Impressionen – Aserbaidschan im Frühjahr 2017

Impressionen – Aserbaidschan im Frühjahr 2017

von Barbara Hug

Ein kleines Land, zwischen der Grossmacht Russland und Iran, begrenzt vom Kaspischen Meer, am Rande eines Dauerkonflikts zum westlich gelegenen Armenien – dem Bergkarabach-Konflikt – ein schmaler Grenzstreifen zu Georgien, in dieser geostrategischen Lage präsentiert sich uns Aserbaidschan. Die ehemalige Sowjetrepublik war wegen ihres Erdölreichtums schon das Ziel Hitlers wie stets auch der Briten.

Heute geschieht die Erdölförderung weitgehend offshore, kleine Erdölpumpen bewegen sich noch in manchen Steppengebieten weiter stoisch auf und ab. Erdgas wird knapp unter der Erde gefunden, die Förderung ist nicht kostspielig. Auch die Schweiz hat vor einigen Jahren gute Handelsverträge bezüglich dem begehrten Energieträger mit SOCAR abgeschlossen. Erdöl hat das Steppen- und Gebirgsland geprägt. Das glitzernde Baku mag nicht jedermanns Sache sein. Der pervers zur Schau getragene Reichtum lässt leicht erraten, wer die Profiteure des Ölbooms sind.

In einiger Entfernung von der Hauptstadt wird man hingegen vertraut mit ruhigen Landregionen, deren Bevölkerung einen sehr niedrigen Lebensstandard hat. Im gebirgigen Hochland bieten Schaf- und Kuhherden die Existenzgrundlage. Immer wieder sieht man kleine Anlagen für Fischzucht entstehen, das Wasser wird aus den wasserreichen Flüssen des Kaukasus abgeleitet. Ziegel werden aus feuchtem Lehm und Stroh in Holzformen vorgeformt und in der Sonne getrocknet.

Stolz ist man darauf, Aserbaidschaner zu sein

Jedes Dorf kann so seine eigenen Ziegel herstellen. Heizmaterial in den holzarmen Bergen ist getrockneter Kuh- und Schafmist. Die Freundlichkeit der armen Bergbauern ist umwerfend, sowohl im Kaukasus als auch in den an Iran angrenzenden Talishbergen im Süden, im abgelegenen Zuvand. Stolz ist man darauf, Aserbaidschaner zu sein. Leider lernen die Kinder seit den neunziger Jahren Englisch statt Russisch in der Schule, was eine gewisse Entfremdung zur älteren Generation ergeben könnte. Spürbar ist sie jedoch nicht.

Im Gegenteil: Die Familie ist das Zentrum des Lebens, alte Menschen sind hochgeachtet, Kinder gut geschützt und seelisch gut gebunden, sei es mit dem Vater beim Hinaustreiben der Schafe oder mit der Mutter im Haus. In die Schule werden die Kinder meist vom Vater begleitet, oder sie gehen zu dritt und zu viert, ohne Geschrei, ohne Schlägereien, ohne Plagereien. Xinaliq, ein Bergdorf auf 2300 m, hat bei 2000 Einwohnern 300 Schulkinder.

Die russische Regierung hat mit Aserbaidschan einen «grünen Korridor» eingerichtet, der in Anlehnung an die früheren UdSSR-Verhältnisse einen regen Gemüse- und Früchte-export nach Russland garantiert. Vorzüglich die Erdbeeren, Äpfel, Frühlingszwiebeln, Petersilie und der Bergtee – Azerçay. Man bemerkt, dass sich die Verhältnisse zwischen den Ländern entspannt, wenn nicht sogar stark verbessert haben. Russische Lastwagen fahren im Konvoi nach Iran, iranische Lastwagen im Konvoi nach Norden. Aserbaidschan ist ein Freund der Türkei. Sollte sich die Türkei der eurasischen Union anschliessen oder eventuell eine langfristige strategische Partnerschaft mit Russland eingehen, hätte dies auch für Aserbaidschan Konsequenzen.

Gelegentlich wird eine Empörung gegen Europa spürbar

Gelegentlich wird eine Empörung gegen Europa spürbar, zum Beispiel darüber, wie man kürzlich mit der Türkei umgegangen sei. Lassen wir hier Rafig Aliyev sprechen. Er ist Gründer des Zentrums für islamische Studien und Mitglied der Weltfriedensakademie im Internationalen Interreligiösen Komitee. Er analysiert 2011 in seinem Buch «NEW EUROPE without Capitalism» Europas Versagen, das Versagen durch das aus allen Fugen geratene kapitalistische System: Europa, sowohl West- als auch Osteuropa wurde die Geisel einer falschen Auswahl des liberalen ökonomischen Modells. Der soziale Weg des Ausgleichens wurde verlassen. Europa wurde in eine tiefe Krise gestürzt, bis anhin sah man keinen Weg, der aus der Krise herausgeführt hätte. Rafig Aliyev erwartet soziale Umbrüche und sehr harte Zeiten für Europa. Unheimliche Wege aus der Krise gebe es auch, indem europäische Nationen in regionale Kriege verwickelt würden. Seine historische Erfahrung sagt, dass Politiker immer dann Kriege beginnen, wenn sie sie zur Machterhaltung brauchen, weil sie nichts zur Verfügung haben, Frieden zu schaffen. Als Reichtum habe Europa seinen Intellekt, den es jedoch nicht anwende.

Aserbaidschan schützt seine Gesellschaft und seine Grenzen durch eine ausserordentliche Wachsamkeit. Jeder Versuch einer Infiltration durch vorgeblich religiöse extremistische Gruppen wird bis jetzt verhindert. Sabotageakte gegen Brücken oder Staudämme werden versucht, durch starke dauerhafte Bewachung der Objekte zu verunmöglichen. Man will genau wissen, was und wer der «Tourist» ist. Dies wiederum garantiert auch seine Sicherheit.                                               •

 

bha. In Aserbaidschan wird das System des Islamic banking nicht praktiziert. Islamic banking könnte eventuell einen sozialen Ausgleich zwischen den gesellschaftlichen Schichten herstellen.

Grundlage des Islamic banking sind der Koran und seine Ausdeutung durch muslimische Gelehrte. Zu den Grundlagen gehört das Zinsverbot, wie es bis 1986 auch für die katholische Kirche galt, die Untersagung der Spekulation und das Verbot von glücksspielartigen Geschäften. Islamic banking soll auch Menschen mit kleinen Einlagen stärken und keinen Einfluss aus der sie umgebenden Gesellschaft zulassen. Diese Prinzipien machen sie unempfindlich gegen Crashs. Das Zinsverbot lässt keine extreme Anhäufung von Mitteln zu.

bha. Anhänger der Peakoil-Theorie nennen das Erdöl «fossilen Brennstoff », ukrainische Wissenschaftler wie zum Beispiel Krajuschkin wiesen hingegen nach, dass Erdöl aus grösseren Tiefen keinen fossilen, sondern einen abiotischen Ursprung hat. Ohne die Befunde der ukrainischen Wissenschaftler zum abiotischen Erdöl ist jede Diskussion über neue Energiequellen eine halbe Sache. Sie führt ins Nichts. In Aserbaidschan ist das bekannt.

«Die Früchte des Bösen und des Hasses können ganz Europa, wo der Kapitalismus einen toten Punkt erreicht hat, vergiften. Während Europa und wir um die Menschen trauern, die auf einer Insel in Norwegen getötet wurden, töten Nato-Soldaten – sagen wir junge Anders Breiviks – Hunderte und Tausende Menschen in verschiedenen Regionen der Welt und Europa, und die Massenmedien der demokratischen freien Welt schweigen darüber. Sie entstellen die Fakten über menschliche Tragödien, wo die Soldaten der Nato, ihre Flugzeuge, unglücklicherweise auch norwegische Soldaten kalt die friedliche Bevölkerung erschiessen – junge Frauen ermorden, Gefangene im Irak, in Afghanistan und in Guantánamo. Die ganze Welt weiss, dass die norwegische Luftwaffe zusammen mit englischen, französischen und amerikanischen Bombern immer noch libysche Städte, zivile Einrichtungen, Schulen, TV-Gebäude und den Palast des Führers des souveränen Staates bombardieren […]. Das prosperierende Europa, in diesem Fall das Volk von Norwegen, hat kein Mitleid, und es protestiert nicht. Ist das nicht Zynismus? – Alle sind vor dem Tod gleich. Diese Regel des Lebens können wir nicht ändern. Sie sollte auch während des Lebens gelten.»

Aus: Aliyev, Rafig. NEW EUROPE without Capitalism. The Irshad Center, Baku 2011 (Übersetzung Barbara Hug)

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