Anmerkungen zum Friedensnobelpreis

Anmerkungen zum Friedensnobelpreis

Interview mit Fredrik Heffermehl

Fredrik Heffermehl, norwegischer Jurist und Autor des Buches «The Nobel Peace Prize: What Nobel really wanted» (vgl. Zeit-Fragen Nr. 27 vom 25.6.2012 und Nr. 51 vom 3.12.2012), hat mit Freunden zusammen das Komitee «The Nobel Peace Prize Watch» (NPPW) gegründet. Die diesjährige Vergabe des Friedensnobelpreises an die «International Campaign to Abolish Nuclear Weapons» (ICAN) ist ein Erfolg ihrer zehnjährigen Arbeit. Die in Genf ansässige Organisation erhielt den renommierten Preis für ihre weltweiten Bemühungen zur atomaren Abrüstung.

Zeit-Fragen: Wie beurteilen Sie die diesjährige Vergabe des Friedensnobelpreises an ICAN?

Fredrik Heffermehl: Das ist ausgezeichnet und ein grosser Schritt, der einen neuen Willen signalisiert, die grosse Friedensvision von Nobel zu unterstützen: Er sah den Weg zu dauerhaftem Frieden und der Verhinderung neuer Kriege darin, alle Nationen von Waffen und Kriegern zu befreien. Wir haben dafür über zehn Jahre gearbeitet, und viele schreiben uns den entscheidenden Einfluss auf die diesjährige Entscheidung zu.
Alfred Nobels Vision des Friedens durch Entwaffnung könnte wie ein unerreichbarer Traum erscheinen, völlig unrealistisch. Und das ist er auch – so lange wir nicht in der Lage sind, ihn als zwingende Notwendigkeit und Grundlage für Wohlstand und Sicherheit für die Menschheit zu erkennen. Ja, heute unrealistisch, innerhalb des derzeitigen Denkens und des gegenwärtigen Systems. Aber es erfordert einen einzigen grundsätzlichen Sprung im Denken. Was in Form einer fragmentarischen, schrittweisen Annäherung unmöglich ist, wird zu einer leichteren Aufgabe, wenn wir uns entschliessen, dass wir uns selbst von diesem durch und durch lebensfeindlichen System befreien müssen. Wir müssen sehen, was wir gewinnen und welche Vorteile eine andere Sicht bringt, und von dort aus beginnen.

Sie haben bereits 2013 den kürzlich verstorbenen sowjetischen Oberst Stanislaw Petrow (vgl. Nachruf) für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Ja, nach der Verleihung des Dresdner Friedenspreises an Stanislaw Petrow habe ich von den Organisatoren erfahren, dass er gerne Norwegen besuchen wollte. Idealerweise sollte er nach Norwegen kommen, um den Friedensnobelpreis zu erhalten. 2013 hatte das Komitee meinen Vorschlag noch nicht aufgegriffen. 2017 waren wir erfolgreich.

Sie haben nun gefordert, dass das norwegische Parlament das schwedische Recht erfüllen muss. Was verbinden Sie mit dieser Forderung?

Während Nobel mit den fünf Nobelpreisen für Chemie und Physik, Medizin, Literatur und die «Champions of peace (Friedensverfechter)» ein einzigartiges und dynamisches Erbe hinterliess, das dazu dient, die Not der Bürger in der ganzen Welt zu lindern, fiel seine Wahl des Komitees für den Friedensnobelpreis weniger glücklich aus. [Die vier erstgenannten Nobelpreise werden von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften von Stockholm vergeben, der Friedensnobelpreis dagegen vom Norwegischen Nobelkomitee in Oslo. Anm. der Red.]. Norwegen war erpicht darauf, eine wichtige Rolle in der Welt zu spielen, und das Parlament freute sich, die fünf Mitglieder für das Nobelkomitee ernennen zu können. Es entspricht allerdings nicht der Bestimmung eines nationalen Parlamentes, einer privaten Stiftung unterstellt zu sein. Schon gar nicht einer solchen in einem anderen Land. Dies ist durch Entscheidungen der schwedischen Behörden in den letzten Jahren klargestellt worden. Gremien, die Verantwortung tragen, müssen auch die Kontrolle über alle ihr untergeordneten Organe haben. Norwegische Politiker spielen gerne mit dem Friedensnobelpreis, aber es bestehen dabei einige grundlegende Schwierigkeiten, die angegangen werden müssen. Norwegen hoffte sogar auf eine Ausnahmeregelung bezüglich des schwedischen Gesetzes, mit der die endgültige Entscheidung über die Legitimität des Friedenspreises nach Norwegen verlegt würde. Aber die Sicht der schwedischen Gremien setzte sich durch – man versuchte sogar, bei der schwedischen Regierung Berufung einzulegen, sie wurde aber abgelehnt.

Für das neu zu wählende Friedensnobelpreiskomitee haben Sie fünf Kandidaten vorgeschlagen. Welche Kritik üben Sie an der bisherigen Auswahlpraxis, und von welchen Kriterien haben Sie sich leiten lassen?

Von Anfang an, seit über zehn Jahren, habe ich betont, dass die Absicht, die Nobel im Sinn hatte, der Ausgangspunkt ist. Alles muss damit beginnen, seine Absicht zu gewichten, nicht unsere Vermutungen und Wünsche. Die Auswahl der Preisträger und die des Komitees, welches die Preisträger ernennt, müssen von Nobels Zielsetzung geleitet sein. Es erfordert viel Arbeit herauszufinden, was am Abend des 27. November 1895 im Kopf von Nobel vorging. Aber weder das Parlament noch das Nobelkomitee unterzogen sich je dieser Aufgabe. Es half auch nicht, dass ich diese Notwendigkeit erkannte und 2007 darauf aufmerksam machte. Niemand griff es auf, und so schrieb ich 2008 meine erste Analyse. Sie ist bis heute von niemandem widerlegt worden. Gestützt auf diese Interpretation, habe ich dieses Jahr das Parlament gebeten, qualifizierte Mitglieder für das Komitee auszuwählen und dazu auch namentlich Kandidaten vorgeschlagen [siehe www.nobelwill.org]. Diese sind aus Nichtregierungsorganisationen, Menschen, die in der heutigen Welt Nobels Ideen verfolgen – auf der Suche danach, was das Beste für die Menschheit als Ganzes wäre, und die quer über alle Sparten, nationale Grenzen, Religionen, Rassen und politische und ökonomische Systeme hinweg arbeiten. Ich hoffte, durch den Vorschlag fünf konkreter Namen die Auswahl zu erleichtern.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei dem Projekt «What Nobel really wanted» und bedanken uns für Ihre Ausdauer und Zuversicht.    •

(Übersetzung Zeit-Fragen)

zf. Anmerkung: Die diplomatischen Vertretungen der USA, Grossbritanniens und Frankreichs haben – entgegen der Tradition – ihr Nichterscheinen anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises 2017 an die internationale Organisation zur Abschaffung von Atomwaffen ICAN bekanntgegeben. 122 UN-Staaten haben den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen bisher unterschrieben – die 5 Vetomächte noch nicht ….

Stanislaw Petrow – ein Nachruf

von Rainer Schopf

Er war ein grosser Menschenfreund und ein stiller Held. Vermutlich hat er uns allen das Leben gerettet und für die ganze Welt eine atomare Katastrophe verhindert. Mitten im Kalten Krieg arbeitete Petrow in der Nacht des 26. November 1983 als Leiter in der sowjetischen Raketenalarmanlage. Plötzlich gaben alle Sirenen und Warnleuchten an, dass die USA den nuklearen Krieg in Gang gesetzt und atomare Raketen in Richtung Sowjetunion abgeschossen hatten. Petrow behielt einen kühlen Kopf und meldete den obersten Befehlshabern fünfmal Fehl­alarm. Es war unser Glück, dass er als Ingenieur das Warnsystem mit entwickelt und das Handbuch zur Satellitenüberwachung selbst geschrieben hatte. Während er äusserlich Ruhe bewahrte, zerriss ihn in den nächsten 15 Minuten des Wartens die innere Anspannung. Er fühlte sich, als ob er zu seiner «Exekution geführt würde», sagte er später in Interviews.
Petrow sollte mit seiner Heldentat recht behalten. Es war ein Fehlalarm. Man dürfe eine solche Entscheidung über Leben und Tod auf ganzen Kontinenten nicht einer Maschine anvertrauen, war seine Botschaft. Trotzdem wurde Petrow wegen einer Ungenauigkeit im Protokoll der Nachtschicht gerügt. Im Westen wurde sein Mut erst 10 Jahre später bekannt, nach dem Fall der Berliner Mauer. Er wurde bei den Vereinten Nationen 2006 in New York mit dem World Citizen Award für Verdienste um die Menschheit ausgezeichnet, erhielt 2012 den Deutschen Medienpreis und 2013 den Dresdner Friedenspreis (vgl. Zeit-Fragen 9/2013).
In den letzten Jahren lebte Petrow in einer kleinen Plattenbauwohnung in Fryazino, 70 km von Moskau entfernt. Seine Rente betrug 1000 Rubel. In Moskau bezahlt man 100 Rubel für eine Tasse Kaffee. Seine Frau war längst gestorben. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Stanislaw Petrow bereits am 19. Mai 2017 verstorben und wurde im kleinen Familienkreis beigesetzt. Wir haben einen wunderbaren Menschen verloren.

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