Der Staat ist eine Zweckgemeinschaft. Oberstes Ziel ist die innere und äussere Sicherheit. Deswegen haben sich die Bürger demokratisch verfasster Staaten darauf geeinigt, die Durchsetzung ihres Rechts auch unter Anwendung von Waffengewalt an den Staat zu übertragen. Dieser ist deshalb mit dem Gewaltmonopol ausgestattet. Er hat demnach die Hoheitsbefugnis, auf der Grundlage von Recht und Gesetz die Aufrechterhaltung des Rechts mit Gewalt durchzusetzen. Recht und Gesetz sind hierbei nicht als rein positivistisches Recht definiert, sondern als Verwirklichung der Natur- und Menschenrechte, die im positiven Recht ihren Ausdruck finden müssen und mit Recht als gerecht bezeichnet werden können. Als Individuum und Teil der Gemeinschaft stehen der Person von Natur aus Recht und Gerechtigkeit zu, was ihre Freiheit gewährleistet. Bedingung dieser Freiheit ist die innere und äussere Sicherheit des Gemeinwesens.
So wie das Gewaltmonopol des Staates gemeinwohlorientiert die freie Entwicklung jedes einzelnen Mitgliedes dieser Gemeinschaft zum Ziele hat, so sind auch seine Gesetze auf dem Gebiete der Wirtschaft so zu verstehen, dass der Staat als Vertreter der Willensgemeinschaft der Bürger auch auf diesem Gebiet das Gemeinwohl und damit den Wohlstand aller im Auge haben muss. Artikel 14 (2) des GG (BRD) schreibt diesen Zweck in der Formulierung «Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen» fest. Das berechtigte unternehmerische Streben nach Gewinn, Bestand, Weiterentwicklung und Expansion ist nicht unterbunden oder gegängelt, sondern die Orientierung und Bindung an das Gemeinwohl weist jedem unternehmerischen Streben jenen Platz zu, den es vom Wesen der Sache her hat: das Gemeinwohl der zu einer staatlichen Gemeinschaft verbundenen Menschen. Professor Eberhard Hamer vom Mittelstandsinstitut Hannover hat das einmal in einem seiner Vorträge treffend ausgedrückt, als er das mittelständische Unternehmen allgemein als ein Unternehmen von Menschen, mit Menschen, für Menschen definiert hat. Schöner kann man die unternehmerische Aktivität in ihrer Bezogenheit auf das Wohl des einzelnen und der Gemeinschaft nicht ausdrücken.
Was nun die Verteidigung von Freihandelsabkommen, die zurzeit hoch im Kurs steht, angeht, hilft sowohl ein Blick in die Geschichte als auch eine Beschreibung der angewandten demokratiefeindlichen Vorgehensweise bei dem Durchsetzungsversuch des Freihandelsabkommens TTIP; bei CETA war es nicht anders. Demokratiefeindlich deswegen, weil das, was die Öffentlichkeit angeht, hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde. Selbst Volksvertreter durften keine Kopien des vorläufigen Vertrages erstellen. Deutschen Parlamentariern wurde der Text in einem extra bewachten separaten Raum ohne Aufzeichnungsmöglichkeit zum Studium zur Verfügung gestellt. Nicht einmal ein Handy war gestattet, weil man damit den Text hätte fotografieren können. Was soll hier wovor geschützt werden? Ein Vertrag von mehr als tausend Seiten. Was soll das? Das, was dringend der Öffentlichkeit bedarf, wird peinlichst geheimgehalten, hinter verschlossenen Türen verhandelt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mit einer Republik, einer Res publica, mit der Sache der Allgemeinheit hat all das nichts zu tun und spricht demokratischen Gepflogenheiten Hohn. Und was machen unsere Volksvertreter? Keiner protestiert! Niemand widersetzt sich! Kein der Öffentlichkeit verpflichtetes Medium berichtet. Kein Magazin klärt auf. Und das, obwohl jahrelange Massenproteste, Internetpetitionen und Unterschriftensammlungen, die in die Hunderttausende gegangen sind, in den alternativen Medien ihrem berechtigten Protest Ausdruck gaben.
Und dann diese Wortschöpfung aus dem Arsenal der Spin-doctor-Schule: «Harmonisierung des Wettbewerbs». Hier werden zwei Begriffe, die allgemein positiv besetzt sind, absichtsvoll missbräuchlich verwandt. Sie gehören nicht zusammen. Karl-Albrecht Schachtschneider hat schon lange bemängelt, dass sowohl in der Gesetzgebung der EU als auch in den Freihandelsverträgen mit den Begriffen freier oder fairer Wettbewerb hantiert wird, ohne zu definieren, was damit gemeint ist. Im Falle von TTIP meint Harmonisierung des Wettbewerbs nichts anderes als ein kontinuierliches Herunterfahren von Sozial- und Umweltstandards. Denn was der eine nicht braucht, muss der andere wegen der sonstigen «Verzerrung des Wettbewerbs» – wieder so eine Wortschöpfung – auch nicht erfüllen. Ja, er soll die Nichterfüllung sogar einklagen können. Der von den Konzernen und der EU konstruierte Wettbewerbsbegriff erhebt sich somit über die nationale Gesetzgebung und erweist sich bei genauerer Betrachtung als verfassungswidrig und genauso demokratieverachtend wie die oben beschriebene Durchsetzungsstrategie. Was übrigbleiben soll, ist der korporierte Staat, der als Teil von Grosskonzernen funktionieren soll. Das können wir nicht wollen.
In seinem Buch «Mit der Ölwaffe zur Weltmacht» beschreibt der Wirtschaftsjournalist F. William Engdahl die Einführung des Freihandels in Grossbritannien durch Londoner Finanziers und Seehändler in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als die Etablierung eines neuen durchschlagenden Machtinstruments der englischen Finanzelite. Theoretisch beriefen sich diese Kreise, die der Londoner City zuzuordnen waren, (nicht ganz zu Recht) auf den Moralphilosophen und Nationalökonomen Adam Smith, der so ausgelegt wurde, als habe er die freiwillige Unterwerfung der Gesellschaft unter den absolut freien Handel und unter den propagierten Automatismus der Marktmechanismen gefordert.
Dass das Wesen dieses Freihandels auch nicht im geringsten etwas mit dem Gemeinwohl, sozialer Gerechtigkeit oder der Souveränität des englischen Staates zu tun hatte, zeigte der erste grosse Sieg dieser Freihandelsvertreter. Im Jahre 1846 brachten sie jenes Korngesetz zu Fall, das über hundert Jahre englischen und irischen Bauern die Abnahme ihrer Ernte zu festgesetzten Preisen zusicherte und damit die bäuerliche Existenz und die Ernährungssouveränität Englands gewährleistete. Das sollte jetzt schlagartig anders werden. Kulis in Indien und Fellachen in Ägypten, die bereits unter der wirtschaftlichen Vormachtstellung der Londoner City standen, wurden nun mit ihren Hungerlöhnen Konkurrenten der englischen und irischen Bauern. Die nun einsetzende Flut billiger landwirtschaftlicher Produkte trieb die englischen und irischen Bauern in den Ruin. Massenelend war die unmittelbare Folge des Freihandels und zwang viele zur Emigration. Sie wurden zu Immigranten in anderen Staaten.
Die nun einsetzenden «Automatismen der Marktmechanismen» führten zur Verelendung der Industriearbeiter, da ihr Lohn an den Preis eines Brotes gebunden war, der sich nun im freien Fall befand und auf niedrigstem Niveau ankam. Dass diese Entwicklung in England auch krasseste Folgen für Landwirte und Industriearbeiter in Deutschland und ganz Europa, ja auch für die USA hatte, ist leicht nachzuvollziehen, da England nun mit billigen Produkten all diese Märkte überschwemmte. So kann man auch unter scheinbar wohlklingenden Worten wie «Freihandel» Wirtschaftskriege gegen aufstrebende Staaten führen und sie an der Prosperierung ihrer Volkswirtschaften hindern, bei gleichzeitiger Implementierung von Keimen zukünftiger sozialer Verwerfungen und Massenprotesten sowie neuer Probleme wie z. B. Flüchtlings- und Auswanderungsbewegungen, die die Migration Kulturfremder in europäische Staaten zur Folge hatten und haben. Auch diese Folgen waren gewollt und sind es heute noch und stellen die betroffenen Länder vor nahezu unlösbare Aufgaben.
Am Ende des Kapitels zieht Engdahl folgendes Fazit: «Mit kurzen Worten lässt sich das Wesen des Freihandels so bestimmen: Er trennt die Menschen in immer weniger extrem reiche Familien und eine rasch wachsende Zahl immer ärmerer, meist unterernährter Menschen.» (Engdahl, F. William: «Mit der Ölwaffe zur Weltmacht», 2002, S. 14f.)
Dass Verarmung und Verelendung von entsprechenden damaligen Kreisen nicht ursächlich als Folgen des Freihandels beschrieben wurden, sondern als Folgen einer Überbevölkerung, ist an Zynismus nicht mehr zu übertreffen, wird doch hier bereits ein Kapitel aufgeschlagen, das bis heute von interessierter Seite fortgeschrieben wird.
Unbedingt lesenswert sind auch die Anmerkungen zu diesem ersten Kapitel, in denen Engdahl den amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Henry C. Carey als zeitgenössischen Kritiker der britischen Freihandelspolitik zu Wort kommen lässt. Schon in den Anfängen war dem aufmerksamen Beobachter, der sich seinen Mitmenschen verbunden und verpflichtet fühlte, klar, wem der Freihandel diente. Auffallend auch hier die immer wiederkehrenden Phänomene und Konsequenzen aus erzwungenen Freihandelsabkommen bis heute.
Auch ein Blick in das Buch von Friederike Beck «Die geheime Migrationsagenda» und hier insbesondere das Kapitel 4 «EPA: Wie Freihandelsabkommen der EU mit afrikanischen Staaten dort wirtschaftlichen Schaden anrichten» zeigt uns, dass die von Engdahl beschriebenen Marktmechanismen des Freihandels auch im 21. Jahrhundert der gleichen Agenda folgen und die gleichen Folgen zeitigen wie nach dem Fall der Korngesetze in England im Jahre 1846. EPA ist das Kürzel für Economic Partnership Agreement. Von Partnership und Agreement kann aber bei genauerer Betrachtung nicht die Rede sein, denn die Öffnung der afrikanischen Märkte für europäische Produkte wurde nicht selten durch gezielte Wirtschaftskriegsszenarien erzwungen. Afrikanische Staaten, die sich weigerten, ihre Märkte bis zu 83 % für europäische Ware zu öffnen, und nicht dazu bereit waren, gleichzeitig schrittweise Zölle und Gebühren abzuschaffen, wurden mit horrenden Einfuhrzöllen auf ihre Waren beim Eintritt in den europäischen Markt bestraft. Die Folge über kurz oder lang: Einige afrikanische Staaten gaben auf und unterschrieben diesen erzwungenen Unterwerfungsvertrag.
Nicht wenige Wirtschaftsexperten sehen in diesen Freihandelsabkommen eine Gefährdung der Entwicklung jener afrikanischen Volkswirtschaften, da sie nicht in der Lage sind, auf den europäischen und eben auch auf den heimischen Märkten mit den Produkten hochindustrialisierter Volkswirtschaften zu konkurrieren. Ebensowenig sind sie in der Lage, ihre eigene Volkswirtschaft zu schützen. Ein Beispiel: Seit 2009 hat sich der Export von überschüssigem europäischen Hähnchenfleisch in afrikanische Staaten verdreifacht. Da die Produktionskosten inländischer Landwirte höher liegen, werden diese in den Bankrott getrieben. Schutzmassnahmen afrikanischer Staaten greifen nicht. Sie dürfen laut Abkommen nur noch 35 % Einfuhrzoll auf Geflügelimporte erheben, aber das reicht nicht aus. Also geben die afrikanischen Landwirte auf. Mit ihrer Aufgabe aber steigt nicht nur die Abhängigkeit von Importen, sondern das Wissen über Tierzucht und Landwirtschaft, das sie familiär über Generationen hin tradiert und weiterentwickelt haben, geht verloren. Es steht jener Gemeinschaft nicht mehr zur Verfügung.
Ebenso katastrophal wirkt sich die Fischereipolitik der EU gegenüber afrikanischen Staaten aus. Europäische Grossreeder haben die europäischen Fischgründe bis zu mehr als dreiviertel überfischt und nötigen nun europäische Staaten dazu, mit afrikanischen Staaten Verträge abzuschliessen, damit sie in jenen Fischgründen fischen dürfen. Nicht nur, dass sich die Grossreeder nicht an den Kosten beteiligen – 90 % werden von Steuerzahlern aufgebracht –, sondern die Reeder können noch mit Subventionen rechnen. Europäische Steuerzahler zahlen, und vor Somalia und Senegal kommen die Fischer ohne Fisch zurück. Dabei ist es nicht so, dass dies nicht bekannt ist. Günter Nooke, Afrika-Beauftragter Angela Merkels: «Man sollte mit Wirtschaftsverhandlungen nicht kaputtmachen, was man auf der anderen Seite als Entwicklungsministerium versucht aufzubauen.» Sind das die westlichen europäischen Werte, die von bestimmter Seite so häufig beschworen werden? Ganz bestimmt nicht.
Der Beitrag von Jean Ziegler in der Dokumentation «We feed the world» und der Film von Hubert Sauper «Darwins Alptraum», beide auf DVD erhältlich, stellen die geschilderten Zusammenhänge in erschreckenden Bildern, Zahlen und Fakten dar. Wenn schon im Erstellungszeitraum des Interviews mit Jean Ziegler westliche Industrienationen ihre Landwirte mit mehr als einer Milliarde Dollar pro Tag unterstützten und darüber hinaus noch landwirtschaftliche Exporte in Entwicklungsländer subventionierten, so dass jede Nahrungsmittelausfuhr in ein Entwicklungsland zu Preisen geschah, die jeden einheimischen Landwirt in den Ruin treiben mussten, so erschliesst sich die dahinterstehende Agenda sehr schnell: Mit der Nahrungsmittelwaffe Abhängigkeiten schaffen, um billige Rohstoffimporte zu erzwingen, neue Absatzmärkte zu erschliessen und billigste Arbeitskräfte zu rekrutieren und anderes mehr, wie z. B. Mülldepots für Problemschrott zu errichten, in denen Einheimische unter lebensgefährlichen Bedingungen Rohstoffe recyceln. Diese brutale Durchsetzung von Wirtschaftsmacht soll in den darunter leidenden Völkern als westliche Werte wahrgenommen werden?
Dabei ist es nicht so, dass es keine Alternativen zu den marktradikalen Freihandelsabkommen gibt. Abkommen im respektvollen Miteinander auf Augenhöhe mit der Absicht, wie man neuökonomisch sagt, eine Win-win-Situation für die Beteiligten herzustellen, finden wir zum Beispiel in der EFTA. Die EFTA war von Anfang an ein Gegenentwurf zum marktradikalen Freihandel der Angloamerikaner. Ihre Mitglieder handeln auch heute noch Abkommen mit anderen Staaten aus, die die anfänglich dargelegte Gemeinwohlorientierung als grundlegende Voraussetzung für alle Beteiligten betrachten. Ihre Praxis macht deutlich, dass sich vorteilhafte Handelsverträge und Gemeinwohlorientierung nicht ausschliessen müssen. Im Gegenteil! Nur, in welchen Lehr- oder Schulbüchern steht das schon? Zeit-Fragen hat vielfach über die EFTA berichtet. Das Wissen um die verheerenden Wirkungen fehlkonstruierter Freihandelsabkommen ist in Text und Bild für jeden verfügbar. Bildung auch in diesen Fragen ist unabdingbare Selbstverpflichtung aus Mitgefühl, Verantwortung und Friedensliebe. Entscheidend hierfür sind das Menschenbild und die daraus resultierende Sicht auf die Wirtschaft, die die Ziele der Vertragspartner bestimmen: Make money, make more money oder Gemeinwohlorientierung in hart erkämpfter europäischer Tradition! •
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