Acht Museen in den Kantonen St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden beteiligen sich an der Darstellung der regionalen Textilgeschichte. Denn «die Ostschweiz gehört zweifellos zu den herausragenden historischen Textilregionen; nicht nur in der Schweiz, sondern in Europa», so Dr. Matthias Weishaupt, Landammann AR an der Vernissage der Ausstellung im Textilmuseum St. Gallen. Auf dem Land wurden in Heimarbeit oder in Fabriken Stoffe für den Weltmarkt hergestellt, in den Zentren wurden sie gehandelt. Und auch heute noch werden hier für eine internationale Kundschaft hochwertige Gewebe bestickt. Museumskuratorin Isabelle Chappuis freute sich in ihrer Eröffnungsrede über die gelungene Zusammenarbeit.
In einem reich illustrierten Buch werden alle acht Ausstellungen und der jeweilige historische Hintergrund vorgestellt (Öffnungszeiten beachten!). Dazu gehören die Lebenssituationen der Menschen, die dort gelebt und gearbeitet haben. Es wird nachgefragt, wer «iigfädlet, gstickt, gwobe, gscherlet ond konfektioniert het» (Landammann Weishaupt).
Das Konzept der Ausstellung besteht aus fünf Bereichen: die Fabrikanten & Manipulanten, die Arbeiter, die Entwerfer, die Erfinder und die Unternehmer. Die ausgestellten Muster von bestickten Stoffen sind reichhaltig an Stickereien, Mustern und Farben. Stoffmuster der St. Galler-Stickerei auf weisser Baumwolle sind in grossen Musterbüchern gesammelt. Einige prachtvolle Kleider sind in den Vitrinen zu sehen, mit Kettelistich bestickt oder mit der traditionellen St. Galler-Stickerei oder auch mit wunderschönen Guipure-Spitzen. Ebenso Tüll-Vorhänge mit feiner Stickerei. Die Entwerfer entwickelten immer speziellere, reich bestickte edle Stoffe für die Haute Couture und luxuriöse Dekorationsstoffe für den Wohnbereich. Obwohl heute meist mit Maschinen gearbeitet wird, gibt es immer noch die Appenzeller Handstickerei für die Herstellung der traditionellen Trachten.
Im 19. Jahrhundert wandelte sich Appenzell AR von einer reinen Land- und Alpwirtschaftssregion zum hoch industrialisierten Textilkanton. Das spiegelt sich beispielsweise in Stelleninseraten in der «Appenzeller Zeitung» von 1828 bis in die Krisenjahre rund um den Ersten Weltkrieg. Ostschweizer Textilunternehmen suchen darin Männer und Frauen für Fabrik- oder Heimarbeit. Viele der ausgeschriebenen Berufe sind heute kaum mehr bekannt: Worin bestand die Tätigkeit der Andreherin, des Ferggers, der Fluderstickerin, der Verschneiderin oder des Seidenspitzenstreichers?
Thematisiert ist auch die Kinderarbeit, denn diese war im 19. Jahrhundert in keinem anderen Kanton der Schweiz so verbreitet wie in Ausserrhoden. Das erste Schweizer Fabrikgesetz von 1877 verbot zwar die Anstellung von Kindern unter 14 Jahren; für in Heimarbeit beschäftigte Kinder galten die Paragraphen indes nicht. Das alles hatte auch Folgen sozialer Natur, war doch die Arbeit in den feuchten Webkellern nicht nur schlecht bezahlt, sondern auch schädlich für die Gesundheit. Die Ausstellung gibt Einblick in die Welt längst vergessener Berufe in Webereien, Stickereien und Veredelungsbetrieben. Im Appenzellerland kann man die typischen Weberhöckli und Sticklokale bis heute bestaunen.
Hier werden auch heutige Ausserrhoder Textilbetriebe vorgestellt. Der erste als «Fabrique» bezeichnete Betrieb im Appenzellerland entstand 1737 in Herisau – eine Stoffdruckerei. Die ab 1780 einsetzende Mechanisierung bahnte der bis heute bestehenden Fabrik den Weg. Tausende von Händen beschäftigten sich damals mit Bleichen, Zwirnen, Wirken usw. Heute konzentrieren sich diese Unternehmen einerseits auf die Veredlung von Baumwollstoffen, andererseits auf innovative Gewebe für die Medizin, die Architektur, die Automobilindustrie und für Produktionsbetriebe.
Toggenburger Hausarchitektur und Ostschweizer Textilgeschichte sind seit 400 Jahren eng miteinander verbunden. Bis heute sind die feuchten Webkeller, das grossfenstrige Sticklokal, das Händlerhaus, die Fabrikbauten, Kosthäuser und modernen Werkssiedlungen sowie die Fabrikantenvillen Zeugen der Ostschweizer Textilarbeit.
In Teufen geht es um die Verarbeitung der Stoffe. Hier sieht der Besucher die Handwerker beim Arbeiten, direkt übermittelt aus den Ateliers und Nähstuben. Anhand von Entwürfen kann die Entstehung von Stoffobjekten und Kleidern, von der Unterhose bis zu Sportschuhen, miterlebt werden. Die fertigen Produkte werden zum Abschluss der Ausstellung in einer Modeschau vorgeführt.
Das St. Galler Rheintal blühte nach der Erfindung der Handstickmaschine in den 1850er Jahren auf. Stickerfamilien erwarben auf Abzahlung eine Handstickmaschine, bauten ein Sticklokal an und arbeiteten als ganze Familie fast Tag und Nacht. Mit der Einführung der Schifflistickmaschine gegen Ende des 19. Jahrhunderts ging der Trend in Richtung Fabrikproduktion. Jacob Rohner setzte auf diesen Wandel. Schon bald besass er fünf Fabriken. In der Ausstellung sind viele edel bestickte Stoffe und Kleider aus privatem Besitz zu sehen. Die vierte Inhabergeneration verkaufte das Traditionsunternehmen 1988 an die Forster Willi AG, heute Forster Rohner AG. Rohner-Socken werden heute immer noch in Balgach hergestellt und sind in der ganzen Schweiz bekannt.
Zeichen einer fortschrittlichen Entwicklung war die Strumpffabrik, die 1930 in Heiden gegründet wurde. Sie produzierte warme Socken und strapazierfähige Strümpfe, bis in den 1950er Jahren die Nylonstrümpfe den Markt eroberten. Neue Materialien erforderten neue Maschinen und hohe Investitionen. Leider machte die Firma 1993 Konkurs. In der Ausstellung erzählen Einwohner und ehemalige Mitarbeiter von dieser einschneidenden Entwicklung und beschreiben, wie wichtig die Strumpffabrik für sie war.
«Textilarbeit – Leidenschaft oder Schicksal» (Appenzeller Brauchtumsmuseum Urnäsch)
Urnäsch ist nie von der Textilindustrie dominiert worden. Hier standen Sennereien, Agrarwirtschaft und Gewerbe im Vordergrund. Die Ausstellung legt den Fokus auf die Zeit nach 1950. In Videointerviews erzählen Menschen eindrücklich aus ihrem Arbeitsalltag. •
Seit dem Mittelalter werden in der Ostschweiz Leinenstoffe als exklusive Exportgüter hergestellt. Leinen wird auch das «weisse Gold» genannt, denn der Handel mit den Geweben bringt den Händlern grossen Reichtum. Das Einkommen der beteiligten Arbeiter, Handwerker und Bauern hingegen ist bescheiden und unsicher.
Die Flachspflanze, der Rohstoff für Leinen, wächst in der Region um den Bodensee sehr gut. Die St. Galler fertigen Leinengewebe von sehr hoher Qualität. Bereits im 13. Jahrhundert werden die Stoffe international gehandelt. Es entsteht ein Handelsnetz, das von Nordafrika nach Russland und bis in die Türkei reicht.
Ab 1730 verdrängt Baumwolle aus Afrika das teurere Leinen zunehmend. Knapp 50 Jahre später beschleunigt sich die Industrialisierung in England und verändert die Schweizer Textilindustrie grundlegend.
Mit dem Aufstieg der Baumwolle wer- den in der Ostschweiz zuerst Mischgewebe mit Leinen, sogenannter Barchent, und später reine Baumwollgewebe gefertigt. Besonders begehrt sind bei den Käufern sehr feine Baumwollstoffe, sogenannte Mousselines.
Im St. Galler Kloster werden um 1800 die ersten mechanischen Spinnmaschinen der Schweiz aufgestellt. Handspinner und -weber werden zunehmend durch Maschinen ersetzt. Es entstehen die ersten Fabriken. Um 1800 ist die Schweiz dank der Textilindustrie das Land mit den meisten Maschinen auf dem europäischen Kontinent. Das Zentrum der mechanischen Spinnerei in der Schweiz ist damals der Kanton Zürich.
Ab 1750 werden die Baumwollstoffe in der Ostschweiz mit Stickereien verziert. Die Stickereien werden zuerst in Handarbeit und ab 1850 zunehmend auch maschinell gefertigt.
Der Erfolg der Stickerei beruht auf der Tradition, die Produktion in einzelne Schritte aufzuteilen – spinnen, weben, besticken, nachbehandeln.
Unterschiedliche, hoch spezialisierte Firmen oder Personen führen die einzelnen Arbeiten aus. Vor allem dank der Maschinenstickerei ist St. Gallen bis 1912 international erfolgreich. Die Technik der maschinellen Herstellung der «Broderie Anglaise» oder der «Guipure» werden hier erfunden und machen St. Gallen weltbekannt. Sehr beliebt sind die Stickereien in Amerika und Frankreich.
Um 1912 blüht die Ostschweizer Stickereiindustrie. Zwei von drei Beschäftigten leben hier von der Stickerei. Nur zehn Jahre später ist von einer «gewaltigen Depression» die Rede. Bis 1930 werden in der Ostschweiz fast 17 000 Stickmaschinen verschrottet. Die Verschrottungsprämien bezahlt der Schweizerische Staat, um die einseitige Ausrichtung der Ostschweiz auf das Textilgewebe aufzubrechen. Viele Menschen verarmen.
Heute konzentrieren sich die Unternehmen auf hochpreisige Nischenprodukte für die Haute Couture, die Lingerie oder auf innovative Gewebe für die Medizin, die Architektur oder die Automobilindustrie.
Quelle: Ostschweizer Rundschau vom 6.9.2017
– Wir haben uns völlig verheddert.
– Das klingt nach einer langfädigen Geschichte.
– Er trieb sich in der halbseidenen Gesellschaft herum.
– Er kommt mit fadenscheinigen Ausreden und verstrickt sich in Widersprüche.
– Wir haben einfach nichts Stichhaltiges gegen ihn.
– Langsam reisst mir der Geduldsfaden.
– Was hat er denn angezettelt?
– Wer hält da eigentlich die Fäden in der Hand?
– Wie willst du ihn dazu bringen, aus dem Nähkästchen zu plaudern?
– Doppelt genäht hält besser!
10.10. Dienstag, 18.30 Uhr Appenzeller Volkskunde-Museum Stein: «Aus Alltag und Beruf erzählt» (Vortrag)
25.10. Mittwoch, 19.00 Uhr Cinétreff Herisau: «Das Menschlein Matthias» (Dialektfilm)
27.10. Freitag, 19.00 Uhr Appenzeller Brauchtumsmuseum Urnäsch: «Textilfabriken in Urnäsch» (Vortrag)
29.10. Sonntag, 14–16 Uhr Zeughaus Teufen: «Kleider machen Leute machen Kleider III: Ergebnisse» (Modeschau)
29.10. Sonntag, 14 Uhr Museum Ackerhus Ebnat-Kappel: Öffentliche Führung
29.10. Sonntag, 11 Uhr Museum Heiden: «Finissage mit öffentlicher Führung»
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