«Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung»

«Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung»

Ein Buch von Hannes Hofbauer

von Jochen Scholz*

Als hätte es eines schlagenden Beweises bedurft, dass Hannes Hofbauers Buch zur rechten Zeit erschienen ist, hat das Europäische Parlament mit einer Mehrheit von 304 Stimmen gegen 179, bei 208 Enthaltungen eine – nichtbindende – Resolution angenommen mit dem Titel «Strategische Kommunikation der EU, um gegen sie gerichteter Propaganda von Dritten entgegenzuwirken»1. Das klingt vordergründig defensiv. Tatsächlich geht es um die Unterstützung der «Task-Force für die strategische Kommunikation der EU» und deren «Disinformation Digest»2, und damit um die Deutungshoheit über das internationale politische Geschehen.

Die Resolution «fordert die Mitgliedsstaaten auf, ihren Bürgern die beiden Newsletter der Task-Force für strategische Kommunikation der EU, ‹The Disinformation Digest› und ‹The Disinformation Review›, bereitzustellen, um die breite Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, welche Propagandamethoden Dritte einsetzen».

Russland im Visier

Dabei wird primär Russland ins Visier genommen, wie aus dem «Disinformation Digest» des Europäischen Diplomatischen Dienstes zu entnehmen ist. Das hat natürlich Gründe. Sie hängen mit der immer weiteren Verbreitung des elf Jahre alten Auslands-Fernsehsenders Russia Today (RT) und seiner zunehmenden Akzeptanz zusammen, die er in den Staaten des «Westens» geniesst. Politik und einheimische Medien sehen sich daher zunehmend einer Situation gegenüber, in der ihnen die Deutungshoheit über die zwischen Russ­land und den EU-/Nato-Staaten strittigen Fragen der internationalen Politik entgleitet. Dazu tragen die hohe Professionalität der für die RT-Gruppe arbeitenden Journalisten und der flotte mediale Auftritt bei, aber auch die Übermittlung von Informationen, die in westlichen Medien ausgeklammert werden. Dass die Resolution die russischen Medien in einen Topf wirft mit der von islamistischen Terrororganisationen wie dem sogenannten «Islamischen Staat» verbreiteten Propaganda und deren Videos über Enthauptungen und die russischen Medien damit auf eine Stufe mit Massenmördern stellt, kann man nur noch als bizarr bezeichnen. Derart indoktriniert sind die Bürger der EU nun doch noch nicht, als dass sie dies nicht erkennen würden, zumal das in den gängigen Medien geschürte Feindbild Russland allen Umfragen zufolge bisher keineswegs die erhoffte Wirkung gezeigt hat.

«Feindschaft erzeugt Feindbilder»

Hannes Hofbauer hat einen Satz formuliert, der dem Leser in seiner schlichten Klarheit den Zusammenhang zwischen politischer Lage und Russophobie verständlich macht: «Feindschaft erzeugt Feindbilder» (S. 13). Dies bezieht er nicht nur auf die aktuelle Situation, vielmehr geht sein Blick zurück in das 15. Jahrhundert, wo er die Quelle des «Russland und die Russen diffamierenden Bildes» verortet, das Bild des «asiatischen und barbarischen» Russlands, das seither in vielerlei Varianten als ein stets wiederkehrendes Stereotyp von Feindbild-Erzeugern benutzt wird. Dass die römisch-katholische Kirche hieran ein gerüttelt Mass an Mitschuld trägt, arbeitet der Autor unter Hinweis auf das Schisma von 1054 heraus. Die oströmische Kirche, und damit auch die russisch-orthodoxe, galt seitdem nicht mehr als christliche Gemeinschaft, sondern als «Horte der Abtrünnigen». Die Universität Krakau war im 16. Jahrhundert die in Europa führende Bildungseinrichtung. Ihr einflussreicher Rektor Johannes Sacranus bezeichnete die Russen im Jahr 1500 als «ein Ketzervolk mit Verbindungen zu den Türken».

Die Rolle Polens

Das Selbstverständnis des damaligen Königreichs Polen als Verteidiger der «Vormauer der Christenheit» wirkt offensichtlich bis auf den heutigen Tag in säkularer Form nach, wenn in den westlichen Medien das russische Gesellschafts- und Politikmodell kritisiert wird, wie wir dies in den vergangenen Jahren erlebt haben. Im modernen Polen werden diese historischen Wurzeln mit Blick auf die Beziehungen der polnischen Regierungen zur Russischen Föderation seit der Ära Walensa besonders sichtbar. Hofbauer verdeutlicht auf plausible Weise, dass der prägende Einfluss der Krakauer Universität auf die – heute würden wir sagen – europäischen Intellektuellen der damaligen Zeit das Myzel bildete, aus dem sich bis heute auch in Westeuropa das Bild Russlands als «asiatisch» in der Bedeutung «barbarisch» speist.
Allerdings entstand das negative Russ­landbild in den damaligen geistesgeschichtlichen Auseinandersetzungen nicht unabhängig von den machtpolitischen Interessen der polnisch-litauischen Union gegenüber dem Moskauer Fürstentum. Vielmehr lieferten die gelehrten Professoren den ideologischen propagandistischen Verstärker. Das kommt dem heutigen Beobachter der Beziehungen von EU und Nato zum Russland von Präsident Putin beim täglichen Blick in die führenden Tages- und Wochenzeitungen nicht unbekannt vor. Denn über die Jahrhunderte hinweg ist das Muster stets dasselbe geblieben, worauf im Buch anhand der Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen besonders des 19. und 20. Jahrhunderts so eingegangen wird, dass vor den Augen des Lesers zugleich, quasi im Zeitraffer, ein historischer Überblick über die wesentlichen Ereignisse in den beiden Perioden einschliesslich der strategischen Absichten und Motive der Akteure entsteht.
Letzteres ist auch hilfreich, um den Blick des Lesers auf die aktuellen Konflikte in Syrien, der Ukraine, Libyen, im Kaukasus und im Chinesischen Meer über die punktuelle, tagespolitische hinaus auf eine globale geopolitische Perspektive zu richten, die vom relativen Niedergang der USA und parallel dazu aufstrebenden Staaten wie China gekennzeichnet ist.

Die Gier nach den Rohstoffen Russlands

Hannes Hofbauer ist Wirtschaftshistoriker. Insofern richtet er seinen Blick intensiv auf den Zusammenhang zwischen einem negativ bis russophobisch gezeichneten Bild des Landes mit den riesigen Rohstoffvorkommen und den wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen des Westens, besonders der Vereinigten Staaten. Hier zeigt sich in diesem und am Ende des vergangenen Jahrhunderts der Rückgriff auf ein historisches Muster. Denn in Zeiten, zu denen russische und westeuropäische Interessen harmonierten, wie dies zeitweilig im 19. Jahrhundert zwischen Preussen/Deutschem Reich/Habsburg und dem Zarenreich der Fall war, transportierten nur die «Heroen der deutschen Geistesgeschichte» ein Bild von Russland als «dem Bösen schlechthin». Die Herrscherhäuser hingegen sahen im Zaren den Verbündeten gegen die demokratischen Umtriebe.

Die Rolle der westlichen Intellektuellen

Der über Generationen hinweg transportierte unterschwellige Russenhass der liberalen westeuropäischen Intellektuellen kann von den politischen Eliten jederzeit aktiviert werden, wie im Vorfeld des Ersten Weltkrieges geschehen. Daran hat sich bis heute wenig geändert, wie der Verfasser mit Blick auf die Geschichte der Beziehungen des Westens zu Russland nach dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung der Sowjetunion zeigt.

Schockstrategie in den neunziger Jahren

Das Präsidialsystem Russlands unter Jelzin erfüllte brav die Überführung der einstigen sowjetischen Planwirtschaft in eine kapitalistische Marktwirtschaft anhand der von IWF und den amerikanischen Ökonomen Jeffrey Sachs und David Lipton empfohlenen Rezepte des «Washington Consensus»3, die einer Schocktherapie gleichkamen. Weite Teile der russischen Bevölkerung fanden sich in bitterer Armut wieder, die Lebenserwartung der Menschen sank rapide, clevere Ex-Komsomolzen brachten die ehemaligen Staatskombinate unter ihre Kontrolle und verhalfen westlichen Öl- und Gasfirmen zu Mehrheitsbeteiligungen an den einst staatlichen Energie­konzernen. Gleichzeitig hatte der geschwächte russische Staat der beginnenden Ost-Erweiterung der Nato nichts entgegenzusetzen, obwohl dies ein glatter Bruch der Versprechungen war, die US-Aussenminister James Baker Gorbatschow 1990 gegeben hatte.4
Die damalige westliche Berichterstattung und Kommentierung über die russische Föderation war allenfalls leicht herablassend, doch ganz selten so verletzend und unter die Gürtellinie zielend, wie dies heute der Fall ist. Denn weder widersetzte sich das Russland Jelzins der beginnenden Ost-Erweiterung der Nato, noch konnte das geschwächte Land den Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Jahr 1999 verhindern. Es schien auch nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die von Jeffrey Sachs & Co. an den Schaltstellen in Wirtschaft und Politik installierten Neoliberalen Russland in den westlichen Orbit eingliedern würden. Insofern bestand kein Grund, die westliche Öffentlichkeit gegen ein künftiges Klubmitglied einzunehmen.

Wiederauferstehung der «Herzlandtheorie»

Mit Amtsantritt des bis dahin weithin unbekannten Präsidenten Wladimir Putin sollte sich dies rasch ändern. In einer seiner ersten grossen aussenpolitischen Reden, am 25. September 2001 im Deutschen Bundestag5, machte er der EU das Angebot, ihre eigenen Möglichkeiten «mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotentialen Russlands» zu vereinigen. Mit der griffigen Formel eines «gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok»6 wiederholte Putin dieses Angebot danach mehrfach und bot damit den strategischen Vorstellungen der USA in Europa Schach, die auf der Herzlandtheorie7 Halford Mackinders fussen und im Jahr 2000 Thema einer Konferenz des US-Aussenministeriums in Bratislava waren.8 Was hier den hochrangigen osteuropäischen Politikern Ende April 2000 vorgetragen wurde, war das Konzentrat einer im republikanischen «American Enterprise Institute» angesiedelten Arbeitsgruppe mit dem Namen «Project for the New American Century», die dann im September desselben Jahres ihr wichtigstes Papier «Rebuilding America’s Defenses»9 veröffentlichte, an dem die führenden Neokonservativen seit Jahren gearbeitet hatten.

Präsident Putin leistet Widerstand

Die von Präsident Putin bereits in der ersten Amtszeit vorgenommene politische, wirtschaftliche und soziale10 Stabilisierung der Russischen Föderation sowie die Rückgewinnung der Kontrolle über strategisch wichtige Unternehmen in Verbindung mit seiner Vision von der Zusammenarbeit einer künftigen Eurasischen Wirtschaftsunion mit der EU führte zur ersten grossen Welle antirussischer Propaganda in Politik und Medien des Westens. Dessen Führungsmacht bediente sich dabei der ausgewiesenen Atlantiker in der EU, wie das Beispiel der 115 «besorgten» Politiker und Intellektuellen zeigt, die sich in einem Offenen Brief an die westlichen Staats- und Regierungschefs wandten, der an Heuchelei nicht zu überbieten ist.11

Mittlerweile: Hysterische Hetze gegen Russland

Hofbauer stellt den Zusammenhang zwischen ständig weiter dahinschwindenden Hoffnungen der USA und ihrer europäischen «tributpflichtigen Vasallen» (Brzezinski, «The Grand Chessboard»), Russland in die westliche, trans­atlantische Sphäre einbinden zu können, und der sich teilweise bis zur Hysterie steigernden Hetze gegen Russland, besonders auch ad personam Putin, im letzten Kapitel des Buches in konzentrierter Form anhand konkreter Ereignisse (Georgien, Ukraine) der vergangenen zehn Jahre dar.
Demselben Muster folgen übrigens Berichterstattung und Kommentierung sowie Anschuldigungen der Politik beim Thema Syrien, deren zunehmende Schärfe mit den schwindenden Hoffnungen des Westens auf einen Regime change korreliert. Und damit schliesst sich für den Leser der Kreis, an dessen Beginn das 15. Jahrhundert steht: Wenn die westlichen Eliten Russland nicht kontrollieren können, wird die Diffamierungsmaschinerie in Gang gesetzt.

Tektonische Verschiebungen im globalen Kräfteverhältnis

Dieses Buch ist deswegen so wichtig, weil Gesamteuropa – und nicht nur die EU – angesichts der tektonischen Verschiebungen im globalen Kräfteverhältnis12 einen Weg finden muss, mit dem es seine kulturellen und ökonomischen Stärken einbringt, um die künftige globale Ordnung auf einer kooperativen, friedlichen Grundlage zu entwickeln. Dass die Russische Föderation hier eine herausragende Rolle spielen wird, erklärt sich auf Grund der Geographie und ihrer Ressourcen von selbst. Was für künftige Generationen in Eurasien auf dem Spiel steht, erschliesst sich aus dem Plädoyer des ehemaligen Politischen Direktors des Auswärtigen Amtes, der danach sechs Jahre deutscher Botschafter in Peking war und heute Vorsitzender der Quandtstiftung ist: «Diplomatie mit neuen Mitteln. Chinas ‹Neue Seidenstrasse› sollte strategische Priorität der EU sein».13 Eine medial vergiftete Atmosphäre wäre für dieses riesige Projekt kontraproduktiv. Hannes Hofbauers Buch ist von daher eine breite Leserschaft zu wünschen.    •

*    Jochen Scholz war Oberstleutnant der Bundeswehr. Als solcher diente er einige Jahre bei der Nato in Brüssel und danach – während des Nato-Krieges gegen Jugoslawien – im deutschen Bundesverteidigungsministerium. Dort bekam er mit, dass die offiziellen Reden der verantwortlichen Politiker über krasse Menschenrechtsverletzungen durch Serbien nicht mit dem übereinstimmten, was er den Berichten der Fachleute vor Ort entnehmen konnte. Wegen dieser Lügen der Politiker verliess er 1999 die SPD.

1    <link http: www.zeit-fragen.ch typo3 www.europarl.europa.eu sides external-link seite:>www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2016-0441+0+DOC+PDF+V0//DE
2    <link https: eeas.europa.eu topics eu-information-russian disinformation-digest_en>eeas.europa.eu/topics/eu-information-russian/9506/disinformation-digest_en
3    <link https: de.wikipedia.org wiki washington_consensus>de.wikipedia.org/wiki/Washington_Consensus
4    Zelikow, Phillip/ Rice, Condoleezza. Sternstunden der Diplomatie, Berlin 1997, S. 257
5    <link http: www.bundestag.de parlament geschichte gastredner putin putin_wort>www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort/244966
6    <link http: www.sueddeutsche.de wirtschaft putin-plaedoyer-fuer-wirtschaftsgemeinschaft-von-lissabon-bis-wladiwostok-1.1027908>www.sueddeutsche.de/wirtschaft/2.220/putin-plaedoyer-fuer-wirtschaftsgemeinschaft-von-lissabon-bis-wladiwostok-1.1027908
7    <link https: de.wikipedia.org wiki heartland-theorie>de.wikipedia.org/wiki/Heartland-Theorie
8    Brief Willy Wimmer an Bundeskanzler Schröder unter: <link http: www.nachdenkseiten.de>www.nachdenkseiten.de/?p=22855
9    <link http: www.informationclearinghouse.info pdf rebuildingamericasdefenses.pdf>www.informationclearinghouse.info/pdf/RebuildingAmericasDefenses.pdf
10    <link http: www.bpb.de internationales europa russland grafiken-wohlstandsniveau-und-sozialpolitik>www.bpb.de/internationales/europa/russland/135734/grafiken-wohlstandsniveau-und-sozialpolitik
11    <link http: web.archive.org web www.newamericancentury.org russia-20040928.htm>web.archive.org/web/20070811110517/http://www.newamericancentury.org/russia-20040928.htm
12    siehe «ReOrient. Globalwirtschaft im Asiatischen Zeitalter» von Andre Gunder Frank: <link http: mediashop.at buecher reorient external-link seite:>mediashop.at/buecher/reorient/
13    <link https: zeitschrift-ip.dgap.org de article getfullpdf external-link seite:>zeitschrift-ip.dgap.org/de/article/getFullPDF/27469 und<link http: deutsche-wirtschafts-nachrichten.de partner-im-osten-china-lockt-europa-mit-der-neuen-seidenstrasse external-link seite:> deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/10/03/partner-im-osten-china-lockt-europa-mit-der-neuen-seidenstrasse/

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