Auf totale Digitalisierung folgt Privatisierung der Schweizer Volksschule

Auf totale Digitalisierung folgt Privatisierung der Schweizer Volksschule

mw. Die Spatzen pfeifen es seit längerem von den Dächern: Der Lehrplan 21 ebnet den globalen Bildungs- und Technologiekonzernen den Weg, um mit Hilfe der Schweizer Schulen und deren grosszügigen Budgets Milliarden zu verdienen. Das war immer einmal wieder Thema in den Medien, wobei die erwarteten Kosten für die Kantone und Gemeinden nur andeutungsweise und meist offensichtlich abgerundet an die Oberfläche drangen. Jetzt, wo die Einführung des LP 21 in vielen Kantonen konkret wird, erfährt man Genaueres. Ausmass und Kosten der Digitalisierung werden um ein Vielfaches grösser sein, als bisher zugegeben wurde. Internationale Bildungskonzerne sind in verschiedenen Schweizer Schulgemeinden bereits im Geschäft, sogenannte Beratungsfirmen schneiden sich ihre Scheiben vom Kuchen ab. Und was nun auch bekannt wird: Mit zunehmender Digitalisierung droht das Schulwesen der öffentlichen Hand zu entgleiten. Die Privatisierung der staatlichen Volksschule, der Service-public-Institution par excellence, findet bereits da und dort statt. Was besonders zu denken gibt: Exponenten des LCH (Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer) und der Pädagogischen Hochschulen ziehen kräftig mit.
Seit die EDK im stillen Kämmerlein ihren – jeglicher pädagogischen Erkenntnis widersprechenden – Lehrplan 21 ausgebrütet hat, stehen die globalen IT-Konzerne in den Startlöchern. Die zahlungskräftigen Schweizer Schulgemeinden und Kantone sind begehrte Kunden.

Privatisierung der öffentlichen Schule: aus rechtsstaatlicher und demokratischer Sicht bedenklich

Um die Schulbehörden und die Lehrerschaft in den Gemeinden zu «entlasten», wird die Organisation der ganzen Schule gleich mitgeliefert. Bereits heute gibt es Schweizer Gemeinden, wo eine private Firma die öffentliche Schule mit einem staatlichen Pauschalbetrag pro Schüler übernommen hat und sie ganz nach Lehrplan 21 führt, mit «Inputstunden» durch die Lehrer, pardon, Lernbegleiter, und individuellem Lehrplan der Schüler am Computer. («Die Schonzeit ist vorbei», NZZ am Sonntag vom 11.6.2017)
Wenn auch eine solche Lösung für die eine oder andere Gemeinde praktikabel sein kann, bleibt der Handel dennoch aus rechtsstaatlicher und demokratischer Sicht bedenklich. Damit gibt die Gemeinde die Schule aus ihren Händen und schaltet die verfassungsmässige Bildungshoheit des Kantons ein Stück weit aus. Gemäss Artikel 62 Absatz 1 BV sind die Kantone für das Schulwesen zuständig; laut Absatz 2 untersteht der Grundschulunterricht staatlicher Leitung oder Aufsicht. Nach der Einführung des Lehrplan 21 wird es jedoch nicht bei Einzelfällen bleiben. Wenn wir Bürger nicht aufpassen, könnte die Privatisierung unserer öffentlichen Schulen schneller geschehen, als uns lieb ist.

«Diese Pioniere bereiten den Boden für internationale, profitorientierte Bildungskonzerne» (Jürg Brühlmann, LCH)

Höchst alarmierend sind Äusserungen von Spitzenleuten des LCH und der Pädagogischen Hochschulen, die sich von Anfang an unisono für den LP 21 stark gemacht haben. Heute geben sie offen zu, dass 1. mit dem LP 21 die totale Digitalisierung der Volksschule einhergehen wird und dass 2. die Entwicklung der Lernsoftware für unsere Schule den Grosskonzernen überlassen werden soll. Jürg Brühlmann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle des LCH (Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer) zur privatisierten Schule: «Diese Pioniere bereiten den Boden für internationale, profitorientierte Bildungskonzerne.» Brühlmann scheint dies nicht zu stören. Er prophezeit, die digitalisierte, personalisierte Bildung von morgen werde «industriellen Charakter» haben. «Grosse Konzerne werden in der Lage sein, digital und modular aufbereitetes Lernmaterial aus einer Hand anzubieten. Dank der Digitalisierung sei der individualisierte Unterricht auch an der Volksschule kostengünstig möglich.» Und Wolfgang Beywl, Professor für Bildungsmanagement an der Pädagogischen Hochschule FHNW (Fachhochschule Nordwestschweiz), erklärt, der Bund und die Kantone hätten mit ihren eigenen Online-Lernprojekten «mittelfristig […] gegen die Konkurrenz der international aufgestellten Technologiekonzerne keine Chance», denn ihnen «fehlten die Millionen von Franken, die es brauche, um die Programme laufend weiterzuentwickeln. Google oder Facebook kennen solche Probleme nicht». (NZZ am Sonntag vom 11.6.2017)
Wirklich sehr offenherzig, die Schweizer Bildungs-Clique – wenigstens muss man sich nicht mehr fragen, wessen Interessen sie eigentlich vertritt – diejenigen der Schulkinder und ihrer Eltern sowie der Lehrer jedenfalls nicht … Dass die den Konzernen überlassene Digitalisierung der Schulen kostengünstiger sein soll, ist übrigens eine wahrhaft kühne Behauptung!

«Der Lehrplan 21 fördert das individuelle Lernen und die Digitalisierung»

Gemäss Tagespresse vom 10.6.2017 wird die Sekundarschule Unteres Furttal (SekUF) 150 mobile Geräte für 120 000 Franken anschaffen. Damit kann sie «die Vorgaben des Lehrplans 21 umsetzen. Der neue Lehrplan des Kantons Zürich für die Volksschule verlangt die Einführung des Faches ‹Medien und Informatik› und den Einsatz von PC, Laptop oder Tablet in allen Fächern. Das Volksschulamt empfiehlt darum, für jeden Sekundarschüler ein Gerät zur Verfügung zu stellen». «Wie einst jeder Schüler eine eigene Schiefertafel, einen Schwamm und Kreide gekriegt hat, sollen die heutigen Schüler ein mobiles Gerät erhalten», so der externe IT-Berater Danny Frischknecht von der Firma Media-shape, der die SekUF berät. («Alle Schüler erhalten ein eigenes Tablet». «Zürcher Unterländer» vom 10.6.2017)
Weitere Beispiele gefällig? Samsung liefert die Lernplattform Learnify, die für die Schweiz und den Lehrplan 21 angepasst wurde. Und Geschäftsführer Niclas Walter der schwedisch-isländischen Firma Infomentor schätzt das Potential in der Schweiz als gross ein: «Der Lehrplan 21 fördert das individuelle Lernen und die Digitalisierung.» (NZZ am Sonntag vom 11.6.2017)

… und hohe Kosten für Kantone und Schulgemeinden

In vielen Kantonen mahnen die Politiker zu mehr Sparsamkeit im Bildungsbereich. Weniger Lehrerstellen und grössere Klassen sind angesagt – angesichts von Integration und Inklusion ein Ding der Unmöglichkeit! Was nicht laut gesagt wird: Gespart werden muss zugunsten der Lehrplan-21-kompatiblen Umrüstung der Schulen. Der Umbau der Schulzimmer zu einer Ansammlung von Einzelarbeitsplätzen mit Ruhe- und Gruppenplätzen (Lernlandschaften), die Ausrüstung mit einem IT-Gerät pro Kind und die grossen Mengen von Lern- und Test-Software wird über das ganze Land gerechnet Milliarden kosten. Zudem müssen Abertausende von Stunden für die Lehrer-«Weiterbildung» – also für die Umprogrammierung guter Lehrer zu Lernberatern! – bezahlt werden.

Gemeinde und Kanton müssen die öffentliche Volksschule in den Händen behalten

Wenn wir die Volksschule, einen der wichtigsten Service-public-Bereiche in Kantonen und Gemeinden, in der Hand der Bürgerinnen und Bürger behalten wollen, gilt jetzt erst recht: Schieben wir einen Riegel gegen die totale Digitalisierung unserer Schulen! Sorgen wir dafür, dass unsere Kinder die Buchstaben schreiben und nicht nur anklicken lernen, dass das kleine Einmaleins in ihren Hirnzellen und nicht nur im Taschenrechner abgespeichert wird. Und verhindern wir, dass die Volksschule den Konzernen zum Frass überlassen wird!    •

Das gläserne Schulkind

mw. «‹Auf Lernplattformen werden künftig ganze Schülerkarrieren gespeichert sein – man sieht nicht nur die Noten und die Lernkurven des Schülers, sondern auch dessen Absenzen, oder man kann nachverfolgen, zu welcher Tageszeit er am produktivsten ist und wann er im Internet surft›, sagt Beywl [Pädagogische Hochschule FHNW]. Bei solchen ‹Schülerprofilen› handle es sich um lukrative Daten. Zukünftige Arbeitgeber könnten noch vor dem Vorstellungsgespräch erfahren, ob der Bewerber ein disziplinierter Schüler war. Und für die Werbeindustrie wäre es interessant, zu wissen, um welche Zeit ein Schüler im Internet surft.» («Die Schonzeit ist vorbei», NZZ am Sonntag vom 11.6.2017)
Dies sagt der Bildungsmanagement-Professor an einer Schweizer Fachhochschule locker vom Hocker – eine derartige Ungeheuerlichkeit! Totale Überwachung unserer Schulkinder durch IT-Programme statt menschenwürdiger Unterricht durch einen lebendigen Lehrer. Das wollen wir doch nicht!

Lehrplan 21 nicht ohne Computer für jedes Schulkind umsetzbar

Nach der dem LP 21 zugrundeliegenden Theorie des Konstruktivismus muss sich jedes Kind seine Welt selbst konstruieren (zum Beispiel seinen eigenen Rechenweg für die Lösung einer Mathe-Aufgabe herausfinden). Dadurch werde es «kompetent», also fähig, sein Lernen selbst zu organisieren. Als Instrument zum Erwerb von «Selbstkompetenz» empfehle sich das eigene Tablet für jedes Kind, und zwar ab dem Kindergarten! – Soweit die vom Boden abgehobene Theorie. In der Praxis funktioniert sie erwiesenermassen bei der grossen Mehrheit der Kinder nicht. Ohne Unterrichtung durch den Lehrer scheitern sie. Aber auch die guten Lerner werden im Stich gelassen; wer nur auf den eigenen Erfolg ausgerichtet ist, verkümmert häufig in sozialer Hinsicht. In der vom erfahrenen Lehrer geführten Schulklasse entsteht eben – neben der Lerngemeinschaft – auch ein Modell des Zusammenlebens und -wirkens, was von grosser Bedeutung für das Leben jedes Kindes ist.

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