Das Prinzip des nationalen Interesses

Das Prinzip des nationalen Interesses

von Myret Zaki, Chefredakteurin der Westschweizer Wirtschaftszeitung «Bilan»

Jahrzehntelang haben wir nach Grundsätzen gelebt, die heute in Frage gestellt werden. Freihandel, Globalisierung, multilaterale Verträge, diplomatische und militärische Allianzen, grosse Wirtschaftsblöcke – das waren die grundlegenden Werte der Weltordnung.
Letzten November ist nun ein diese Grundsätze verneinender Präsident an die Spitze der grössten Macht gekommen, die diese Prinzipien hochhält. Ein protektionistischer Donald Trump, ablehnend gegenüber militärischen Allianzen und multilateralen Verträgen, in wirtschaftlichen Belangen nationalistisch eingestellt und mit einem starken Identitätsgefühl. Er wurde auch deswegen gewählt – zur gleichen Zeit, als die Engländer sich für das Verlassen der EU aussprachen.
Einige Tatsachen sind dabei offensichtlich geworden: Breite Teile der Bevölkerungen Amerikas und Europas stimmen den Prinzipien des Wirtschaftsliberalismus nicht mehr zu, da sie in diesem System die Verlierer sind. Von Freihandel und Öffnung der Grenzen wollen sie nichts mehr hören, da sie sich auch da als Opfer sehen. Sie bevorzugen den Protektionismus, denn dieser verspricht den Schutz ihrer Arbeitsplätze, ihrer Löhne, ihrer Kultur und begünstigt die nationalen Unternehmen und Interessen.
Im Gegensatz dazu verteidigen die Eliten der Vereinigten Staaten und Europas immer noch die Globalisierung und den Freihandel. Ihre Vordenker betrachten Protektionismus als ein Schimpfwort, denn er widerspricht der Weltordnung, die offiziell seit dem Zweiten Weltkrieg vorherrscht. In Wirklichkeit jedoch ist der Protektionismus seit mindestens zehn Jahren die Regel zwischen den Wirtschaftsmächten. Beispiele gefällig?
Seit elf Jahren sind die Verhandlungen über die Liberalisierung des internationalen Handels, nach dem Scheitern der Doha-Runde der WTO, begraben worden. Das Volumen des internationalen Handels stagniert seit 2011, und die Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) spricht von einem Niedergang der wirtschaftlichen Verflechtungen, eine Art Entglobalisierung, die erst gerade begonnen hat. Die transpazifischen und transatlantischen Verträge wurden fallengelassen. Über Kriege wird meist ausserhalb der multilateralen Organisationen entschieden, da die Uno keinen wirklichen Einfluss mehr auf die Geopolitik hat.
Dazu kommt, dass die grossen Staaten ihre strategischen Bereiche schützen: Viele Übernahmen wichtiger nationaler Industrien durch ausländische Konkurrenten wurden blockiert. Seit mindestens zehn Jahren hat es keine wirklich bedeutenden Übernahmeangebote zwischen grossen Nationen mehr gegeben. China hat seine Märkte für Apple, Uber, WhatsApp und Tesla dicht gemacht.
Die Schweiz mit ihrer grundlegend liberalen Tradition ist da verwundbar. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat darauf verzichtet, den Schweizerfranken an den Euro zu binden, und hat in Kauf genommen, dass sich die Unternehmen mit einem zu starken Schweizerfranken herumschlagen müssen. Zahlreiche dieser Unternehmen – Swiss, Serono, Centerpulse, Synthes, Actelion, Nobel Biocare, Syngenta, Vögele und noch viele andere – haben sich in den letzten 15 Jahren übernehmen lassen, wobei Arbeitsplätze und Know-how für unser Land verlorengingen.
Liberal sein inmitten protektionistischer Staaten bedeutet für die nationalen Interessen ein Risiko. Erinnern wir uns daran, dass der Krieg gegen das Schweizer Bankgeheimnis damit endete, dass die angelsächsischen und asiatischen Finanzplätze gestärkt waren. Sie haben sich ihre viel besser ausgebauten Vertraulichkeitspraktiken bewahren können, um sich so die Guthaben der grossen Vermögen zu erschliessen.
Wenn das Wirtschaftsdenken 2017 weiterhin von klassischen und neoklassischen Schulen dominiert wird, die dem Freihandel wohlgesonnen sind, so beruht deren Lehre vor allem auf den für die protektionistischen Seemächte des 17. Jahrhunderts charakteristischen merkantilistischen Ideen. Die Schweiz muss deshalb ihre Wirtschaft schützen, lokale Arbeitsplätze begünstigen und diese vor allem mit Einheimischen aus dem Bewerberpool der Jungen, der Arbeitslosen, der Senioren, der unterbeschäftigten Frauen und der Personen im Wiedereingliederungsverfahren besetzen. Sie muss den Einkaufstourismus durch Zölle stärker eindämmen und gegen Lohndumping kämpfen. Und weshalb nicht auch bestimmte Spitzensektoren als strategisch wichtig betrachten?    •

Quelle: Bilan vom 12.6.2017

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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