Willy Randin wurde für sein Wirken zu Gunsten der Förderung des Werks von Albert Schweitzer mit dem Internationalen Albert-Schweitzer-Preis 2017 ausgezeichnet und geehrt. Er ist Präsident der «Section Suisse Romande» und Mitglied des «Schweizer Hilfsvereins für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene» (SHV).
«Das Werk und Gedankengut Schweitzers haben mein Leben tatsächlich stark geprägt. Ich habe nicht nur das Vorrecht gehabt, das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene zu leiten und die Albert-Schweitzer-Spitäler in Haiti, Peru und Indien zu besuchen, sondern mehrere Organisationen ins Leben zu rufen, deren Ziel und Zweck der gleichen Sinnvorstellung entsprechen», sagte der Geehrte in aller Bescheidenheit. Nachfolgend stichwortartig nur die wesentlichsten «Bausteine» aus dem Lebenswerk von Willy Randin, das trotz – oder vielleicht wegen – seines Alters von 81 Jahren längst noch nicht abgeschlossen ist.
Randin hat zwei Spitäler des Roten Kreuzes in Jemen (1965) und Vietnam (1966–1968) geleitet, die zu dieser Zeit vom Krieg betroffen waren. In Vietnam war er Delegationschef und mit dem Bau eines Spitals für Kinder betraut. Ferner war er dort für die Hilfe an 250 000 Personen verantwortlich, die Heim und Haus verlassen mussten.
Das Beispiel, das ihm Albert Schweitzer gegeben hat, erachtet er heute als aktueller denn je. Zum Grundsatz von Schweitzers «Ehrfurcht vor dem Leben» meint Willy Randin: «Menschen von heute sollten sich noch mehr dessen bewusst sein, weil sie der Technologie in einem Ausmass ausgeliefert sind, dass sie die inneren Werte des Lebens nicht mehr wahrnehmen. Diese Maxime beinhaltet drei Teile: die Achtung des Menschen, die des Tieres und die der Natur, das heisst der Umwelt.»
Von diesen Grundsätzen liess sich Willy Randin leiten bei der Gründung der Organisation für Entwicklungszusammenarbeit «Nouvelle Planète/Neuer Planet» sowie «Jugend ohne Grenzen», «Frauen ohne Grenzen», der «Albert-Schweitzer-Umweltorganisation» usw. Auch diverse Partnerschaften unter Berufsgruppen, Gemeinden und anderen Körperschaften entstammen diesem Wunsch nach mehr Solidarität.
Der Geehrte hat in erster Linie versucht, junge Leute durch Freiwilligenarbeit mit afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Jungen bei der Realisierung von Projekten zu motivieren. Das Ziel war die Überbrückung von Grenzen und Hindernissen, die Begegnung mit dem andern, so wie er ist, was er weiss, was er machen kann und will. 32 Jahre nach dieser Initiative haben rund 10 000 junge Europäer und ebenso viele Menschen aus dem südlichen Erdteil ihr Leben mit einer Erfahrung bereichert, die weitergeht und sich ausdehnt.
Nachdem er das Lambarene-Spital geleitet hatte, besuchte er Länder in der Sahelzone, wo er feststellte, welch grosse Schäden durch die Trockenheit entstanden waren. Die Bewohner mussten ihre Dörfer verlassen, ohne zu wissen, wohin sie gehen konnten. Rund um das von Dr. Ken Elliott in Djibo (Bukina Faso) im Geist Schweitzers errichtete Spital fand Willy Randin Hunderte von Menschen, die ihre Hand nach Nahrung ausstreckten. Dr. Ken Elliott sagte ihm, dass alles, was er ihnen geben könnte, ein Schälchen Hirse mit etwas Sosse sei, und auch das nur alle zwei Tage. Diese Nahrung enthält keine Vitamine, und die Kinder waren der Gefahr ausgesetzt zu erblinden.
Auf Grund von Bitten der Bauern in der vertrockneten Sahelzone und im Gedenken an Schweitzers Worte zur Ethik der Verantwortung fühlte er sich zum Handeln aufgefordert. Er stellte fest, dass das Ausbleiben des Regens eine Folge des reduzierten Baumbestandes war, weil das Holz zum Kochen gebraucht wurde und deshalb die Bäume abgeholzt wurden. Er stellte aber auch fest, dass die Besonnung in dieser Region dreimal stärker ist als in Südfrankreich. Willy Randin dachte deshalb an die Nutzung der Sonnenenergie anstelle von Holz. Er fragte Maurice Lack, den Architekten des neuen Spitals in Lambarene, um Rat, und die beiden setzten sich zum Ziel,
– in Ouagadougou (Burkina Faso) ein Umweltschutzatelier «Centre Ecologique Albert Schweitzer» einzurichten, um mit den vor Ort vorhandenen Stoffen Sonnensensoren, Sonnenöfen, Solarwarmwassertöpfe und Solarkühlschränke zu produzieren;
– lokale Handwerker zum Fabrizieren und Unterhalten der Solargeräte auszubilden und andere Utensilien produzieren zu lassen, die zum sorgsamen Umgang mit Holz nötig sind (manuelle Pumpen, Gittergehege).
Heute, 37 Jahre später, gibt es bereits 64 ATESTA-Werkstätten (Ateliers d’Energie Solaire et de Technologies Appropriées) in zehn afrikanischen Ländern. Sie sind alle selbsttragend und geben 4000 lokalen Handwerkern, die ihrem Land und der Bevölkerung nützlich sind, einen sicheren Broterwerb.
Natürlich reicht es nicht, Holz zu sparen. Man muss auch aufforsten. Dank Willy Randins Initiative wurde den Dorfbewohnern von Anfang an gezeigt, wie man Kompost macht, Setzlinge züchtet und Bäume pflanzt.
– Die Frauen haben sich sofort der Fabrikation von Kompost und der Anbaupflanzung angenommen.
– Der Bevölkerung ist sogleich klargeworden, dass durch den Gewinn neuen Kulturbodens die Progression der Wüste gestoppt werden konnte. Schon nach fünf Jahren entsteht wieder ein Nährboden, auf dem Getreide und Gemüse gedeihen.
– Die Frauen haben Trockenfrüchte und -gemüse produziert und wurden in ihren Anregungen unterstützt, ihr Wissen in Lehrlingsanstalten weiterzugeben, in denen Mädchen die gleiche Ausbildungschancen haben wie die Buben.
– Die erfreulichsten Erfolge wurden beim Bau von Primarschulen in denjenigen Dörfern verzeichnet, in welchen sich Frauen dafür eingesetzt haben. Die Schulbildung der Mädchen konnte in mehreren Ländern von 20 auf 45 Prozent angehoben werden.
– Schliesslich wurden – auch auf Wunsch der Frauen – Programme für Familienplanung in die Wege geleitet, da nur jedes zweite Kind erwünscht ist.
Wir fühlen unsere Verantwortung auch angesichts der massiven Migranten- und Flüchtlingsströme über das Mittelmeer, die enorme Risiken bergen.
Buchpublikationen und Filme
Nebst den vielen konkreten Hilfsprojekten hat Willy Randin seinen Erfahrungsschatz ab 1981 in zahlreichen Büchern in französischer Sprache festgehalten und als Anregung zum Nachdenken hinterlassen. Darunter sind Titel (übersetzt) wie: «Hoffnungszeichen»; «Albert Schweitzer, ein Beispiel für unsere Zeit»; «Wirksame Kooperation und Zusammenarbeit»; «Entwicklung – Zukunft der Frau»; «Bergbewohner in Vietnam – geweihte Lebensader»; «Von der Begeisterung zur Tat»; «Frauen, Quellen des Fortschritts»; «Kampf für eine humanere Erde». Zusammen mit seiner Frau Henriette entstanden auch zahlreiche Filme, total 25 Beiträge aus seiner vielfältigen Tätigkeit! (Interessenten für Buch/ Film-Unterlagen wenden sich bitte direkt an: <link>w.randin@nouvelle-planete.ch)
Sicher hat das Werk Schweitzers heute Dimensionen angenommen, die der elsässische Pionier nicht erträumt hätte. So gibt es heute zusätzlich zu den aufgeführten Organisationen auch einen philippinischen Verein zur Rettung der Strassenkinder und in Burkina Faso einen Verein für Tierschutz und Ehrfurcht vor dem Leben. Das sind nur ein paar Beispiele dafür, wie Willy Randin und sein Team den Weg weisen für eine Zukunft im Sinn ihres Vorbildes Albert Schweitzer: In eine Zukunft, die der 81jährige Geehrte weiterhin mitgestalten und mitprägen will.
Da kann ich als Präsident des Schweizer Hilfsvereins für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene nur sagen: Herzliche Gratulation zu Deiner verdienten Ehrung. Grosse Hochachtung, grossen Dank – Willy. Gute Gesundheit für Deinen unermüdlichen Tatendrang. Du bist ein grosses Vorbild für uns alle. •
Quelle: Berichte aus Lambarene und über das Gedankengut Albert Schweitzers, Nr. 124, Oktober 2017
«Ich rufe die Menschheit auf zur Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. Diese Ethik macht keinen Unterschied zwischen wertvollerem und weniger wertvollem, höherem und niedrigerem Leben. Sie lehnt eine solche Unterscheidung ab. Denn der Versuch, allgemeingültige Wertunterschiede zwischen den Lebewesen anzunehmen, läuft im Grunde darauf hinaus, sie danach zu beurteilen, ob sie uns Menschen nach unserem Empfinden näher oder ferner zu stehen scheinen. Dies aber ist ein ganz subjektiver Massstab. Wer von uns weiss denn, welche Bedeutung das andere Lebewesen an sich und im Weltganzen hat? Die Konsequenz dieser Unterscheidung ist dann die Ansicht, dass es wertloses Leben gebe, dessen Vernichtung oder Beeinträchtigung erlaubt sei. Je nach den Umständen werden dann unter wertlosem Leben Insekten oder primitive Völker verstanden.
Die unmittelbare Tatsache im Bewusstsein des Menschen lautet: ‹Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.› Diese allgemeine Bejahung des Lebens ist eine geistige Tat, in der der Mensch aufhört dahinzuleben, in der er vielmehr anfängt, sich seinem Leben mit Ehrfurcht hinzugeben und ihm seinen wahren Wert zu geben. Der auf diese Weise denkend gewordene Mensch erlebt zugleich die Notwendigkeit, allem Willen zum Leben die gleiche Ehrfurcht vor dem Leben entgegenzubringen wie dem eigenen. So erlebt er das andere Leben in dem seinen. Als gut gilt ihm alsdann, Leben zu erhalten und zu fördern, entwickelbares Leben auf seinen höchsten Wert zu bringen – als böse gilt ihm nun: Leben schädigen oder vernichten, entwickelbares Leben in der Entwicklung hindern. Dies ist das absolute und denknotwendige Grundprinzip des Sittlichen. Durch die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben kommen wir in ein geistiges Verhältnis zur Welt.
In meinem Leben habe ich immer versucht, in meinem Denken und Empfinden jugendlich zu bleiben und habe stets von Neuem mit den Tatsachen und meiner Erfahrung, um den Glauben an das Gute und Wahre gerungen. In dieser Zeit, in der Gewalttätigkeit sich hinter der Lüge verbirgt und so unheimlich wie noch nie die Welt beherrscht, bleibe ich dennoch davon überzeugt, dass Wahrheit, Friedfertigkeit und Liebe, Sanftmut und Gütigkeit die Gewalt sind, die über aller Gewalt ist. Ihnen wird die Welt gehören, wenn nur genug Menschen die Gedanken der Liebe und der Wahrheit, der Sanftmut und der Friedfertigkeit rein und stetig genug denken und leben.
Alle gewöhnliche Gewalt in dieser Welt schafft sich selber eine Grenze, denn sie erzeugt eine Gegengewalt, die ihr früher oder später ebenbürtig oder überlegen sein wird. Die Gütigkeit aber wirkt einfach und stetig. Sie erzeugt keine Spannung, durch die sie sich selbst aufhebt, sondern sie entspannt die bestehenden Spannungen. Sie beseitigt Misstrauen und Missverständnisse. Indem sie Gütigkeit weckt, verstärkt sie sich selber. Deshalb ist sie die zweckmässigste und intensivste Kraft. Was ein Mensch an Gütigkeit in die Welt hinaus gibt, das arbeitet an den Herzen der Menschen und an ihrem Denken. Unsere törichte Schuld ist, dass wir nicht ernst zu machen wagen mit der Gütigkeit. Wir wollen immer wieder die grosse Last abwälzen, ohne uns dieses Hebels zu bedienen, der unsere Kraft verhundertfachen kann.»
aus: Albert Schweitzer. «Mein Wort an die Menschen», Lambarene 1964
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