von Karl Müller
Macht und Herrschaft werden seit jeher gerechtfertigt. In Europa war es jahrhundertelang die Berufung auf Gottes Willen und Gottesgnadentum, die Macht und Herrschaft von Adel, Königen und Kaisern zu legitimieren versuchte. Die europäische Aufklärung hat dies zu verändern versucht, war aber nur bedingt erfolgreich, denn Alleinherrscher seit dem späten 18. Jahrhundert haben die Vokabeln der Aufklärung benutzt und ganz in ihrem Sinne umgedeutet, um bei der Alleinherrschaft bleiben zu können.
Hinzu kam die Rechtfertigung durch die Geschichtsschreibung: Macht- und Herrschaftsverhältnisse wurden als «alternativlose» Ergebnisse «geschichtlicher Lehren» dargestellt, in Europa und Deutschland zum Beispiel als «Lehren aus zwei Weltkriegen und der nationalsozialistischen Diktatur». Dass dabei Geschichtsklitterung, also die Zurechtlegung der Geschichte nach handfesten Interessen, passierte und passiert und es nicht mehr oder nur bedingt um geschichtliche Wahrheit ging und geht, ist die andere Seite; denn unliebsame Tatschen, die den eigenen Macht- und Herrschaftsanspruch in Frage stellen könnten, waren und sind nicht gefragt.
Die Rechtfertigungen für Macht- und Herrschaftsansprüche müssen an die Öffentlichkeit transportiert werden; dem dienen die Instrumente von Kulturbetrieb und Medien. Und es bedarf einer gewissen «Gesinnungsgemeinschaft» und «Gleichschaltung»; denn wenn es wirkliche Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit gibt, ist die Gefahr, dass Macht- und Herrschaftsansprüche in Frage gestellt werden, doch allzu gross.
Für ein Land wie Deutschland, das unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg unter die Fremdherrschaft der Siegermächte geriet, gibt es interessante Zeugnisse hierfür, zum Beispiel eine Direktive des Alliierten Kontrollrates vom 12. Oktober 1946 über die Grenzen der Pressefreiheit. Die Presse wurde verpflichtet, keine Artikel zu veröffentlichen, die «Gerüchte verbreiten, die zum Ziel haben, die Einheit der Alliierten zu untergraben oder welche Misstrauen oder Feindschaft des deutschen Volkes gegen eine der Besatzungsmächte hervorrufen; Kritiken enthalten, welche gegen Entscheidungen der Konferenzen der Alliierten Mächte bezüglich Deutschlands oder gegen Entscheidungen des Kontrollrates gerichtet sind; die Deutschen zur Auflehnung gegen demokratische Massnahmen, die die Zonenbefehlshaber in ihren Zonen treffen, aufreizen».
Von besonderem Interesse ist die Formulierung des letzten Punktes, die wegweisend für die offizielle Sprachregelung der kommenden Jahrzehnte wurde. Da ist von «demokratischen Massnahmen» der Zonenbefehlshaber die Rede, obwohl diese Befehlshaber von keinem Deutschen gewählt waren und es auch keine Volksentscheide über diese Massnahmen gegeben hat.
Aber die deutsche Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg hatte verschiedene Seiten. Es gab auch Persönlichkeiten mit Einfluss, die ernsthaft der Meinung waren, dass die Zeit der Alleinherrschaft und Machtballung vorbei sein sollte und statt dessen die Rechte der Bürger und Menschen im Zentrum der politischen Ordnung stehen sollten – aber nicht mehr nur zum Schein und zur Rechtfertigung von Macht und Herrschaft, sondern tatsächlich. Dies hing nicht zuletzt zusammen mit einer «Naturrechtsrenaissance in Deutschland nach 1945» – so der etwas verkürzte Titel einer Abhandlung von Arndt Künnecke in der Fachzeitschrift Annales aus dem Jahr 2013. Die Ideen dieser Persönlichkeiten haben sich in zahlreichen Formulierungen des westdeutschen Grundgesetzes von 1949 – insbesondere in den Artikeln 1 bis 20 – bemerkbar gemacht und damit Grundlagen geschaffen, auch heute noch Macht- und Herrschaftsansprüche auf der Grundlage gesetzten Rechts in Frage zu stellen.
Zu diesen Grundrechten gehört das Recht auf Meinungsfreiheit in Artikel 5 Grundgesetz. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat in mehr als sechzigjähriger Rechtsprechung immer wieder zu diesem Grundrecht geurteilt und dessen Gehalt definiert, wegweisend 1958 im sogenannten Lüth-Urteil. Dort heisst es: «Das Grundrecht auf freie Meinungsäusserung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt […]. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist […]. Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt […].»
Wenn man diese Formulierung betrachtet, dann wird deutlich, dass zur Meinungsfreiheit die Meinungsvielfalt gehört und dass erst diese Vielfalt überhaupt ermöglicht, was das Gericht als «ständige geistige Auseinandersetzung» bezeichnet. «Wahrheit» im konkreten politischen Leben kann weder deduziert noch dekretiert werden. Erst auf der Grundlage eines breiten, gleichberechtigten, offenen und ehrlichen Austausches und Dialogs verschiedener Meinungen im Rahmen eines Konsenses in grundlegenden ethischen Fragen kann so etwas wie politische «Wahrheit» resultieren.
Gar nicht passt diese Formulierung hingegen zu einer Politik der «Alternativlosigkeit», wie sie Deutschland spätestens seit der Kanzlerschaft von Angela Merkel erduldet … und dass der Widerstand hiergegen im Land und ausserhalb des Landes in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat, ist nur folgerichtig. Er ist ein Zeichen dafür, dass die Rechte der Bürger und Menschen noch nicht in Vergessenheit geraten sind. Dass viele Bürger dabei nicht mehr auf die Medien setzen, die immer mehr zum Transportinstrument der Macht- und Herrschaftsrechtfertigung geworden sind, ist nachvollziehbar und auch gut so. Andere Medien haben demgegenüber an Bedeutung gewonnen.
Es gibt Kritik an der heutigen Medienlandschaft, und viele der Kritikpunkte sind nachvollziehbar. Auch das, was die Medien tun, ist Gegenstand der Meinungsfreiheit und der Meinungsvielfalt – und auch das ist gut so. Es gibt Medien, die das Grundrecht der Meinungsfreiheit missbrauchen. Aber die Grenzen der Meinungsfreiheit wurden gesetzt: Diese liegen laut Artikel 5 Grundgesetz in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und im Recht der persönlichen Ehre. Aber selbst hier hat das Bundesverfassungsgericht einen sehr weiten Rahmen gesteckt. Hinzu kommt die Pflicht, bei der Meinungsfreiheit die allgemeinen Gesetze zu achten, wobei das Bundesverfassungsgericht im schon erwähnten Entscheid aus dem Jahr 1958 dargelegt hat, dass und warum mögliche Beschränkungen der Meinungsfreiheit durch allgemeine Gesetze immer im Lichte der hohen Bedeutung der Meinungsfreiheit zu beurteilen sind.
Wer all dies beachtet, muss im höchsten Masse alarmiert sein, dass nun der deutsche Staat selbst die Meinungsfreiheit einschränken will und dessen Vertreter dazu schon ganz konkret von Gesetzesvorhaben sprechen. «Ein geplantes Gesetz soll das Verbreiten von Falschmeldungen verbieten. Doch das Gesetz dient eher dem Aufrechterhalten von Machtstrukturen», schreibt die Internetseite der deutschen Wochenzeitung Freitag am 26. Dezember 2016. Und die deutsche Wochenzeitung Junge Freiheit schreibt am 27. Dezember 2016: «Die Vorstellung, die Öffentlichkeit vor ‹Destabilisierung› durch ‹fake news› schützen zu müssen, ist anmassend, obrigkeitsstaatlich, autoritär. Bürger können Unsinn und Aberwitz auch ohne Gouvernante erkennen, freie Meinungsbildung und demokratischer Diskurs sind dadurch nicht in Gefahr. Wo Persönlichkeiten verletzt werden, reichen die bestehenden Gesetze aus.» Viele Stimmen gehen in eine ähnliche Richtung – und auch das ist gut so. Selbst der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes erklärte am 23. Dezember 2016 in einer Pressemitteilung, es sei zwar «unbestritten, dass der öffentliche Diskurs nicht dauerhaft durch ‹fake news› Schaden nehmen darf. Aber es darf doch nicht eine Behörde darüber entscheiden, was wahr ist und was nicht». Es riecht doch zu stark nach einem «Wahrheitsministerium».
Die Erklärung für die staatlichen Versuche, die Meinungsfreiheit einzuschränken, ist nicht schwierig. Die derzeitigen höchsten Repräsentanten des Staates, also unsere Politiker, sind in Aufregung, dass ihre Rechtfertigungsversuche für ihren Macht- und Herrschaftsanspruch nicht mehr funktionieren.
Dazu passend sagte der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann am 26. Dezember 2016 im Deutschlandfunk: «In der Politik gab es immer schon Phänomene der Demagogie, der Propaganda, der Versprechungen, der Wahlversprechen, die dann natürlich nicht eingehalten werden konnten, weil Politik natürlich auch sehr viel mit Strategie, mit Machterhalt, mit Taktik zu tun hat. Schon bei Machiavelli können Sie nachlesen, dass, wenn es um den Machterhalt geht, natürlich der Fürst, der Herrscher, die Lizenz hat zu lügen. Selbstverständlich! Das heisst, das ist ein uraltes Phänomen.»
Dass unter solchen Umständen ein deutsches «Abwehrzentrum gegen Desinformation» gebildet werden soll, wäre zu begrüssen. Nur, es sind die Böcke selbst, die zum Gärtner gemacht werden wollen: Der Bundesinnenminister will dieses «Zentrum» als «Bündelungseinheit» beim Bundespresseamt im Kanzleramt einrichten. Und in einem Vermerk für den Minister soll es laut Spiegel online vom 23. Dezember 2016 heissen: «Mit Blick auf die Bundestagswahl sollte sehr schnell gehandelt werden.» Da bleibt keine Frage offen!
Schon 1783, also 6 Jahre vor der Französischen Revolution, beantwortete Immanuel Kant die Frage «Was ist Aufklärung?» mit einem Votum gegen die Gewalt. Hier ist zu lesen: «Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern neue Vorurteile werden, eben sowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen Haufens dienen. Zu dieser Aufklärung aber wird nichts gefordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heissen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.»
Wir müssen damit rechnen, dass im Jahr 2017 Polarisierungen durch Provokationen gezielt zunehmen werden. Direkte Konfrontation mit der Staatsmacht ist keine Lösung. Klug und weitsichtig ist es hingegen, vernünftig für die Meinungsfreiheit zu werben. Die Argumente dafür sind gut. Und der heutige deutsche Bürger möchte dahinter auch nicht mehr zurück. Auch hier gilt: dem Mitbürger ehrlich begegnen und sich gleichwertig zusammentun, entschlossen und klar in der Sache … und menschlich im Umgang. •
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