskette die Kosten noch stärker senken muss, wird sich die Tendenz zu Skaleneffekten verstärken, das heisst Produktions- und Rentabilitätsmaximierung, was wiederum eine Intensivierung der Produktionsmethoden nach sich zieht: mehr Betriebsstoffe für Kulturen, kleinere Flächen für Tiere … wie kürzlich in gewissen Schweineställen gesehen … Konsumentinnen und Konsumenten sind über solche Auswüchse empört! […] Wenn wir diesen Weg weitergehen, werden die Schweizer Landwirtschaft und ihre Bäuerinnen und Bauern geopfert. Heute verschwinden 2 bis 3 Bauernhöfe pro Tag. In der Milchproduktion sind innert 20 Jahren 20 000 Bauernhöfe verschwunden (von 40 000 auf 20 000)!»

Wir brauchen eine Marktgestaltung, welche es den Bäuerinnen und Bauern erlaubt, von ihrer Produktion zu leben

«Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass unsere Nahrung aus einer bäuerlichen Landwirtschaft kommen muss, welche regional produziert, was regional produziert werden kann. Das ist die Grundlage der Ernährungssicherheit und -souveränität, und dies ist auch die Empfehlung des Weltagrar-berichts.» Mit diesen bedeutsamen Worten leitet Rudi Berli, Sekretär der Uniterre, sein Referat ein. Er prangert die Politik – nicht nur in der Schweiz – an, weil sie es zulässt, dass der Markt mehr und mehr unter die Kontrolle der Nahrungsmittelkonzerne und der Gross-verteiler gerät, so dass die Preise fortlaufend einbrechen. Gleichzeitig plane der Bundesrat, die Direktzahlungen für die Landwirte weiter zu senken. Deshalb seien die Bauern gezwungen, Arbeitsplätze abzubauen und vieles zu importieren, was im Ausland billiger sei, zum Beispiel Futtermittel.

Rudi Berli kommt zum Schluss, dass auf diese Weise Ernährungssicherheit und -souveränität gar nicht möglich ist: «Ernährungs-sicherheit und Souveränität bedeutet Vorrang für kurze Kreisläufe, transparente, regionale Produktion und Verarbeitung sowie Verteiler, welche dem Ernährungssystem kein Diktat aufdrücken, sondern die Rolle eines Verbindungsgliedes zwischen Stadt und Land, zwischen Bäuerinnen, Bauern, Konsumentinnen und Konsumenten wahrnehmen.»

Engagierte Zuhörer tragen Ziele der Initiative für Ernährungssouveränität mit

In der Diskussion kam zum Ausdruck, dass die «Ernährungssicherheitsvorlage» am 24. September an der Urne auch viele Nein-Stimmen erhalten wird. Ebenso gross war die Unterstützung der anwesenden Medienvertreter und anderer Bürgerinnen und Bürger für die Ende 2018 zur Abstimmung kommende «Volksinitiative für Ernährungssouveränität. Landwirtschaft betrifft uns alle». Eine Teilnehmerin stellte die Frage nach einem längerfristigen gemeinsamen Vorgehen: «Am Tag nach der Abstimmung über den Gegenentwurf zur Ernährungssicherheit, am 25. September, wird die Fair-Food-Initiative [die ähnliche Ziele verfolgt wie die Initiative für Ernährungssouveränität; mw.] im Nationalrat diskutiert. Der Bundesrat und die Kommissionsmehrheit empfehlen sie zur Ablehnung. Eine Kommissionsminderheit bringt einen Gegenvorschlag, der – wie der Gegenvorschlag zur Ernährungssicherheit – alle Hindernisse für Agrarfreihandelsabkommen streichen will und Tür und Tor öffnen würde für den Import von Billignahrung und GenTech-Produkten. Wie können wir uns am besten zusammentun, um diesen Tendenzen entgegentreten?»

Die Antwort von Pierre-André Tombez war kurz und klar: «Ende 2018 wird über unsere eigene Initiative für Ernährungssouveränität abgestimmt. Hier müssen wir unsere Kraft einsetzen und viele Leute dafür gewinnen.» Sein Mitreferent Rudi Berli fügte hinzu: «Wir sind der Ansicht, dass alle drei Initiativen sich ergänzen und komplementär sind. Wir haben im Vorfeld der Lancierung Anstrengungen unternommen, um aus allen drei Initiativen eine einzige zu machen. Uns stört es aber nicht, dass wir nun dreimal die Gelegenheit haben, zu diskutieren. Aber schliesslich muss das Resultat zu einer Stärkung der lokalen Produktion führen, denn das ist das Ernährungssystem der Zukunft. Und die Fair-Food-Initiative gehört sicher dazu. […]»

Zum Schluss riefen die Referenten dazu auf, zur breiten Unterstützung ihrer Initiative beizutragen. Uniterre und die Allianz für Ernährungssouveränität sind zwei kleine Organisationen, die politisch neutral sind und keine Vertreter im Parlament haben, die sich für ihre Sache einsetzen. Dafür haben sie, so Pierre-André Tombez, eine klare Vision in bezug auf die notwendige Entwicklung und Strategie für die Ernährungspolitik. Er fügte bei:

«Und dass sich heute schon einige Journalisten für unsere Initiative interessieren, auch aus der Deutschschweiz, ist eine gute Antwort. Wenn es noch mehr solche Journalisten gibt, wird es noch einfacher sein, miteinander zu «chäärä» [streiten]. Wir haben noch viel zu tun für unsere Sache, in der Deutschschweiz und in der Romandie.»                                                                •

1  vgl. Zeit-Fragen Nr. 19 vom 2.8.2017 und Nr. 21 vom 29.8.2017

2  Massnahmen gegen eine Deindustrialisierung in der Lebensmittelbranche. Bericht des Bundesrates vom 30.8.2017, S. 16

Selbstversorgung mit Schweizer Zucker in Gefahr

mw. Zuckerrüben werden in der Schweiz seit langer Zeit produziert. Die erste Zuckerrübenfabrik wurde 1899 in Aarberg gegründet, die zweite 1950 in Frauenfeld. Beide wurden später zusammengelegt zur Schweizer Zucker AG. Heute stammen 90 Prozent unseres Zuckers aus Zuckerrüben. (Das bedeutet fast volle Selbstversorgung!) Auch der Bundesrat betonte in seinem Bericht vom 30. August 2017 die grosse Bedeutung des Schweizer Zuckers sowie der verarbeitenden Industrie (zum Beispiel Hersteller von Schokolade): «Die zuckerverarbeitende Industrie ist für die Schweiz volkswirtschaftlich relevant. Sie schafft zahlreiche Arbeitsplätze, stellt weltweit bekannte Produkte her und übernimmt 85 % des Schweizer Zuckers. Exporte von Zucker erfolgen praktisch ausschliesslich in Form von Verarbeitungserzeugnissen. Voraussetzung für den Erfolg dieser Industrie sind wettbewerbsfähige Preise bei den Rohstoffen, insbesondere beim Zucker.»1 Im Widerspruch zu dieser Würdigung stellt der Bundesrat die oben genannte unrealistische Forderung an Produzenten und Verarbeiter, «ihre Kosten zu senken».

Tatsache ist: Noch vor wenigen Jahren produzierten über 5800 Bauern mehr als 300 000 Tonnen Schweizer Zucker. (Quelle: Schweizerische Fachstelle für Zuckerrüben SFZ. www.zuckerruebe.ch)

2016 waren es laut einem Bericht des Schweizer Fernsehens SRF – nicht nur wegen des schlechten Wetters – nur noch 200 000 Tonnen. Dazu Josef Meyer, Präsident des Schweizerischen Verbandes der Zuckerrübenpflanzer: «Vor einem Jahr war der Weltmarktpreis sehr tief, und dieser tiefe Preis hat natürlich auch auf unseren Zuckerpreis negative Auswirkungen gehabt. Und ein schlechter Zuckerpreis ergibt einen schlechten Rübenpreis.» Der einheimische Anteil wird weiter sinken, weil die EU ihre Zuckerrübenproduktion erhöhen will: «Die EU will künftig 20 % ihrer Produktion exportieren, was den Preis drückt.» (SRF vom 27.12.2016)

* * *

Wie Pierre-André Tombez richtig festgestellt hat: Mehr Markt mit gleichzeitig mehr Nachhaltigkeit ist eben nicht möglich – ausser wir geben unsere Selbstversorgung mit Zucker auf. Aber das wollen höchstens die Brüsseler Zentrale, die EU- (und gewisse inländische) Grosskonzerne und eine Anzahl von Schweizer Politikern und Bundesämtern – die grosse Mehrheit von uns Bürgerinnen und Bürgern sicher nicht.

1   Massnahmen gegen eine Deindustrialisierung in der Lebensmittelbranche. Bericht des Bundes-rates vom 30.8.2017, S. 13

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