In unseren Medien wird weiterhin desinformiert. Ist es tatsächlich so, dass die Türkei Schritte auf Russland zu macht, obwohl sie ein wichtiges Nato-Mitglied ist? Ist es so, dass die Türkei die Kurden zugleich bekämpft und hofiert? … Wissen wir überhaupt noch, warum es Krieg in Syrien gibt?
Das Buch «Der Nahe Osten brennt», herausgegeben von Fritz Edlinger im Wiener Promedia Verlag mit Beiträgen namhafter Syrien- und Nahost-Experten, bringt Klarheit.
Dem interessierten Leser wird empfohlen, mit dem Kapitel «Erdogans Syrien-Abenteuer» zu beginnen, denn von hier aus erschliessen sich die hochdifferenzierten Beiträge über die Kurden, die Christen, die Alawiten und andere Minderheiten in Syrien, das Kapitel über die deutschen Medien oder jenes, welches die (völker-)rechtliche Seite beleuchtet.
Als Anfang der siebziger Jahre die Firma Shell bei Explorationsbohrungen auf der Suche nach Erdöl in Katar ein riesiges Erdgasvorkommen entdeckte, ahnten auch die Experten zunächst nicht, dass es sich um die bisher grösste Erdgaslagerstätte der Welt handeln sollte. Was die Experten allerdings wussten, war der Umstand, dass etwas mehr als ein Drittel dieser Lagerstätte unter iranischem Boden lag und dass dieser Umstand fast zwangsläufig ein ungeheures Konfliktpotential in sich bergen sollte.
Anstatt, wie unter guten Nachbarn üblich, diesen Schatz der Natur zum Wohle der beiden Völker Katars und Irans redlich aufzuteilen, begann die Geheimdiplomatie ihr unseliges Treiben. Der damalige katarische Emir Ahmad ibn Ali Khalifa ibn Hamad mochte nicht teilen und sann darüber nach, wie diese Erdgaslagerstätte zu seinem Wohle und am iranischen Nachbarn vorbei am geschicktesten auszubeuten wäre. Er setzte auf die angloamerikanische Karte und nahm damit auch den, im Extremfall für beide Beteiligte, Casus belli in Kauf.
Obwohl Katar seinerzeit ein kleines Scheichtum war, fürchtete es Iran nicht. Der zweite Golf-Krieg warf Iran um Jahrzehnte in seinen Förderungsmöglichkeiten von Erdöl zurück, und als auch noch die Uno ein Wirtschaftsembargo gegen Iran verhängte, schien für Katar alles perfekt zu laufen. Als die USA 1998 ihr Hauptquartier und damit die Kommandozentrale für die Kriege im Nahen Osten in Katar errichteten, begann Katar, sich auf der weltpolitischen Bühne zu tummeln.
Für die USA schien das riesige katarische Erdgasvorkommen die Gelegenheit, den Energielieferanten Russland, der über die Pipeline «North Stream» exklusiv mit Deutschland und damit nach Europa verbunden war, aus dem Markt zu werfen.
Dennoch gab es für Katar nebst den sunnitischen Nachbarn Saudi-Arabien und dem Königreich Jordanien, seinen angloamerikanischen Verbündeten und, für viele zunächst unverständlich, Israel, trotz aller geopolitisch günstigsten Ausgangslage ein, allerdings gravierendes, Problem. Katar war auf Grund seiner geographischen Lage am Persischen Golf und mangels einer Pipeline, die das Gas zunächst an den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan und von dort aus nach Europa transportieren sollte, gezwungen, das (katarisch-iranische) Erdgas in eigenen Anlagen zu verflüssigen, auf Schiffe zu verladen und damit relativ aufwendig, langsam und zudem noch teuer auf dem Weltmarkt anzubieten. Um mit einer Pipeline das Erdgaslager zügig auszubeuten und via Saudi-Arabien, Jordanien und Syrien den türkischen Verladehafen Ceyhan zu erreichen, war die Zustimmung von Bashar al-Assad nötig.
Dieser verweigerte seine Zustimmung aus Solidarität mit Russland, was ihm, als (gewähltem) Staatspräsidenten nach internationalen Gepflogenheiten und internationalem Recht durchaus zustand. Als bekannt wurde, dass Assad darüber hinaus noch Russland eine geplante Pipeline neben Iran erlauben wollte, um den Erdgastransport beider Länder über syrisches Gebiet in die Türkei zu legen, durchkreuzte Bashar al-Assad den sorgsam und von den USA mitentwickelten Plan, Katar aufzurüsten und im Gegenzug den Markt mit günstigem Erdgas zu beliefern.
Unmittelbar nach Bekanntgabe der Syrien-Russland-Iran-Erdgasversorgungsachse wurden sunnitische Minderheiten im Süden Syriens, im Städtchen Daraa, von Jordanien, Saudi-Arabien und der Türkei unter logistischer Hilfeleistung der USA für einen (völkerrechtswidrigen) Bürgerkrieg instrumentalisiert, damals noch «Arabischer Frühling» genannt. Dieser sollte sich, wie schon seine Vorläufer in Tunesien, Libyen und Ägypten, gut getarnt und medienwirksam für die Weltöffentlichkeit aufbereitet, zu einem Flächenbrand ausweiten.
Ein Brandherd, der uns heute mit all seinen Implikationen wie zum Beispiel dem drohenden Krieg Westeuropas mit Russland und dem unermesslichen Flüchtlingselend beschäftigt.
Unter diesem Gesichtspunkt wird auch der Untertitel des Buches von Fritz Edlinger «Zwischen syrischem Bürgerkrieg und Weltkrieg» klar, weil im Grunde genommen der Krieg in Syrien ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland geworden ist. Die Frontlinie Ukraine erfährt im Persischen Golf ihre Fortsetzung. Die «Kurden-Frage», auch diese wird in dem Buch ausführlich behandelt, birgt jetzt schon Zündstoff für die nächsten Kriege in sich. Falls das von Hillary Clinton favorisierte Kurdistan zustande kommen würde, könnten die USA von dort aus die Türkei, Syrien, den Irak und Iran kontrollieren. Israel, welches auf Grund von Erdgasfunden im östlichen Mittelmeer ebenfalls auf die durch Syrien (Golanhöhen) verlaufenden Pipelines angewiesen ist und wie Katar ein Transportproblem hat, hat ein existentielles Interesse am Sturz von Bashar al-Assad. Saudi-Arabien will im Jemen in dem Hafenstädtchen Al Makalla einen Verladehafen einrichten und bombt sich bereits den Weg frei.
Nach der Lektüre dieses ausgesprochen differenzierten und sorgfältig zusammengetragenen Buches ist es der Menschheit zu wünschen, dass sie sich die Erfahrungen von zwei Weltkriegen wieder in Erinnerung ruft und den Verhandlungstisch, zum Wohle ihrer Völker, vor und nicht erst nach einem neuen Weltkrieg aufsucht. •
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